„Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme …“

20 Petrus wandte sich um und sah den Jünger folgen, den Jesus liebte und der beim Abendmahl an seiner Brust gelegen und ihm gesagt hatte: Herr, wer ist es, der dich ausliefert? 21 Als Petrus diesen sah, sagte er zu Jesus: Herr, was wird denn mit ihm? 22 Jesus sagte zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht das dich an? Du folge mir nach! 23 Da verbreitete sich unter den Brüdern die Meinung: Jener Jünger stirbt nicht. Doch Jesus hatte ihm nicht gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht das dich an? (Johannes 21,20-23)

Dieses Gespräch zwischen Petrus und dem auferstandenen Herrn Jesus folgte auf den Dialog, in dem Jesus Petrus nach seiner Liebe zu ihm fragte und ihn damit beauftragte, seine Schafe zu weiden, d. h., sich in den Dienst an den Nachfolgern Jesu zu stellen. Außerdem hat Jesus Petrus angekündigt, dass er als alter Mann wegen seine Treue zu Jesus als Märtyrer sterben werde (Johannes 21,18-19).

Als der Blick Petri auf Johannes fiel, stellte sich für ihn die Frage, ob Johannes ein ähnliches Schicksal ereilen werde. Doch Jesus sagte ihm, dass das nicht seine Sache ist. Petrus soll Jesus nachfolgen. Welchen Plan Gott mit Johannes vorhat, ist für Petrus nicht so wichtig.

Doch warum hat Jesus das mit gerade diesen Worten ausgedrückt: „Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme“?

Als Johannes Jahrzehnte diese Worte Jahrzehnte nach dem Jesus sie gesprochen hatte, niederschrieb, war offensichtlich unter den Jüngern ein Gerücht im Umlauf, dass Johannes nicht sterben würde. Deswegen war es für den Evangelisten wichtig, den genauen Wortlaut der Worte Jesu niederzuschreiben. Er wollte betonen, dass Jesus nicht gesagt hat, dass „jener Jünger nicht stirbt“.

Der Hinweis auf den Tod Petri in Vers 19 legt nahe, dass Johannes diese Worte erst nach dessen Tod in der neronischen Verfolgung geschrieben hat. Das war frühestens im Jahr 65. Es ist möglich, dass damals auch schon einige andere aus dem Zwölferkreis ihr Leben für den Glauben gegeben haben. Sicher können wir das aber nur von Jakobus, den Bruder von Johannes sagen, den wahrscheinlich im Jahr 41 Herodes Agrippa enthaupten ließ (Apostelgeschichte 12,1-2). Über die übrigen der Apostel gibt es nur legendenhafte Überlieferungen. Deshalb sind hier sichere Aussagen nicht möglich. Die Vermutung mancher Gläubiger, dass Johannes nicht sterben werde, konnte aber dadurch bestärkt werden, dass sie sahen, dass der Zwölferkreis immer kleiner geworden ist.

Die Annahme dieser Jünger, dass Johannes nicht sterben werde, setzt voraus, dass sie erwartet haben, dass Jesus bald wiederkommen werden würde. Sie haben gewiss nicht gedacht, dass Johannes ein Lebensalter von mehreren Jahrhunderten oder Jahrtausenden erreichen würde.

Auch wenn die Apostel nie die Naherwartung gelehrt haben, ist es durchaus verständlich, dass es Jünger gab, die so dachten. Wir wissen, dass es in Thessalonich derartige Gedanken gab, woraufhin Paulus gegen diese Erwartung den 2. Thessalonicherbrief schrieb. In den Jahren vor dem Jüdischen Krieg und der von Jesus angekündigten Zerstörung Jerusalems, die nach Matthäus 24,34 noch zur Zeit seiner Generation geschehen sollte, war es nicht so einfach zwischen den beiden eschatologischen Ereignissen, dem Gericht über Jerusalem und dem Gericht über die ganze Welt, zu unterscheiden. Man darf daraus aber nicht den Schluss ziehen, dass die Naherwartung der Wiederkunft Jesu die allgemeine Überzeugung der frühen Christen oder sogar der Apostel gewesen sei.

In gewisser Weise war das Gericht über Jerusalem ein Kommen Jesu, wenn auch nicht sein sichtbares Kommen am Ende der Zeit. Das „Kommen des Menschensohns in seinem Reich“ in Matthäus 16,28 ist vermutlich auf das Jahr 70 zu beziehen, in dem durch das Gericht über Jerusalem sichtbar wurde, dass das Reich des Menschensohns in der Gemeinde seiner Jünger zu finden ist. Auch das Alte Testament spricht vom „Kommen“ Gottes zum Gericht (Psalm 50,3; vergleiche Amos 4,6-12).

So wäre es eine Erklärungsmöglichkeit, dass Jesus in Johannes 21,22 nicht sein sichtbares Kommen als Richter aller Menschen gemeint hätte, sondern sein Kommen zum Gericht über Israel. Im Jahre 70 hat Johannes noch gelebt.

Ich würde das aber als die weniger wahrscheinliche Deutung sehen. Wahrscheinlicher ist das Verständnis, dass Jesus gemeint habe, dass es für Petrus nicht wichtig ist, wann und unter welchen Umständen Johannes sterben würde, „selbst, wenn ich wollte, dass er bis zu meiner Wiederkunft bliebe“. Es ist die Aufgabe von Petrus, Jesus nachzufolgen, seinen Dienst in Treue und Liebe bis zur Vollendung durch seinen Tod als Märtyrer zu erfüllen. Er soll auf seine Aufgabe achten, nicht aus dem Vergleich mit einem anderen Jünger heraus leben. Der Blick muss immer auf Jesus gerichtet sein, dem es gilt, nachzufolgen. Diese Erklärung setzt nicht voraus, dass Jesus irgendeine Andeutung machen wollte, dass seine Wiederkunft noch während der Lebenszeit von Johannes geschehen würde. Jesus würde nur gesagt haben, dass Petrus völlig unabhängig von dem, was mit Johannes sein wird, Jesus nachfolgen soll.

Deshalb umgürtet euch und macht euch bereit! Seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch bei der Offenbarung Jesu Christi geschenkt wird! (1 Petrus 1,13)

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