Calvin über die Liebe Gottes zum Sünder

Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. (Johannes 3,16)

Als ich suchte, wie Calvin 1 Johannes 2,2 versteht, bin ich auch auf seine Erklärung von Johannes 3,16 in seinem Kommentar zum Johannesevangelium gestoßen:

Übrigens scheint die Redeweise hier mit vielen anderen Aussagen der Schrift zu streiten, welche zeigen, wie die Liebe Gottes gegen uns erst in Christo begründet ward, wie wir aber außerhalb der Gemeinschaft mit Christus Gott verhasst sind. Man halte indessen im Sinne, was ich vorhin sagte, nämlich, dass jene verborgene Liebe, mit welcher der himmlische Vater uns umfing, weil sie in seinem ewigen Wohlgefallen ihren Ursprung hat, allen anderen Ursachen übergeordnet ist; die Gnade aber, die nach seinem Willen uns bezeugt werden soll, und durch welche wir zur Heilsgewissheit ermutigt werden, nimmt ihren Anfang bei der durch Christum erworbenen Versöhnung. Gott muss ja notwendig die Sünde hassen. Wie könnten wir glauben, dass er uns liebt, solange für die Sünden keine Sühne beschafft ist? Muss er uns doch in Ansehung unserer Sünden zürnen. Das Blut Christi muss vermitteln und Gott mit uns versöhnen; dann erst können wir fühlen, dass sein Vaterherz für uns voller Wohlwollen ist. Wie wir übrigens hier hören, dass Gott, weil er uns liebte, seinen Sohn für uns in den Tod gegeben hat, so werden wir bald weiter hören, dass es Christus ganz allein ist, auf den der Glaube zu sehen hat. Gott hat seinen eingeborenen Sohn dahingegeben, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht. Das ist wahrlich der liebste Anblick des Gläubigen: Christus, in dem das von Liebe überströmende Herz Gottes sichtbar wird! Der hat einen Halt, der nimmermehr ins Wanken kommt, der sich auf den Tod Christi verlässt als auf das einzige Unterpfand seines Heils.-

Ich bin kein Calvin-Spezialist und kann daher nicht sagen, ob er an anderer Stelle eine etwas andere Sicht dargelegt hat.

Ich habe den Eindruck, dass Calvin hier zwei verschiedene Arten von Gottes Liebe unterscheidet.

Einerseits schreibt er:

Man halte indessen im Sinne, was ich vorhin sagte, nämlich, dass jene verborgene Liebe, mit welcher der himmlische Vater uns umfing, weil sie in seinem ewigen Wohlgefallen ihren Ursprung hat, allen anderen Ursachen übergeordnet ist.

Es gibt eine Liebe des Vaters, die ihren Ursprung in seinem ewigen Wohlgefallen hat. Diese ist allen anderen Ursachen übergeordnet.

Doch dann schreibt er, dass Gott uns vor der Erlösung durch Jesus gar nicht lieben konnte, weil Gott die Sünde hasst.

Gott muss ja notwendig die Sünde hassen. Wie könnten wir glauben, dass er uns liebt, solange für die Sünden keine Sühne beschafft ist? Muss er uns doch in Ansehung unserer Sünden zürnen. Das Blut Christi muss vermitteln und Gott mit uns versöhnen; dann erst können wir fühlen, dass sein Vaterherz für uns voller Wohlwollen ist.

Das heißt doch, dass Gott uns erst nachdem das Blut Christi vermittelt hat und uns mit Gott versöhnt hat, lieben konnte. Oder wollte er sagen, dass Gott uns schon grundsätzlich geliebt hat, aber seine Liebe nicht zeigen konnte, weil er noch nicht versöhnt war?

Wenn wir vom calvinistischen Grundsatz ausgehen, dass der Mensch völlig verderbt ist, gäbe es in der Tat nichts, was am Menschen liebenswert wäre. Dann wäre der Mensch pure Bosheit und Sünde.

Doch zeigt gerade Johannes 3,16, dass Gott die Welt geliebt hat. Die Welt, das sind die Menschen, die die Erlösung durch Jesus nicht kennen und in ihren Sünden leben. Weil Gott diese Menschen liebt, hat er seinen eingeborenen Sohn gesandt.

