1 Schon viele haben es unternommen, eine Erzählung über die Ereignisse abzufassen, die sich unter uns erfüllt haben. 2 Dabei hielten sie sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren. 3 Nun habe auch ich mich entschlossen, nachdem ich allem von Beginn an sorgfältig nachgegangen bin, es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben. 4 So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterwiesen wurdest. (Lukas 1,1-4)
Das sind die einleitenden Worte des Evangeliums Jesu Christi nach Lukas.
Manche Muslime sehen in diesen Worten den Beleg dafür, dass dieses Buch nicht von Gott kommen kann. Der Autor dieser Zeilen ist ganz eindeutig ein Mensch, der sich mit menschlicher Anstrengung bemüht hat, alles, was geschehen ist, genau zu erfahren und für den hochverehrten Theophilus aufzuschreiben.
Kein Christ wird das je bestreiten. Lukas ist bei der Niederschrift seines Werkes wie ein Historiker vorgegangen. Er hat die Augenzeugen und Diener des Wortes aufgesucht, die über alles, was Jesus betraf, genau Bescheid wussten. Freilich hatte er ein Ziel mit der Niederschrift seines Werkes. Es ging nicht nur um die nackten historischen Tatsachen, sondern seine Schrift sollte eine Hilfe sein, sich von der Zuverlässigkeit der christlichen Lehre zu überzeugen. Der Autor hatte sicher gute Absichten. Aber war es nicht doch nur Menschenwerk?
Es ist notwendig, auf das unterschiedliche Inspirationsverständnis im Christentum und im Islam hinzuweisen. Während Muslime denken, dass Gott sich so offenbart, dass er sein absolut fehlerfreies Werk „herabsendet“, das ohne jedes menschliche Zutun zustande kam, denken Christen, dass Gott sich durch Menschen offenbart hat, die einerseits unvollkommene Kinder ihrer Zeit waren, andererseits aber durch den Geist Gottes geführt waren, der sie darin führte, seinen Willen klar kundzutun, auch wenn sie ihn mit ihren eigenen Worten formulierten. Einzig Jesus Christus ist Gottes Wort in Person. Sein Wort ist ganz direkt Gottes Wort. Er sprach ohne irgend einen Mittler – anders als Mohammed, der nicht behauptete, den Koran direkt von Gott erhalten zu haben, sondern sich auf die Mittlerschaft des Engels Gabriel berief.
Die vier „Evangelien“ genannten Schriften, sind im Grunde nur ein einziges Evangelium, die eine frohe Botschaft vom Kommen des Messias in unsere Welt, der uns durch seine Hingabe den Weg zum himmlischen Vater bereitet hat. Die vier Schreiber dieser Bücher (einer von ihnen war Lukas) haben unter der Führung des Heiligen Geistes das Kommen von Gottes ewigem Wort, Jesus Christus, bezeugt. Die Gemeinde der Gläubigen hat ihre Schriften von Anfang an als gottgewirkte Schriften anerkannt. Auch das war das Werk des Heiligen Geistes, den Jesus seinen Jüngern verheißen hat. Es gab niemals ein anderes „Evangelium“ genanntes Werk, das von der gesamten Kirche als authentisch akzeptiert worden wäre. Wenn im 7. Jahrhundert der Koran vom Evangelium im Singular spricht, kommt nur das viergestaltige eine Evangelium, das die Gemeinde seit dem 1. Jahrhundert hatte, in Frage. Es gab kein anderes Evangelium.1 Alle anderen „Evangelien“ sind reines Menschenwerk, oft sehr phantasievoll, und nicht vor dem zweiten Jahrhundert geschrieben, also zu einer Zeit, als es keine Augenzeugen mehr gab.
In Lukas 1,1 ist von „vielen“ die Rede, die es bereits unternommen haben, eine Erzählung über die Ereignisse abzufassen. Es ist nicht ganz klar, welche Schriften Lukas damit gemeint haben könnte. Sollte er die Evangelien von Markus und Matthäus gemeint haben, würde das Wort „viele“ zumindest eine Übertreibung sein. Wir können davon ausgehen, dass im 1. Jahrhundert unter den Jüngern ein großes Interesse bestand, die Worte und Taten Jesu auch in schriftlicher Form zu haben. Da mag es etliche Jünger gegeben haben, die versucht haben, alles, was sie über Jesus wussten, zusammenzuschreiben. Diese Schriften mögen in manchen Situationen auch ganz hilfreich gewesen sein. Aber offensichtlich hatten sie nicht die Qualität, die wir in den vier kanonischen Evangelien vorfinden, und haben nach der Niederschrift dieser Bücher ihre Bedeutung verloren und wurden nicht mehr weiter überliefert.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass auch der Koran nicht die Kriterien erfüllt, die ein von Gott „herabgesandtes“ vollkommenes Buch erfüllen sollte. Mehr dazu gibt es hier, hier, hier und hier.
Du aber bleibe bei dem, was du gelernt und wovon du dich überzeugt hast. Du weißt, von wem du es gelernt hast; denn du kennst von Kindheit an die heiligen Schriften, die dich weise machen können zum Heil durch den Glauben an Christus Jesus. (2 Timotheus 3,14-15)
- Da im syrischen Bereich das „Diatessaron“, eine von Tatian auf der Basis der vier kanonischen Evangelien verfasste Evangelienharmonie, lange Zeit im Gebrauch war, könnte die koranische Terminologie vom Evangelium als einem einzigen Buch davon beeinflusst worden sein. ↩