Doch meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde – bringt sie her und macht sie vor meinen Augen nieder! (Lukas 19,27)
In Diskussionen mit Muslimen wird immer wieder auf diesen Vers verwiesen, um dem Argument, dass Mohammed wegen seiner Kriege und Gewalttaten kein Prophet Gottes gewesen sein kann.
Man kann davon ausgehen, dass die allermeisten derer, die auf diesen Vers verweisen, nicht selber die Bibel geöffnet haben und diesen Vers im Zusammenhang gelesen haben, sondern dass hier nur ein von „Apologeten“ gehörtes oder gelesenes Argument wiederholt wird.
Weiters würde ein Verbrechen Jesu, so er es begangen hätte, zwar gegen Jesus sprechen, aber die Verbrechen Mohammeds würden dadurch in keiner Weise gerechtfertigt. Eine Zerstörung der Autorität Jesu würde nur ein weiteres Argument gegen den Islam liefern, da Muslime Jesus als ihren Propheten betrachten. Zwei verbrecherische Propheten statt nur einem machen den Islam nicht besser.
Doch lesen wir den Text im Zusammenhang:
11 Weil Jesus schon nahe bei Jerusalem war, meinten die Menschen, die von alldem hörten, das Reich Gottes werde sofort erscheinen. Daher erzählte er ihnen ein weiteres Gleichnis. 12 Er sagte:
Ein Mann von vornehmer Herkunft wollte in ein fernes Land reisen, um die Königswürde für sich zu erlangen und dann zurückzukehren. 13 Er rief zehn seiner Diener zu sich, verteilte unter sie zehn Minen und sagte: Macht Geschäfte damit, bis ich wiederkomme!
14 Seine Bürger jedoch hassten ihn und schickten eine Gesandtschaft hinter ihm her und ließen sagen: Wir wollen nicht, dass dieser Mann über uns König wird.
15 Und es geschah, als er die Königswürde empfangen hatte und zurückkehrte, da ließ er die Diener, denen er das Geld gegeben hatte, zu sich rufen. Er wollte sehen, welchen Gewinn sie bei ihren Geschäften erzielt hatten.
16 Der erste kam und sagte: Herr, deine Mine hat zehn Minen eingebracht. 17 Da sagte der König zu ihm: Sehr gut, du bist ein guter Diener. Weil du im Kleinsten zuverlässig warst, sollst du Herr über zehn Städte werden. 18 Der zweite kam und sagte: Herr, deine Mine hat fünf Minen eingebracht. 19 Zu ihm sagte der König: Du sollst über fünf Städte herrschen. 20 Nun kam ein anderer und sagte: Herr, siehe deine Mine. Ich habe sie in einem Schweißtuch aufbewahrt; 21 denn ich hatte Angst vor dir, weil du ein strenger Mann bist: Du hebst ab, was du nicht eingezahlt hast, und erntest, was du nicht gesät hast. 22 Der König antwortete: Aus deinem eigenen Mund spreche ich dir das Urteil. Du bist ein schlechter Diener. Du hast gewusst, dass ich ein strenger Mann bin? Dass ich abhebe, was ich nicht eingezahlt habe, und ernte, was ich nicht gesät habe? 23 Warum hast du dann mein Geld nicht auf die Bank gebracht? Dann hätte ich es bei der Rückkehr mit Zinsen abheben können. 24 Und zu denen, die dabeistanden, sagte er: Nehmt ihm die Mine weg und gebt sie dem, der die zehn Minen hat! 25 Sie sagten zu ihm: Herr, er hat doch schon zehn. 26 Ich sage euch: Wer hat, dem wird gegeben werden; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. 27 Doch meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde – bringt sie her und macht sie vor meinen Augen nieder!
(Lukas 19,11-27)
Schon beim ersten Lesen wird klar, dass sich Vers 27 nicht auf ein Ereignis aus dem Leben Jesu bezieht, sondern dass das die Worte eines Königs in einem Gleichnis sind, das Jesus erzählt hat.
Aus Vers 11 entnehmen wir die Situation, in der Jesus dieses Gleichnis erzählt hat. Er war auf dem Weg nach Jerusalem. Es gab Menschen, die in Jesus, so scheint es, den Messias gesehen haben, der bei seinem Kommen nach Jerusalem das Reich Gottes ausrufen werde. Dieses wurde damals vor allem als politische Wirklichkeit gesehen. Der Messias würde das Reich seines Vaters David wieder herstellen. Die verhasste Herrschaft der Römer würde ein Ende haben. Israel würde in seinem ihm von Gott geschenkten Land in Frieden und Gerechtigkeit leben.
