Im Neuen Testament gibt es zwei Stellen, in denen das Lieben oder Nicht-Lieben der Welt das Thema ist. Es ist interessant zu sehen, wie dieselben Wörter verwendet werden, um ganz unterschiedliche Botschaften auszudrücken, die aber eng zusammengehören.
Die erste Stelle steht im Johannesevangelium, die zweite im 1. Johannesbrief.
Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. (Johannes 3,16)
Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, in dem ist die Liebe des Vaters nicht. (1 Johannes 2,15)
Gott hat die Welt geliebt, und wir sollen sie nicht lieben. Ja, es wird sogar gesagt, dass, wenn wir die Welt lieben, die Liebe des Vaters nicht in uns ist.
Man kann aus dem Vergleich dieser beiden Stellen gut sehen, wie wichtig es ist, den Zusammenhang und die jeweilige Bedeutung der verwendeten Wörter zu beachten.
Wenn Gott die Welt geliebt hat und sie immer noch liebt, dann geht es um seine Geschöpfe. Es geht um die Menschen, die er aus Liebe geschaffen hat. Er hat sie nach seinem Bild geschaffen (Genesis 1,27), zur Gemeinschaft mit ihrem Schöpfer. Doch diese Gemeinschaft zerbrach aufgrund der Rebellion des Menschen gegen Gott. Doch seine Liebe blieb. Es ging und geht Gott weiterhin darum, die Gemeinschaft mit seinen rebellischen Geschöpfen wiederherzustellen. Darum hat er seinen ewigen wesensgleichen Sohn gesandt, um uns aus der Sünde herauszuholen. In der Hingabe Jesu hat er sich selbst hingegeben. Da geht es nicht nur um die Hingabe des Lebens im Tod Jesu. Schon vorher hat er seine Zeit, sein ganzes Leben für die Menschen hingegeben. Er hat sie gelehrt, er hat die Kranken geheilt, hat Menschen, die unter dem Einfluss gottfeindlicher Mächte standen, frei gemacht. In seinem Leben und Sterben wurde Gottes Liebe sichtbar, die stärker ist als aller Hass und alle Ablehnung der Menschen. So hat er uns den Weg zum Vater geöffnet.
Wenn nun Johannes davor warnt, die Welt zu lieben, geht es um etwas völlig anderes. Das wird aus den Folgeversen klar.
16 Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. 17 Die Welt vergeht und ihre Begierde; wer den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit.
Hier ist mit der Welt alles das gemeint, was Ausdruck der Rebellion gegen die Liebe Gottes ist. Es geht um die Begierde in den verschiedenen Auswirkungen. Es geht um die Selbstverwirklichung in irdischen Dingen, um Hochmut und Stolz. Das „Fleisch“ steht hier wohl für die sinnlichen Wünsche, die sich mit dem zufriedengeben, was die materielle Schöpfung zu bieten hat. Dinge, die in sich gut sind, weil Gott sie gut geschaffen hat, können schlecht werden, wenn sie zum von Gott losgelösten Ziel werden, in dem man seine Erfüllung finden will, die aber immer nur in der Leere enden wird. Unsere Augen sollen nicht von der Begierde gelenkt sein. Alles Schöne, das wir sehen dürfen, soll die „Augen unserer Herzen“ (Epheser 1,18) auf unseren Schöpfer lenken und uns frei machen zur Erkenntnis der geistlichen Schätze, die uns Gott in Jesus geschenkt hat.
Der griechische Ausdruck ἀλαζονεία τοῦ βίου / alazoneía tu biu, den die Einheitsübersetzung mit „Prahlen mit dem Besitz“ wiedergibt, lautet in anderen Übersetzungen wie folgt:
Elberfelder und Schlachter 2000: Hochmut des Lebens
Luther 2017 und Menge: hoffärtiges Leben
Zürcher: Prahlen mit dem Besitz
Das griechische Wort bíos bedeutet „Leben“, bezieht sich in der Bibel im Unterschied zum Wort zōē auf die äußeren Erscheinungsformen wie die Dauer, die Mittel und die Art des Lebens.1 So kann es auch für den Besitz stehen. Es geht nicht um das geistliche Leben, sondern um Stolz auf die Dinge oder Begleiterscheinungen, die das irdische Leben angenehm und erstrebenswert machen. Es geht um Dinge, die uns dadurch von Gott ablenken, dem allein alle Ehre gebührt.
Wenn die Dinge und Eigenschaften unser Leben bestimmen und erfüllen, die uns von Gott trennen, dann verweigern wir uns der Liebe, mit der Gott uns in Jesus geliebt hat und liebt. Wir tauschen das ewige Leben gegen Vergänglichkeit. Die Welt wird vergehen. Was uns in dieser Welt erfüllen kann, ist nicht von Dauer. Nur wer in der Gemeinschaft mit Gott bleibt, indem er seinen Willen tut, bleibt in Ewigkeit.
Wer in der Liebe Gottes ist, wer sich von der sündhaften Liebe der Welt fernhält, lernt dadurch aber die wirkliche göttliche Liebe zur Welt. Gerade im Abstand von den Sünden, die diese Welt, die gegen Gott rebelliert, bestimmen, gewinnt man auch die Liebe zu den Menschen, die in den Sünden verstrickt sind.
- So beschreibt es die Elberfelder Studienbibel. ↩