Spuren der Dreieinigkeit in Ezechiels Berufungsvision?

In Ezechiel 1,4-28 beschreibt der Prophet die Schau der göttlichen Herrlichkeit, die er bei seiner Berufung im babylonischen Exil hatte. Er beschreibt den göttlichen Thronwagen, der ihm erschienen war in einer Weise, die es nicht leicht macht, sich ein Bild davon zu machen, was er sah.

Hieronymus schrieb in einem Brief über das Buch Ezechiel:

Anfang und Ende sind beim dritten (bei Ezechiel) von ihnen in solches Dunkel gehüllt, daß diese Stücke ähnlich wie auch der Anfang der Genesis von den Hebräern vor dem dreißigsten Jahre nicht gelesen werden. (Hieronymus, Brief an Paulinus 53,8)

Diese Vision vom Thronwagen Gottes ist tatsächlich nicht leicht zu verstehen. Eine Deutung aus moderner Zeit ist aber auf jeden Fall falsch, nämlich, dass Ezechiel von Außerirdischen besucht wurde und er in seiner Vision das Raumschiff beschreibt. Im Buch Ezechiel lesen wir immer wieder vom Sprechen Gottes zum Propheten ohne Zusammenhang mit einer derartigen Vision oder dass sich Ezechiel eines technischen Kommunikationsinstruments bedient hätte, das ihm die Außerirdischen gegeben hätten. Diese moderne Erklärung ist nur ein Produkt menschlicher Fantasie.

Vielleicht wollte Gott Ezechiel durch diese Vision zeigen, dass seine Gegenwart nicht an den Tempel von Jerusalem gebunden war, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht zerstört war. Die Räder und Flügel in der Vision könnten ein Hinweis auf die „Mobilität“ Gottes verstanden werden. Ezechiel war als Priester eng mit dem Tempel verbunden. Im Exil sollte er erfahren, dass Gott seinem Volk auch in der Verbannung nahe ist. Dazu passt vielleicht ein Wort aus Kapitel 11:

Darum sag: So spricht GOTT, der Herr: Gewiss, ich habe sie weit weg unter die Völker entfernt; gewiss, ich habe sie in die Länder zerstreut. Doch bin ich ihnen ein wenig zu einem Heiligtum geworden in den Ländern, wohin sie gekommen sind. (Ezechiel 11,16)

Auch wenn Gott ihnen nur „ein wenig zu einem Heiligtum“ geworden ist, war er doch bei ihnen und wollte sie im Exil zur Umkehr führen und dadurch zur Rückkehr in das Land der Verheißung vorbereiten.

Mir sind beim Lesen dieser Vision einige Details aufgefallen, die man vielleicht als Vorbereitung für die Offenbarung des dreieinen Wesen Gottes verstehen könnte.

In Ezechiel 1,4 heißt es:

Ich schaute und siehe: Ein Sturmwind kam von Norden, eine große Wolke und ein unaufhörlich aufflammendes Feuer, umgeben von einem hellen Schein. Und aus seiner Mitte, mitten aus dem Feuer, da strahlte es wie glänzendes Metall.

Im Hebräischen kann dasselbe Wort „Wind“ oder „Geist“ bedeuten. Man könnte hier auch vom „stürmenden Geist“ sprechen. An anderen Stellen des Buches werden dieselben Wörter aber für einen tatsächlichen Sturm verwendet, der aber auch dort von Gott kommt, um das Strafgericht Gottes auszuführen.

Darum – so spricht GOTT, der Herr: Ich lasse in meinem Zorn einen Sturmwind losbrechen, in meinem Groll wird ein Wolkenbruch kommen, in meinem Zorn ein verheerender Hagelschlag. (Ezechiel 13,13)

Darum ist in Ezechiel 1,4 wohl nicht der Heilige Geist gemeint. Gott kommt im Sturm, so wie er auch zu Ijob aus dem Sturm gesprochen hat (Ijob 38,1).

Ab Ezechiel 1,5 folgt eine Beschreibung einer „Gestalt von vier lebenden Wesen“. Von diesen Wesen heißt es:

Sie gingen, wohin der Geist sie trieb. (Ezechiel 1,12b)

Die vier lebenden Wesen waren auf Rädern. Auch über diese Räder heißt es in Vers 20:

Sie liefen, wohin der Geist sie trieb. Die Räder hoben sich zugleich mit ihnen; denn der Geist des lebenden Wesens war in den Rädern.

Der Wagen Gottes bewegte sich dorthin, wohin der Geist ihn trieb. Da es hier um ein Bild der Gegenwart Gottes ging, muss der Geist der Geist Gottes sein.

Beachtenswert ist auch die Beschreibung des Thrones und dessen, der auf dem Thron saß:

26 Und oberhalb des Gewölbes über ihren Häuptern war, dem Aussehen von Lapislazuli gleich, die Gestalt eines Thrones. Und über der Gestalt des Thrones war von oben her eine Gestalt, die das Aussehen eines Menschen hatte. 27 Und ich schaute: Es war wie glänzendes Metall, es hatte das Aussehen eines Feuerkranzes ringsum, es war oberhalb von dem, was wie seine Hüften aussah. Unterhalb von dem, was wie seine Hüften aussah, schaute ich etwas, was das Aussehen von Feuer hatte, und ein heller Schein war ringsum. (Ezechiel 1,26-27)

Dieser Abschnitt erinnert an die Vision von Exodus 24,9-10:

9 Danach stiegen Mose, Aaron, Nadab, Abihu und die siebzig von den Ältesten Israels hinauf 10 und sie schauten den Gott Israels. Die Fläche unter seinen Füßen war wie mit blauem Edelstein ausgelegt und glänzte hell wie der Himmel selbst.

Im Hebräischen steht für den Edelstein an beiden Stellen סַפִּיר / sappîr (vergleiche das deutsche Wort Saphir). In Exodus wird nur die „Fläche unter seinen Füßen“ beschrieben, nicht aber Gott selbst. In der Vision Ezechiels ist aber von einer Gestalt die Rede, „die das Aussehen eines Menschen hatte“.

In Genesis 1,26-27 lesen wir, dass Gott den Menschen als sein Bild erschaffen hat. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Israeliten im Umkehrschluss Gott wie einen Menschen vorgestellt hätten. So könnte diese „Gestalt, die das Aussehen eines Menschen hatte“, die Ezechiel in seiner Vision schaute, schon eine Vorbereitung auf die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus sein.

Auch die Vision des Menschensohns, der Johannes auf Patmos erschien, scheint an Ezechiel 1,27 zu erinnern.

13 und mitten unter den Leuchtern einen gleich einem Menschensohn; […] 15 seine Beine glänzten wie Golderz, das im Schmelzofen glüht, […] (Offenbarung 1,13-15)

Die Details der Vision Ezechiels sind nicht einfach zu verstehen. Doch wenn der Gott, der im Alten Bund zu den Propheten gesprochen hat, derselbe Gott ist, der sich in Jesus Christus offenbart hat, dürfen wir erwarten, dass er schon im Alten Bund die volle Offenbarung seines Wesens vorbereitet hat. So möchte ich es zumindest nicht ausschließen, dass auch die Vision Ezechiels schon auf das dreieine Wesen Gottes hinweist.

Wie Ezechiel sollen auch wir uns vor Gott beugen.

Wie das Aussehen des Regenbogens, der sich an einem Regentag in den Wolken zeigt, so war das Aussehen des strahlenden Glanzes ringsum. Das war das Aussehen der Gestalt der Herrlichkeit des HERRN. Und ich schaute und ich fiel nieder auf mein Angesicht. (Ezechiel 1,28)

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