Das Wort „kleingläubig“ bzw. „Kleinglaube“ kommt sechsmal im Neuen Testament vor, fünfmal bei Matthäus, einmal bei Lukas. Das griechische Wort ὀλιγόπιστος / oligópistos bedeutet eigentlich „wenig gläubig“ und ist im Griechischen vor dem Neuen Testament nicht belegt.
Was bedeutet dieses Wort? Kann man Glaube quantifizieren in viel oder wenig Glaube, kann man zwischen großem oder kleinem Glauben unterscheiden? Ist Kleinglaube überhaupt Glaube?
Betrachten wir die Stellen, an denen dieses Wort steht!
Irdische Sorge
28 Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien des Feldes, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. 29 Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. 30 Wenn aber Gott schon das Gras so kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen in den Ofen geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen! (Matthäus 6,28-30)
27 Seht euch die Lilien an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. 28 Wenn aber Gott schon das Gras so kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen in den Ofen geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen! (Lukas 12,27-28)
Die Verse aus Matthäus 6 finden sich in der Bergpredigt, die im Grunde eine Belehrung der Jünger war (Matthäus 5,1-2), auch wenn diese Belehrung in der Gegenwart vieler Menschen stattfand, für die diese Worte durchaus auch gedacht waren.
In Lukas ist in Vers 22 ausdrücklich von einer Belehrung der Jünger die Rede. Sie wird im Anschluss an das Gleichnis vom reichen Kornbauer erzählt, mit dem Jesus auf die Bitte eines Menschen, ihm bei der Erbteilung zu helfen, reagiert hat.
Jesus ermuntert und ermahnt seine Jünger zum Vertrauen, dass Gott für sie sorgen wird. Sie sollen sich um die irdischen Dinge keine Sorgen machen, da Gott sich um sie kümmert. Die Suche von Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit muss zuerst kommen (Matthäus 6,33; Lukas 12,31).
Jesus hat zu seinen Jüngern gesprochen. Es geht um Menschen, die ihr altes Leben, ihren Beruf, ihre Familien hinter sich gelassen haben, um Jesus nachzufolgen. Es geht nicht um Ungläubige. Aber wenn sie von der Sorge um die irdischen Güter, um Nahrung und Kleidung beherrscht werden, zeigt sich darin eine Haltung, die nicht alles in die Hand Gottes legt, nicht das volle Vertrauen in Gott. Sie glauben und vertrauen Gott grundsätzlich und haben Gott und sein Reich an die erste Stelle in ihrem Leben gesetzt, aber durch die Sorge bekunden sie doch fehlenden Glauben.
Beim Seesturm
26 Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen? Dann stand er auf, drohte den Winden und dem See und es trat völlige Stille ein. (Matthäus 8,26)
In den Parallelberichten von Markus und Lukas fehlt das Wort „Kleingläubiger“.
39 Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich und es trat völlige Stille ein. 40 Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? (Markus 4,39-40)
Er stand auf, drohte dem Wind und den Wellen und sie legten sich und es trat Stille ein. 25 Er aber sagte zu ihnen: Wo ist euer Glaube? (Lukas 8,24b-25a)
Hier werden die Jünger nicht „Kleingläubige“ genannt, aber Jesus fragt sie, wo ihr Glaube ist, bzw. ob sie keinen Glauben haben. Er geht davon aus, dass sie gläubig sind. Aber in der Situation des Sturmes haben sie sich von der Angst beherrschen lassen und nicht vom Vertrauen, dass Gott sie bewahren wird, wenn doch der von Gott gesandte Jesus bei ihnen ihm Boot war.
Der sinkende Petrus
28 Petrus erwiderte ihm und sagte: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme! 29 Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot und kam über das Wasser zu Jesus. 30 Als er aber den heftigen Wind bemerkte, bekam er Angst. Und als er begann unterzugehen, schrie er: Herr, rette mich! 31 Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? (Matthäus 14,28-31)
Petrus hatte einen Glaubensschritt gesetzt. Auf das Wort Jesu hin stieg er aus dem Boot und ging auf Jesus zu. Doch dann bekam er Angst. Der Blick auf die äußeren Umstände hat ihm den Glauben genommen, nicht den Glauben grundsätzlich, aber den Glauben, dass er in der Situation durch das Wirken Jesu auf dem Wasser gehen kann. Die übrigen Jünger, die diesen Schritt nicht gewagt haben, kamen nicht in diese Gefahr und wurden auch nicht „Kleingläubige“ genannt. Das bedeutet aber nicht, dass Petrus diesen Glaubensschritt nicht hätte setzen sollen, um nicht danach Kleingläubiger genannt zu werden.
