1 Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. 2 Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. 3 Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. (Genesis 1,1-3)
Die ersten Sätze der Bibel lehren nicht die Dreieinigkeit. Gott hat sein dreieines Wesen erst durch die Menschwerdung seines ewigen Wortes und die darauf folgende Sendung des Heiligen Geistes im vollen Sinn offenbart. Doch hat Gott diese Offenbarung durch die inspirierten Schreiber des Alten Testaments vorbereitet. So lesen wir auch im Schöpfungsbericht über den Geist Gottes und die Schöpfung durch Gottes Wort. Ich verwende den Ausdruck „Schöpfungsbericht“, weil das eine verbreitete Bezeichnung von Genesis 1 ist. Es geht nicht darum, dass historisch oder naturwissenschaftlich „berichtet“ wird, was geschehen ist. Die Bibel offenbart nicht das Wie der Schöpfung, sondern betrachtet Gottes Werk in geistlicher Hinsicht auch vor dem Hintergrund altorientalischer Mythen, die der biblische Text einerseits voraussetzt, sich andererseits von ihnen absetzt.
Dass die Erde „wüst und wirr“ war, weist darauf hin, dass sich diese Welt Gottes ordnendem Eingreifen verdankt.
Denn so spricht der HERR, der den Himmel erschafft, er ist der Gott, der die Erde formt und macht – er ist es, der ihr Bestand gibt, er hat sie nicht als Nichtiges erschaffen, er hat sie zum Wohnen geformt -: Ich bin der HERR und sonst niemand. (Jesaja 45,18)
Für „Nichtiges“ steht in Jesaja dasselbe Wort תֹּהוּ / tōhû wie in Genesis 1,2 für „wüst“. Der Zustand „wüst und wirr“ war nicht das Ziel der Schöpfung. Es ist der über den Wassern schwebende Geist Gottes, in dem die Schöpfung geschah.
Es wurde vorgeschlagen, das Wort רוּחַ / rûach nicht mit „Geist“, sondern mit „Wind“ oder „Sturm“ zu übersetzen. Ein „Sturm Gottes“ wäre dann ein großer, gewaltiger Sturm. Doch das würde meines Erachtens eher auf eine Beschreibung eines Zustandes hinauslaufen, nicht auf eine Sicht des göttlichen Wirkens. Buber schreibt in seiner Übersetzung:
Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser.
Auch wenn Buber das Wort „Geist“ nicht verwendet, ist es doch Gottes Wirken, auf das auch seine Übersetzung hinweist. Die Personalität des Geistes Gottes ist hier noch nicht das Thema.
Das Wort für „schweben“ – רָחַף / rāchaf – kommt im selben Stamm nur mehr in Deuteronomium 32,11 vor:
[…] wie ein Adler sein Nest ausführt und über seinen Jungen schwebt, seine Schwingen ausbreitet, eines von ihnen aufnimmt und es auf seinem Gefieder trägt.
Hier wird Gottes Handeln an Israel mit einem Adler verglichen, der schützend über seine Jungen schwebt. So schwebt Gottes Geist über der Schöpfung, um diese zu vollenden.
Gott hat durch sein Wort geschaffen. Zehnmal heißt es im Schöpfungsbericht:
Gott sprach.
Die Schöpfung war nicht das Ergebnis eines Kampfes zwischen einander feindlich gesinnten göttlichen Mächten, wie es in verschiedenen Schöpfungsmythen dargestellt wird. Es ist Gottes souveränes Sprechen, das die Welt ins Dasein ruft.
Durch das Wort des HERRN wurden die Himmel geschaffen, ihr ganzes Heer durch den Hauch seines Mundes. […] Denn er sprach und es geschah; er gebot und da stand es. (Psalm 33,6.9)
Loben sollen sie den Namen des HERRN; denn er gebot und sie waren erschaffen. (Psalm 148,5)
Meine Hand hat die Fundamente der Erde gelegt, meine Rechte hat den Himmel ausgespannt; ich rief ihnen zu und schon standen sie alle da. (Jesaja 48,13)
Johannes hat diesen alttestamentlichen Gedanken weitergeführt:
Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. (Johannes 1,3)
Dieses Wort Gottes ist in Jesus Mensch geworden.
Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. (Johannes 1,14)
Den Gedanken, dass alles durch Jesus geschaffen wurde, finden wir auch bei Paulus und im Hebräerbrief.
Und einer ist der Herr: Jesus Christus. Durch ihn ist alles und wir sind durch ihn. (1 Korinther 8,6b)
Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen. (Kolosser 1,16)
Am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben von allem eingesetzt, durch den er auch die Welt erschaffen hat. (Hebräer 1,2)
Paulus konnte schreiben, dass alles durch oder in Jesus geschaffen wurde, weil Jesus das Mensch gewordene Wort Gottes ist. Den Menschen Jesus gab es bei der Schöpfung noch nicht. Doch Jesus ist das ewige Wort Gottes, durch das die Welt geschaffen wurde.
Die neutestamentlichen Autoren haben vom Geist Gottes geleitet auf der in Genesis 1 gelegten Grundlage aufgebaut und durch den Hinweis auf Jesus vollendet.
Auch der Plural in Genesis 1,26 könnte ein Hinweis auf das dreieine Wesen Gottes sein.
26 Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. 27 Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie. (Genesis 1,26-27)
Man kann das nicht als Majestätsplural verstehen, wie es Muslime bei den Stellen tun, in denen Allah im Koran in der Mehrzahl spricht. Das Hebräische kennt keinen Majestätsplural.
Eine andere Erklärung, wie sie etwa in der Jerusalemer Bibel als Möglichkeit erwähnt wird, bezieht den Plural auf eine Beratung Gottes mit seinem himmlischen Hofstaat, mit den Engeln. Doch diese Erklärung passt nicht. Einerseits würde Gott mit den Engeln ein gemeinsames Wir bilden. Andererseits wären die Menschen nach dem Bild der Engel geschaffen, was dem folgenden Vers widerspricht, weil es dort heißt, dass der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen wurde.
Die Jerusalemer Bibel nennt als zweite Möglichkeit:
Oder dieser Plural drückt die Herrlichkeit und den inneren Reichtum Gottes aus, dessen Name im Hebräischen, Elohim, eine Pluralform ist. Daraufhin haben die Kirchenväter hier eine Andeutung der Dreifaltigkeit gesehen.
Man kann nicht sagen, dass in diesem Vers schon die Dreieinigkeit gelehrt wird. Wir können dieses Wort aber als eine Vorbereitung auf diese Lehre verstehen.