Die Frage, ob Judas am Abend vor Jesu Leiden und Sterben dabei war, als Jesus das Herrenmahl eingesetzt hat, ist nicht ohne Bedeutung. Es hat mit der Frage zu tun, ob beim Halten des Herrenmahls Ungläubige dabei sein dürfen. Während es für die frühen Christen klar war, dass nur Gläubige am Herrenmahl teilnehmen dürfen, ist die derzeitige Praxis in den offiziellen Kirchen eine völlig andere. Immerhin lehnen manche Katholiken ab, dass der derzeitige Präsident der USA, der sich als besonderer Förderer der Tötung ungeborener Kinder profiliert, die Kommunion erhalten soll.
Doch wie war das mit Judas?
Folgen wir der Darstellung von Lukas, dann scheint es klar zu sein, dass er dabei war.
19 Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach es und reichte es ihnen mit den Worten: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis! 20 Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sagte: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.
21 Doch siehe, die Hand dessen, der mich ausliefert, ist mit mir am Tisch. 22 Der Menschensohn muss zwar den Weg gehen, der ihm bestimmt ist. Aber weh dem Menschen, durch den er ausgeliefert wird! 23 Da fragte einer den andern, wer von ihnen das wohl sei, der dies tun werde. (Lukas 22,19-23)
In den Versen 19 und 20 geht es um die Einsetzung des Herrenmahls. Unmittelbar daran anschließend spricht Jesus über den Verräter, dessen Hand mit ihm am Tisch ist.
Werfen wir einen Blick in die anderen Evangelien, so finden wir bei Matthäus und Markus die umgekehrte Reihenfolge.
20 Als es Abend wurde, begab er sich mit den zwölf Jüngern zu Tisch. 21 Und während sie aßen, sprach er: Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern. 22 Da wurden sie sehr traurig und einer nach dem andern fragte ihn: Bin ich es etwa, Herr? 23 Er antwortete: Der die Hand mit mir in die Schüssel eintunkt, wird mich ausliefern. 24 Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird! Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre. 25 Da fragte Judas, der ihn auslieferte: Bin ich es etwa, Rabbi? Jesus antwortete: Du sagst es.
26 Während des Mahls nahm Jesus das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es den Jüngern und sagte: Nehmt und esst; das ist mein Leib. 27 Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, gab ihn den Jüngern und sagte: Trinkt alle daraus; 28 das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. (Matthäus 26,20-28)
17 Als es Abend wurde, kam Jesus mit den Zwölf. 18 Während sie nun zu Tisch waren und aßen, sagte Jesus: Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern, einer, der mit mir isst. 19 Da wurden sie traurig und einer nach dem andern fragte ihn: Doch nicht etwa ich? 20 Er sagte zu ihnen: Einer von euch Zwölf, der mit mir in dieselbe Schüssel eintunkt. 21 Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird! Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre.
22 Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib. 23 Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, gab ihn den Jüngern und sie tranken alle daraus. 24 Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. (Markus 14,17-24)
Nach Matthäus und Markus hat Jesus zuerst über die Auslieferung durch einen der Jünger gesprochen und erst daran anschließend das Herrenmahl eingesetzt.
Johannes schreibt zwar ausführlich über die Worte, die Jesus bei seinem letzten Zusammensein mit seinen Jüngern vor seinem Leiden gesprochen hat. Er schreibt aber nichts über die Einsetzung des Herrenmahls. Allerdings berichtet nur er, dass Judas vorzeitig aufgebrochen ist.