Sorge ums Brot
5 Und die Jünger fuhren an das andere Ufer. Sie hatten vergessen, Brote mitzunehmen. 6 Jesus sagte zu ihnen: Gebt Acht und hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer! 7 Sie aber machten sich untereinander Gedanken und sagten: Wir haben kein Brot mitgenommen. 8 Als Jesus das merkte, sagte er: Ihr Kleingläubigen, was macht ihr euch darüber Gedanken, dass ihr kein Brot habt? 9 Begreift ihr noch nicht? (Matthäus 16,5-9a)
In der Markusparallele heißt es:
17 Als er das merkte, sagte er zu ihnen: Was macht ihr euch darüber Gedanken, dass ihr keine Brote habt? Begreift und versteht ihr immer noch nicht? Ist denn euer Herz verstockt? 18 Habt ihr denn keine Augen, um zu sehen, und keine Ohren, um zu hören? (Markus 8,17-18a)
Im Vergleich zu Matthäus sind die Worte bei Markus strenger. Da ist von einem verstockten Herz die Rede, nicht „nur“ von Kleinglauben. Jesus hatte sich nach der langen Zeit, die er schon mit seinen Jüngern verbracht hatte, mehr erwartet. Dass bei der Warnung vor dem Sauerteig der Pharisäer ihre Gedanken zuerst beim Brot waren, das sie vergessen hatten, ohne die geistliche Warnung in den Worten Jesu zu erkennen, zeigt, dass die irdischen Sorgen, vor denen sie Jesus schon gewarnt hatte, immer noch stark waren. Die harten Worte Jesu setzen aber den grundsätzlichen Glauben der Jünger voraus, ohne den sie gar nicht mit Jesus zusammen gewesen wären.
Fehlende Wunderkraft
19 Als die Jünger mit Jesus allein waren, wandten sie sich an ihn und fragten: Warum konnten denn wir den Dämon nicht austreiben? 20 Er antwortete: Wegen eures Kleinglaubens. Denn, amen, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von hier nach dort! und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein. (Matthäus 17,19-20)
Hier lautet die Parallele bei Markus etwas anders:
28 Jesus trat in das Haus und seine Jünger fragten ihn, als sie allein waren: Warum konnten denn wir den Dämon nicht austreiben? 29 Er antwortete ihnen: Diese Art kann nur durch Gebet ausgetrieben werden.
Als Jesus mit Petrus, Jakobus und Johannes am Rückweg vom Berg der Verklärung war, wurden die übrigen Jünger mit einem besessenen Knaben konfrontiert, den sie nicht heilen konnten, obwohl sie von Jesus die Vollmacht zu Wundertaten empfangen hatten. Nach Matthäus sah Jesus den Grund dafür in ihrem Kleinglauben, nach Markus wies Jesus auf das Gebet hin. Die beiden Antworten stehen nicht im Gegensatz zueinander. Jesus konnte beides gesagt haben. Es ist die Verbindung mit Gott im Gebet, die den Glauben stärkt. Vielleicht waren es die Zweifel des Vaters des Knaben, die auch die Jünger beeindruckt haben, sodass sie nicht die Vollmacht zu diesem Wunder hatten. Der glaubensvolle Blick auf Gott hätte sie davor bewahrt.
Zusammenschau
Nur die Jünger Jesu werden „Kleingläubige“ genannt. Sie sind keine Ungläubigen, sondern Menschen in der Nachfolge Jesu. Der Kleinglaube ist also kein grundsätzlicher Unglaube, aber fehlender Glaube in konkreten Situationen, wenn der Blick auf die äußeren Umstände oder die materiellen Sorgen den Blick von Gott oder Jesus ablenken. Vielleicht könnte man von einem situativen Unglauben sprechen, der aber die grundlegende Glaubensentscheidung voraussetzt. Wenn Jesus seine Jünger „Kleingläubige“ nannte, dann tat er das, um sie zu einem beständigen Leben aus dem Glauben zu führen.
Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du wieder umgekehrt bist, dann stärke deine Brüder!
(Lukas 22,32)