Durch dieses Gleichnis versuchte Jesus, seinen Zuhörern zu vermitteln, dass ihre Erwartung sich nicht erfüllen würde.
Er erzählte von einem Mann, der in ein fernes Land reist, um die Königswürde zu empfangen. In der Zwischenzeit sollten seine Diener seine Geschäfte führen, deren Verhalten nach seiner Rückkehr beurteilt werden wird.
Wir finden hier zwei Aspekte verbunden. Der eine ist das Erlangen der Königsherrschaft durch einen Mann, der von den Bürgern seines Landes abgelehnt wird. Der andere ist das Verhalten der Diener dieses Mannes.
Beim ersten Aspekt spielte Jesus auf eine Begebenheit an, die den Juden wohlbekannt war. Nach dem Tod Herodes des Großen machte sich dessen Sohn Archelaus auf den Weg nach Rom zum Kaiser Augustus, um von diesem die Königswürde bestätigt zu bekommen. Die vornehmen Juden hingegen wollten aber nicht, dass Archelaus König würde. Letztlich bekam Archelaus die Herrschaft über Judäa, Samaria und Idumäa, aber nicht als König, sondern nur als Ethnarch. Die Juden hatten durchaus berechtigte Gründe, Archelaus abzulehnen. Er hatte kurz vor seiner Abreise einen Aufruhr brutal niederschlagen lassen. Dabei kamen um die 3000 Menschen um.
Obwohl Jesus das Gegenteil des grausamen Archelaus war, hat er sich doch nicht gescheut, eine Anspielung auf ihn als ein Detail in sein Gleichnis einzubauen. Denn auch Jesus wurde von den führenden Juden abgelehnt, wenngleich aus völlig anderen Gründen als dies bei Archelaus der Fall war.
Jesus ging auch nicht nach Rom, um das Königtum zu erlangen. Es ging Jesus überhaupt nicht um ein irdisches Königtum, wie man aus seinen Worten zu Pilatus entnehmen kann:
Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier.
(Johannes 18,36)
Jesus empfing sein ewiges Königreich nicht vom Kaiser, sondern von seinem himmlischen Vater.
Im weiteren Verlauf sprach Jesus von der Rückkehr des Königs. Dann werden seine Diener je nach ihrem Verhalten ihren Lohn oder ihre Strafe erhalten. Jesus wollte damit seine Jünger auf die Zeit nach seinem Weggang vorbereiten. Sie sollten mit der ihnen anvertrauten Botschaft gut umgehen und der ihnen von Jesus übertragenen Verantwortung mit Eifer nachkommen.
Die Worte des Dieners, der seiner Verantwortung nicht nachgekommen ist (Vers 21), besagen nicht, dass der Herr tatsächlich ein „Mann ist, der abhebt, was er nicht eingezahlt hat, und erntet, was er nicht gesät hat“, sondern zeigen nur, welches Bild dieser Diener von seinem Herrn hatte. Die Diener haben doch alles, was sie für ihr Tun benötigten, von ihrem Herrn erhalten.
Bei der Rückkehr des Königs wird auch das Gericht über die Menschen erfolgen, die ungerechterweise die Herrschaft ihres Königs abgelehnt haben. Jesus drückt das in einem Bild aus, das den Gegebenheiten seiner Zeit entspricht. Auf jeden Fall wird dadurch gesagt, dass sie die Segnungen seines Königtums nicht erfahren werden, sondern im Gegenteil eine große Strafe erleiden werden.
Der Zeitpunkt des Wiederkommens des Königs ist das Ende der Zeiten, wenn Jesus sein ewiges Reich aufrichten wird. Dann erfolgt die Bestrafung seiner Feinde.
Dieses Gleichnis ist also einerseits eine Ermunterung an die Jünger Jesu, ihrer ihnen von ihrem Herrn übertragenen Verantwortung nachzukommen, andererseits eine Ermahnung an alle, Jesus als Herrn und König anzunehmen und nicht in Rebellion gegen ihn zu verharren.
Es geht aber keinesfalls um einen Aufruf zur Gewalt in dieser Welt.
Ganz im Gegenteil! Jesus hat gesagt:
Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben! (Matthäus 10,16)