7 Dann kam der Tag der Ungesäuerten Brote, an dem das Paschalamm geschlachtet werden musste. 8 Jesus sandte Petrus und Johannes aus und sagte: Geht und bereitet das Paschamahl für uns vor, damit wir es essen können! 9 Sie fragten ihn: Wo sollen wir es vorbereiten? 10 Er antwortete ihnen: Siehe, wenn ihr in die Stadt kommt, wird euch ein Mann begegnen, der einen Wasserkrug trägt. Folgt ihm in das Haus, in das er hineingeht, 11 und sagt zu dem Herrn des Hauses: Der Meister lässt dich fragen: Wo ist der Raum, in dem ich mit meinen Jüngern das Paschalamm essen kann? 12 Und der Hausherr wird euch einen großen Raum im Obergeschoss zeigen, der mit Polstern ausgestattet ist. Dort bereitet es vor! 13 Sie gingen und fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Paschamahl vor. (Lukas 22,7-13)
Warum hat Jesus seinen Jüngern nicht einfach gesagt, in welches Haus sie gehen sollten? Auch wenn es damals keine Adressangaben mit Straßennamen und Hausnummern gab, hätte ihnen Jesus die Lage des Hauses beschreiben können.
Offensichtlich wollte Jesus nicht, dass der Ort, an dem er den letzten Abend seines irdischen Lebens mit seinen Jüngern verbringen wollte, allgemein bekannt wird. Vor allem wollte er nicht, dass Judas es vorzeitig erfährt und mit einer bewaffneten Meute zur Gefangennahme Jesu erscheint.
Jesus hatte vor, an diesem Abend seinen Jüngern als sein Vermächtnis das Herrenmahl zu stiften. Er wollte sie auch durch die Worte, die er ihnen in den von Johannes überlieferten Abschiedsreden (Kapitel 13 bis 17) auf die Zeit nach seinem Weggang vorbereiten. Einerseits sollten sie durch sein Leiden und seinen Tod nicht verzweifeln. Sie sollten aber auch auf die Zeit, in der sie das Fundament für Jesu Gemeinde legen sollten, vorbereitet sein. Deswegen hat er gerade an diesem letzten Abend vieles über den Heiligen Geist zu ihnen gesprochen.
Judas war an diesem Abend nur kurz dabei. Dass Jesus auch ihm die Füße gewaschen hat (Johannes 13,1-15), hat ihn leider nicht aufgerüttelt und von seinem bösen Vorhaben abgebracht. So war Judas nicht bei der Einsetzung des Herrenmahls dabei (mehr dazu in diesem Beitrag) und auch beim größten Teil der Abschiedsworte Jesu, vor allem nicht beim Gebet Jesu für seine Jünger (Johannes 17,1-26) nicht anwesend. So konnte Jesus seinen Jüngern all diese wichtigen Dinge vermitteln, ohne durch die Anwesenheit des Verräters gestört zu sein.
Doch wer war der Mann mit dem Wasserkrug? War er einfach ein unbeteiligter Diener eines Hausherrn, der grundsätzlich mit Jesus nichts zu tun hatte, mit dem Jesus aber vereinbart hatte, dass er das Obergemach für das Mahl zur Verfügung stellte?
Das Tragen des Wassers war damals eine typische Frauenarbeit. Dass ein Mann einen Wasserkrug trägt, war sehr auffällig. Manche nehmen an, dass es sich um einen Essener gehandelt haben muss, da bei den zölibatär lebenden Männern diese auch die Frauenarbeit zu erledigen hatten. Außerdem sei der Ort, an dem Jesus der Überlieferung zufolge das letzte Abendmahl gefeiert habe, in einem von Essenern bewohnten Teil der Stadt gelegen.1
Allerdings gab es zwischen Jesus und den Essenern große Unterschiede. Mit ihrer starken Betonung auf Formalismus und kultische Reinheit standen sie in einem starken Kontrast zur Botschaft Jesu. Unter den wichtigen religiösen Parteien im Judentum (Pharisäer, Sadduzäer und Essener) sind sie die einzige, die im Neuen Testament nicht genannt werden. Das spricht nicht für ein Naheverhältnis Jesu zu ihnen.
Damit Petrus und Johannes diesen Mann tatsächlich erkennen, war ein besonderes Kennzeichen notwendig. Da es sonst keine Wasserkrüge tragenden Männer gab, war das ein unverwechselbares Merkmal.
Neben den galiläischen Jüngern, zu denen die zwölf Apostel gehörten, die Jesus ständig begleiteten, hatte Jesus auch Jünger in Jerusalem.
Nach der Tempelreinigung, die am Beginn des Wirkens Jesu geschah, glaubten viele aufgrund der von ihm gewirkten Wunder an Jesus (Johannes 2,23). Auch die Worte der Brüder Jesu setzen in Johannes 7,3 voraus, dass es Jünger in Judäa, womit vor allem Jerusalem gemeint ist, gab.
Da sagten seine Brüder zu ihm: Geh von hier fort und zieh nach Judäa, damit auch deine Jünger die Taten sehen, die du vollbringst!
Es liegt daher näher, dass das Obergemach einem in Jerusalem wohnhaften Jünger Jesu gehörte und auch der Mann mit dem Wasserkrug einer dieser Jünger war, der aber Petrus und Johannes persönlich nicht bekannt war.
Von einem Obergemach – allerdings mit einem anderen griechischen Wort – spricht auch Apostelgeschichte 1,13-14:
13 Als sie in die Stadt kamen, gingen sie in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben: Petrus und Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon, der Zelot, sowie Judas, der Sohn des Jakobus. 14 Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern.
Dieses Obergemach war nach der Himmelfahrt Jesu der ständige Aufenthaltsort der Apostel und anderer Jünger. Falls es sich um dieselbe Räumlichkeit handeln sollte, spricht das nicht dafür, dass es sich um das Haus eines Esseners gehandelt habe.
Sollte dieses Haus dasselbe Haus sein, in dem sich die Hausgemeinde versammelt hat, zu der Petrus nach seiner wunderbaren Befreiung aus dem Gefängnis gegangen ist, wüssten wir sogar den Namen des Eigentümers dieses Hauses.
Als er sich darüber klar geworden war, ging er zum Haus der Maria, der Mutter des Johannes, mit dem Beinamen Markus, wo nicht wenige versammelt waren und beteten. (Apostelgeschichte 12,12)
Doch das ist nicht so sicher, da in Lukas 22,11 von einem Hausherrn (οἰκοδεσπότης / oikodespótēs) die Rede ist, Maria aber eine Frau war. Aber Jesus hätte sich auch sehr allgemein ausdrücken können und daher den männlichen Ausdruck wählen können.
Auch wenn wir nicht in alle Details Einblick haben, können wir doch sehen, dass gerade dieser letzte Abend mit seinen Jüngern für Jesus sehr wichtig war und er alles getan hat, um sie auf die bevorstehenden Geschehnisse vorzubereiten. Dazu gehörte auch, dass der Verräter den Ort nicht vorzeitig erfahren sollte und auch beim Abendmahl und der Jüngerbelehrung nicht mehr dabei war.
Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung. (Johannes 13,1b)
- Rainer Riesner, Messias Jesus, Gießen 2019, S. 340. ↩