Kann man Sünde segnen?

Am 18. Dezember 2023 hat der Vatikan in der vom Papst gebilligten Erklärung Fiducia supplicans („Das flehende Vertrauen“) die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare erlaubt. Den Wortlaut der Erklärung gibt es hier, weitere Informationen vonseiten des Vatikans, in denen dieses Dokument als eine „echte Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre“ dargestellt wird, hier.

Es sieht so aus, als ob der Vatikan bemüht wäre, den Rückstand, den die katholische Kirche in Bezug auf Anpassung an die Welt und den Zeitgeist gegenüber verschiedenen protestantischen Kirchen hat, zwar nicht aufzuholen, aber zumindest zu verringern.

In Österreich hat die Evangelische Kirche A. B.1 im März die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare als von der Ehe zwischen Mann und Frau zu unterscheidenden „eheanalogen Verbindungen“ einzuführen. Die Entscheidung, ob diese Segnungen tatsächlich praktiziert werden, wurde aber den jeweiligen Gemeinden überlassen. Das Dokument ist unter diesem Link zu finden. Zumindest in Wien wird das so interpretiert (Quelle):

Wien-Übersicht für gleichgeschlechtliche Paare

Sie lieben einander? Sie wollen heiraten? Sie wollen Ihre Liebe unter den Segen Gottes stellen?
Gerne feiern wir mit Ihnen einen festlichen Hochzeits-Gottesdienst, in welchem um Gottes Segen für Sie als Paar gebeten wird und Sie einander versprechen ein Leben lang „in guten und in bösen Tagen“ sich die Treue zu halten, einander zu lieben und zu achten. Voraussetzung ist, dass ein*e Ehepartner*in evangelisch ist – oder es (wieder) wird.

Da ist nicht mehr von einer „eheanalogen“ Beziehung die Rede, sondern von einem „festlichen Hochzeits-Gottesdienst“. Das Geschlecht des Partners ist egal. Hauptsache ist, dass er oder sie „evangelisch“ ist. Aus der Übersicht geht hervor, dass so ziemlich alle evangelischen Pfarren in Wien dabei mitmachen.

Die Evangelische Kirche H. B. hat ebenfalls im März 2019 die „völlige Gleichstellung verheirateter homo- und heterosexueller Paare“ beschlossen. Die sind noch etwas „fortschrittlicher“ als ihre Kollegen A. B. Für den Landessuperintendenten war das ein „wichtiger Schritt für unsere Reformierte Kirche“ (Quelle).

So weit sind die Katholiken noch lange nicht. In dem Dokument wird betont, dass diese Segnungen nicht mit der Eheschließung verglichen werden dürfen.

Daher sind Riten und Gebete, die Verwirrung stiften könnten zwischen dem, was für die Ehe konstitutiv ist, nämlich die „ausschließliche, dauerhafte und unauflösliche Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau, die von Natur aus offen ist für die Zeugung von Kindern“, und dem, was dem widerspricht, unzulässig. Diese Überzeugung gründet sich auf die beständige katholische Lehre von der Ehe. Nur in diesem Zusammenhang finden die sexuellen Beziehungen ihren natürlichen, angemessenen und vollständig menschlichen Sinn. Die Lehre der Kirche hält an diesem Punkt unverändert fest. (aus Absatz 4)

Der Vatikan ist sehr bemüht, den Eindruck zu vermeiden, es handle sich um eine gleichgeschlechtliche Eheschließung. Gleichgeschlechtliche Beziehungen werden „irreguläre Beziehungen“ genannt.

Im Dokument wird einiges über das Wesen des Segens geschrieben. Im Grunde soll es darauf hinauslaufen, dass auch Sünder gesegnet werden können. Schließlich heißt es:

31. In dem hier umrissenen Horizont liegt die Möglichkeit der Segnung von Paaren in irregulären Situationen und von gleichgeschlechtlichen Paaren, deren Form von den kirchlichen Autoritäten nicht rituell festgelegt werden darf, um keine Verwechslung mit dem dem Ehesakrament eigenen Segen hervorzurufen. In diesen Fällen wird ein Segen gespendet, der nicht nur einen aufsteigenden Wert hat, sondern auch die Anrufung eines herabsteigenden Segens von Gott selbst für diejenigen ist, die sich als mittellos und seiner Hilfe bedürftig erkennen und nicht die Legitimation ihres eigenen Status beanspruchen, sondern darum bitten, dass alles, was in ihrem Leben und ihren Beziehungen wahr, gut und menschlich gültig ist, durch die Gegenwart des Heiligen Geistes bereichert, geheilt und erhöht wird. Diese Formen des Segens sind Ausdruck der Bitte an Gott, jene Hilfen zu gewähren, die aus den Anregungen seines Geistes hervorgehen – die die klassische Theologie „helfende Gnaden“ nennt -, damit die menschlichen Beziehungen in der Treue zur Botschaft des Evangeliums reifen und wachsen, sich von ihren Unvollkommenheiten und Schwächen befreien und sich in der immer größeren Dimension der göttlichen Liebe ausdrücken können.

