„Wer zu seinem Bruder sagt: Du Narr!, …“ – Hat sich Jesus selbst in die Hölle geschickt?

Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.
(Matthäus 5,22)

In der Bergpredigt machte Jesus deutlich, dass Gottes Gebote nicht nur oberflächlich erfüllt werden dürfen. Die Gerechtigkeit, die Gott verlangt, muss größer sein als die der Schriftgelehrten und Pharisäer (Matthäus 5,20), die sich mit einem buchstäblichen Gehorsam begnügt haben, aber nicht gesehen haben, dass auch die Wurzel des Übels, das durch die Gebote bekämpft wird, auszurotten ist.

Darum hat Jesus das Gebot „Du sollst nicht töten!“ vertieft und darauf hingewiesen, dass die Wurzel, die hinter der Sünde des Mordens steckt, eine verächtliche Gesinnung ist, die sich im Zürnen und Beschimpfen des Mitmenschen zeigt. Wir dürfen nicht selbstzufrieden darauf stolz sein, dass wir keinen Menschen umgebracht haben, sondern sollen erkennen, dass die Verachtung, mit der wir anderen Menschen begegnen, uns nicht nur von diesen Menschen, sondern auch von Gott trennt. Die Sünde des Mordes fängt im Herzen an.

Darum sagte Jesus auch am Beginn der Bergpredigt:

Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen. (Matthäus 5,8)

Wer sein Herz von Gott reinigen lässt, verbannt allen Groll und Hass auf andere Menschen und begegnet ihnen mit der Achtung, die ihnen als Gottes Geschöpfen gebührt.

Doch hat nicht Jesus selber andere „Narr“ genannt?

Ein islamischer Apologet hat als Argument gegen die Verlässlichkeit des Neuen Testaments angeführt, dass sowohl Jesus als auch Paulus andere als „Narren“ bezeichnet haben und deswegen in der Hölle sein sollten.

Seine Belegstellen waren:

Da sagte er zu ihnen: Ihr Unverständigen, deren Herz zu träge ist, um alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben. (Lukas 24,25)

Ihr unvernünftigen Galater, wer hat euch verblendet? Ist euch Jesus Christus nicht deutlich als der Gekreuzigte vor Augen gestellt worden? (Galater 3,1)

Er hat dabei bewusst eine englische Übersetzung (möglicherweise die New International Version) verwendet, in der an allen drei Stellen das Wort „fools“ oder „foolish“ steht. In den deutschen Übersetzungen wäre aufgefallen, dass hier unterschiedliche Wörter stehen.

In Lukas 24,25 und Galater 3,1 steht: ἀνόητος / anóētos – „unverständig“. Das Wort ist gewiss kein Lob, aber auch keine Beschimpfung. Sowohl Jesus als auch Paulus haben im weiteren Zusammenhang den betreffenden Jüngern geholfen, Verständnis zu gewinnen.

In Matthäus 5,22 steht für „Narr“: μωρός / mōrós. Auch dieses Wort kann je nach Zusammenhang unterschiedliche Bedeutungen haben.

In der Septuaginta steht dieses Wort auch in Jesaja 32,6:

Denn der Dummkopf redet Dummes und sein Herz tut Unheil, um Ruchloses zu tun und Lästerliches über den HERRN zu reden, er lässt die Kehle des Hungrigen leer ausgehen und dem Durstigen versagt er den Trank.

Eigentlich ist die Übersetzung „Dummkopf“ an dieser Stelle nicht korrekt. Es geht hier nicht um mangelnde Intelligenz, sondern um Bosheit und Gottlosigkeit. Auch das hebräische Wort נָבָל / nābāl hat diese Bedeutung. In Matthäus 5,22 warnte Jesus davor, andere in dieser Weise zu beschimpfen.

Es ist offensichtlich, dass es sowohl im Gespräch des auferstandenen Jesus mit den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus als auch im Galaterbrief um etwas völlig anderes geht. Das von dem Muslim Hamdi vorgebrachte Argument erreicht sein Ziel nicht.

Allerdings finden wir in der Rede Jesu gegen die Pharisäer tatsächlich das Wort μωρός / mōrós in seinem Mund.

16 Weh euch, ihr seid blinde Führer! Ihr sagt: Wenn einer beim Tempel schwört, gilt es nicht, wenn er aber beim Gold des Tempels schwört, gilt es. 17 Ihr blinden Narren! Was ist wichtiger: das Gold oder der Tempel, der das Gold erst heilig macht? (Matthäus 23,16-17)

Hat Jesus hier gegen seine eigenen Worte gehandelt?

Jesus hat in der Bergpredigt keine Liste der verbotenen Wörter geliefert. Er hat auf die Gesinnung abgezielt, die unser Verhalten und unser Sprechen leiten soll.

In der Rede gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten hat Jesus mit sehr harten Worten gesprochen. Er hat aber niemals auf einen Einzelnen unter ihnen abgezielt. Es ging ihm darum zu zeigen, welche Gesinnung hinter welchem Verhalten steht.

Im konkreten Zusammenhang ging es um das Schwören. Jesus hat in Matthäus 5,33-37 das Schwören grundsätzlich abgelehnt. In Matthäus 23 hat Jesus gezeigt, dass auch innerhalb des unter Juden noch gebräuchlichen Schwörens die pharisäischen Regeln, mit denen sie festlegen, wann ein Schwur gültig ist, ihre gottlose Gesinnung offenbaren. Wer den Maßstab hat, dass das Gold des Tempels wichtiger ist als der Tempel, missachtet dadurch den Tempel Gottes. Er zeigt dadurch, dass ihm das Verständnis für die geistliche Realität fehlt. Er offenbart sich so als gottloser Narr, der blind ist für geistliches Verständnis. Das Urteil Jesu bezieht sich so auf das Verhalten und das Regelwerk der Schriftgelehrten und Pharisäer.

Diese Worte waren eine Herausforderung für die Pharisäer. Identifiziere ich mich mit dem, was Jesus kritisiert, so betrifft mich sein Urteil. Verstehe ich durch Jesu Worte, wie sehr ich bisher im Irrtum war, dann kann ich mich ändern und das Urteil betrifft mich nicht mehr.

Das Ziel Jesu war nicht, die Pharisäer zu beschimpfen und zu missachten, sondern ihnen mit deutlichen Worten ihren Irrtum und ihre Bosheit zu zeigen, um sie daraus herauszurufen. Sein Motiv war Liebe.

Auch in der Bergpredigt verwendet Jesus noch einmal das Wort μωρός / mōrós.

24 Jeder, der diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute. 25 Als ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es nicht ein; denn es war auf Fels gebaut. 26 Und jeder, der diese meine Worte hört und nicht danach handelt, ist ein Tor, der sein Haus auf Sand baute. 27 Als ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es ein und wurde völlig zerstört. (Matthäus 7,24-27)

Auch hier geht es nicht um eine Beschimpfung der Zuhörer. Jesus weist auf die Konsequenz der Missachtung der gehörten Worte hin. Wer die Worte Jesu ignoriert, handelt dumm und gottlos, weil er die Basis, auf die er aufbauen sollte, missachtet. Sein Leben und seine Werke werden keinen Bestand haben. Davor will uns Jesus bewahren und hat darum klare Worte verwendet.

Es ist wichtig, immer den Zusammenhang zu beachten, in dem etwas gesagt wird. Oberflächliches Vergleichen von Wörtern ist zu wenig.

Die Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten! (Römer 12,9)

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