Gott ist kein Mensch, der lügt, kein Menschenkind, das etwas bereut. Spricht er etwas und tut es dann nicht, sagt er etwas und hält es dann nicht? (Numeri 23,19)
Manche Muslime zitieren diesen Vers gerne, um gegen die christliche Lehre der Inkarnation, d. h. der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, zu argumentieren. Haben sie recht?
Der Zusammenhang dieses Wortes
Als das Volk Israel auf seinem Weg von Ägypten nach Kanaan war, schlugen sie ihr Lager in den Steppen von Moab auf, jenseits des Jordan bei Jericho (Numeri 22,1). Balak, der König von Moab bekam es mit der Angst zu tun und sandte Boten nach Mesopotamien zum Propheten Bileam. Er rief ihn, zu kommen und das Volk Israel zu verfluchen (Numeri 22,5-6). Bileam kam, aber mit der Auflage, nur das zu sagen, was ihm Gott in den Mund legt (Numeri 22,38).
Balak und Bileam brachten ein großes Opfer von sieben Stieren und sieben Widdern dar. Daraufhin sprach Bileam diese Worte:
7b Aus Aram führte mich Balak her, der König von Moab vom Ostgebirge: Geh, verfluche mir Jakob! Geh, verdamme Israel! 8 Doch wie kann ich verwünschen, wen Gott nicht verwünscht, wie kann ich verdammen, wen der HERR nicht verdammt? 9 Denn vom Gipfel der Felsen sehe ich es, von den Höhen aus erblicke ich es: Siehe, ein Volk, es wohnt für sich, es zählt sich nicht zu den Nationen. 10 Wer zählt Jakobs Menge, zahlreich wie Staub, wer die Zehntausende Israels? Oh, könnte ich den Tod der Gerechten sterben und wäre mein Ende dem seinen gleich. (Numeri 23,7b-10)
König Balak war über diese Worte Bileams nicht erfreut. Bileam rechtfertigte sich:
Muss ich nicht darauf achten, nur das zu sagen, was der HERR mir in den Mund legt? (Numeri 23,12)
Balak führte Bileam an einen anderen Ort, opferte wieder sieben Stiere und sieben Widder. Daraufhin empfing Bileam erneut ein Wort von Gott:
18b Auf, Balak, höre, lausche mir, Sohn Zippors! 19 Gott ist kein Mensch, der lügt, kein Menschenkind, das etwas bereut. Spricht er etwas und tut es dann nicht, sagt er etwas und hält es dann nicht? 20 Siehe, Segen habe ich empfangen; er hat gesegnet, ich kann es nicht widerrufen. 21 Man erblickt kein Unrecht in Jakob, man sieht kein Unheil in Israel. Der HERR, sein Gott, ist mit ihm und königlicher Jubelschall ist in ihm. 22 Gott hat sie aus Ägypten herausgeführt. Er hat Hörner wie ein Wildstier. 23 Denn kein Zauber wirkt gegen Jakob und kein Orakel gegen Israel. […] (Numeri 23,18b-23a)
Dieses Wort Bileams sollte Balak klar machen, dass er nicht erwarten soll, dass Gott sein früheres Segenswort widerrufen wird. Gott ist kein Lügner, der einmal so und dann wieder anders redet. Sein Wort ist fest und unumstößlich. Unter Menschen ist es nicht ungewöhnlich, dass jemand lügt. Gott hingegen ist kein Mensch, der lügt. Er ist die Wahrheit. Was Gott spricht, das tut er.
Zur Bestätigung fügte Bileam einen weiteren Segensspruch über Israel an. Weil Gott sein Volk segnet, kann kein Zauber oder kein Orakel diesem Segen entgegenwirken.
Was sagt dieses Wort und was sagt es nicht?
Gottes Wort ist verlässlich. Gott ist kein Lügner. Er wechselt seine Meinung nicht von einem Tag auf den anderen, wie es bei Menschen vorkommt. Das war die Botschaft Gottes durch Bileam an Balak. Diese Botschaft gilt auch außerhalb des konkreten Zusammenhangs. Jeder Mensch darf sich auf Gottes Wort verlassen. Gott ist die Wahrheit. Er ist kein Listenschmied (anders als Sure 3,54).
Die Hauptaussage ist nicht: „Gott ist kein Mensch.“, sondern: „Gott ist kein Mensch, der lügt.“
Diese Situation ereignete sich mehr als 1000 Jahre vor Christus, also mehr als 1000 Jahre vor der Inkarnation des ewigen Wortes Gottes. Damals war Gott kein Mensch.
Das Wort Bileams macht aber keine Aussagen über Gottes künftigen Heilsplan. Die Menschwerdung Gottes war damals kein Thema und wäre für den Polytheisten Balak völlig unverständlich gewesen. Es ist ein Anachronismus, in dieses Wort Bileams etwas hineinzulesen, was zu seiner Zeit nicht nur keine Frage war, sondern auch ganz falsch verstanden worden wäre. Zuerst musste Gott durch eine lange leidvolle Geschichte hindurch und durch viele Ermahnungen von Propheten im Volk Israel den Monotheismus festigen, damit eine feste Grundlage da war, auf der Gott das Geheimnis der Menschwerdung offenbaren konnte. Anderenfalls wäre die Gefahr eines polytheistischen Missverständnisses zu groß gewesen.