32. Gottes Gnade wirkt in der Tat im Leben derjenigen, die nicht behaupten, gerecht zu sein, sondern sich demütig als Sünder wie alle anderen bekennen; sie ist in der Lage, alles nach den geheimnisvollen und unvorhersehbaren Plänen Gottes zu lenken. Deshalb nimmt die Kirche mit unermüdlicher Weisheit und Mütterlichkeit all jene auf, die sich Gott mit einem demütigen Herzen nähern, und begleitet sie mit jenen geistlichen Hilfen, die es jedem ermöglichen, den Willen Gottes in seiner Existenz vollständig zu verstehen und zu verwirklichen.

Es wird zwar betont, dass dadurch keine „Legitimation ihres eigenen Status“ beansprucht werden kann, aber wenn es darum geht, dass alles, was in ihrem Leben und ihren Beziehungen wahr, gut und menschlich gültig ist, durch die Gegenwart des Heiligen Geistes bereichert, geheilt und erhöht wird, wird gerade diese „irreguläre“ Beziehung gerechtfertigt.

In Absatz 32 wird geschrieben, dass es wichtig ist, sich vor Gott demütig als Sünder wie alle anderen zu bekennen. Dazu gehört aber ganz wesentlich die Bereitschaft, die Sünde aufzugeben. Mit dem Segnen einer Beziehung, bei der die Sünde der praktizierten Homosexualität eine zentrale Bedeutung hat, wird aber gerade die Erkenntnis der Sündhaftigkeit einer derartigen Beziehung verhindert.

Paulus hat klar ausgedrückt, dass solche Sünden vom Reich Gottes trennen.

9 Wisst ihr denn nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, 10 noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben. (1 Korinther 6,9-10)

Man mag einwenden, dass man eine auf Treue angelegte Beziehung nicht mit „Lustknaben“ oder „Knabenschändern“ gleichsetzen kann. Das stimmt zum Teil. Doch bleibt bestehen, dass praktizierte Homosexualität einen wesentlichen Punkt des Wesens der Sexualität, nämlich die Offenheit für die Weitergabe des Lebens, vom Ansatz her nicht erfüllen kann. Der Schöpfungsauftrag Gottes an die Menschen „Seid fruchtbar und mehrt euch!“ (Genesis 1,28) hat seinen Platz in einer unauflöslichen Ehe zwischen einem Mann und einer Frau. Allein dort hat die Sexualität ihren von Gott gewollten Ort. Wer sich gegen diese göttliche Ordnung stellt, stellt sich damit auch außerhalb des Reiches Gottes.

Man kann nicht sagen, dass man nur die positiven Aspekte einer Beziehung segnet, wenn die Sünde für diese Beziehung konstitutiv ist. Aus Liebe zu den Menschen müsste man sie vor den Konsequenzen der Sünde warnen, nicht aber der Sünde durch ein Segnen der in sich sündhaften Beziehung eine religiöse Weihe verleihen.

Die Katholiken tun sich schwerer damit, die Gebote Gottes im Hinblick auf Ehe und Sexualität so leichtfertig zu ignorieren, wie es die protestantischen „Volkskirchen“ tun, die neuerdings einen „queeren“ Gott verkünden. Aber nun gehen sie auch im Hinblick auf die Sexualmoral auch offiziell den Weg dieser Welt und folgen nicht dem Heiligen Geist, sondern dem Zeitgeist. In vielen anderen Punkten hat die katholische Kirche den Weg Gottes ohnehin schon lange verlassen.

Und gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene! (Römer 12,2)

Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, in dem ist die Liebe des Vaters nicht. (1 Johannes 2,15)


  1. A. B. steht für Augsburgisches Bekenntnis und meint die Lutheraner. H. B. steht für Helvetisches Bekenntnis und meint die Reformierten. 

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