21 Nach diesen Worten wurde Jesus im Geiste erschüttert und bezeugte: Amen, amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern. 22 Die Jünger blickten sich ratlos an, weil sie nicht wussten, wen er meinte. 23 Einer von den Jüngern lag an der Seite Jesu; es war der, den Jesus liebte. 24 Simon Petrus nickte ihm zu, er solle fragen, von wem Jesus spreche. 25 Da lehnte sich dieser zurück an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist es? 26 Jesus antwortete: Der ist es, dem ich den Bissen Brot, den ich eintauche, geben werde. Dann tauchte er das Brot ein, nahm es und gab es Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. 27 Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, fuhr der Satan in ihn. Jesus sagte zu ihm: Was du tun willst, das tue bald! 28 Aber keiner der Anwesenden verstand, warum er ihm das sagte. 29 Weil Judas die Kasse hatte, meinten einige, Jesus wolle ihm sagen: Kaufe, was wir zum Fest brauchen! oder Jesus trage ihm auf, den Armen etwas zu geben. 30 Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, ging er sofort hinaus. Es war aber Nacht. (Johannes 13,21-30)
Judas hat den Raum, nachdem Jesus den Verrat angekündigt und zumindest für einige Jünger klargemacht hat, wer der Verräter ist, verlassen. Verknüpft man die Berichte von Matthäus und Markus mit dem von Johannes, dann ist Judas noch vor der Einsetzung des Herrenmahls gegangen und war nicht mehr dabei, als Jesus das Gedächtnismahl an seine Erlösungstat gestiftet hat.
Auch die Worte Jesu in Matthäus 26,23 bzw. Markus 14,20, wo es um das Eintunken in die gemeinsame Schüssel geht, sprechen dafür, dass sich die Situation am Beginn des Mahles zugetragen hat, als die Vorkost gegessen wurde. Beim Essen des Hauptgerichts sollte beim Paschamahl1 jeder seine eigene Schüssel haben.2 Jesus hat also Judas den Bissen Brot noch am Beginn des Mahles gereicht.
Doch warum stellt Lukas das anders dar?
Es hängt vermutlich mit seiner Darstellungsweise zusammen, die nicht immer chronologisch ist, sondern auch thematisch sein kann.
Schon bevor Lukas über die Einsetzung des Herrenmahls schreibt, erwähnt er in Vers 17 einen anderen Kelch, der nicht der Kelch des Herrenmahls war, sondern zum Rahmen des Paschamahles gehörte, zu dem die Jünger zusammengekommen waren. Vielleicht wollte Lukas die Gegenüberstellung dieser beiden Kelche, dem des Paschamahles und dem des Herrenmahles, nicht durch die Worte über den Verrat unterbrechen. Er wollte zuerst die Thematik des Mahles und des Kelches abschließen und hat daher erst anschließend die Worte über den Verrat gebracht.
Ein anderes Beispiel für diese Darstellungsweise von Lukas finden wir im Zusammenhang mit Johannes dem Täufer.
19 Johannes tadelte auch den Tetrarchen Herodes wegen Herodias, der Frau seines Bruders, und wegen aller Schandtaten, die er verübt hatte. 20 Herodes fügte zu allem noch dies hinzu, dass er Johannes ins Gefängnis werfen ließ.
21 Es geschah aber, dass sich zusammen mit dem ganzen Volk auch Jesus taufen ließ. (Lukas 3,19-21a)
In den Versen 19-20 schreibt er im Anschluss über die Darstellung der Verkündigung des Täufers über dessen Tadel an Herodes und der darauffolgenden Gefangenschaft. Und erst danach berichtet er über die Taufe Jesu, die auf jeden Fall vor der Gefangennahme des Johannes sein musste.
Zuerst kommt die allgemeine Information über Johannes den Täufer. Dazu gehört nicht nur seine Predigt, sondern auch sein Tadel an Herodes. Nachdem dieses Thema abgeschlossen ist, schreibt er über die Taufe Jesu.
Diese Darstellungsweise des Lukas würde erklären, warum er im Falle des Herrenmahles die Ankündigung des Verrates erst nach dem Mahl berichtet, obwohl sie vorher stattgefunden hat.
Jesus wollte dieses Vermächtnis an seine Gemeinde nicht in der Gegenwart des Verräters einsetzen. Das Mahl, bei dem der Erlösung gedacht wird, ist nur für die, die die Erlösung in Dankbarkeit annehmen.
Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt. (1 Korinther 11,26)
- Ich gehe hier nicht auf die Frage der Datierung ein, und inwieweit dieses Mahl tatsächlich ein Paschamahl im vollen Sinn war, oder ob Jesus im Bewusstsein, dass er zum eigentlichen Paschatermin schon gestoben sein würde, dieses Mahl ohne Lamm einen Abend früher gefeiert hat. ↩
- Das Evangelium nach Matthäus erläutert aus Talmud und Midrasch von Hermann L. Strack und Paul Billerbeck, München 1922, S. 989. ↩