Durch unsere Sünden haben wir uns so weit von Gott entfernt, dass wir den Weg zurück nur durch seine Hilfe finden können. Wir sind auf seine Erlösung angewiesen. Weil er uns liebt, hat er uns in Jesus diese Erlösung geschenkt.

6 Denn Christus ist, als wir noch schwach waren, für die zu dieser Zeit noch Gottlosen gestorben. 7 Dabei wird nur schwerlich jemand für einen Gerechten sterben; vielleicht wird er jedoch für einen guten Menschen sein Leben wagen. 8 Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. 9 Nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht gemacht sind, werden wir durch ihn erst recht vor dem Zorn gerettet werden. 10 Da wir mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Gottes Feinde waren, werden wir erst recht, nachdem wir versöhnt sind, gerettet werden durch sein Leben. (Römer 5,6-10)

Wir waren schwach, Gottlose, Sünder, Gottes Feinde. Trotzdem hat uns Gott geliebt. Das nennt Calvin wohl jene verborgene Liebe.

Es ist wichtig und eine Voraussetzung zur Umkehr, dass der Mensch seine Bosheit erkennt. Aber wir können nicht sagen, wie es Calvin formuliert hat:

Wie könnten wir glauben, dass er uns liebt, solange für die Sünden keine Sühne beschafft ist?

Auch Menschen, die vor Jesus gelebt haben, kannten die Liebe Gottes, auch seine Vergebung.

6 HERR, deine Liebe reicht, so weit der Himmel ist, deine Treue bis zu den Wolken. 7 Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes, deine Urteile sind tief wie die Urflut. Du rettest Menschen und Tiere, HERR. 8 Wie köstlich ist deine Liebe, Gott! Menschen bergen sich im Schatten deiner Flügel. (Psalm 36,6-8)

Denn groß ist über mir deine Liebe, du hast mich entrissen der Tiefe der Unterwelt. (Psalm 86,13)

Preise den HERRN, meine Seele, und alles in mir seinen heiligen Namen! 2 Preise den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat! 3 Der dir all deine Schuld vergibt und all deine Gebrechen heilt, 4 der dein Leben vor dem Untergang rettet und dich mit Huld und Erbarmen krönt, 5 der dich dein Leben lang mit Gaben sättigt, wie dem Adler wird dir die Jugend erneuert. (Psalm 103,1-5)

Von deiner Liebe, HERR, ist erfüllt die Erde. Lehre mich deine Gesetze! (Psalm 119,64)

Auch wenn wie in Psalm 119,64 das hebräische Wort חֵסֵד / chesed nicht mit „Liebe“, sondern mit „Gnade“ übersetzt wird, geht es um die liebende Zuwendung Gottes zu seiner Schöpfung. Zumindest die Gläubigen im Volk Israel haben schon vor dem Kommen Jesu geglaubt und erkannt, dass Gott die Menschen liebt.

Trotz der verzweifelnden Lage, in die sich der Mensch durch seine Sünde gebracht hat, ist er nicht total böse. Gott liebt den Menschen, den er als sein Bild geschaffen hat (Genesis 1,27).

Calvin schreibt auch:

Das Blut Christi muss vermitteln und Gott mit uns versöhnen.

In der Bibel gibt es keine einzige Stelle, die davon spricht, dass Gott mit uns versöhnt werden muss. Es ist umgekehrt. Wir müssen mit Gott versöhnt werden. Das Problem liegt nicht auf Gottes Seite, sondern beim Menschen.

Paulus schreibt:

Da wir mit Gott versöhnt wurden […] (Römer 5,10a)

18 Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. 19 Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er ihnen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat. 20 Wir sind also Gesandte an Christi statt und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen! (2 Korinther 5,18-20)

Gott will die Beziehung zu uns Menschen. Darum hat er Jesus gesandt, nicht damit Jesus Gott etwas gibt, sondern Gott hat Jesus für uns gegeben, damit wir aus unseren Sünden gerettet werden und seine Kinder werden können.

Gott braucht das Blut nicht, um vergeben zu können. Das Blut Jesu steht für das Leben, das er den Seinen schenkt. Mehr dazu in diesem Beitrag.

Es stimmt, dass Gott die Sünde hasst. Darum sollen auch wir sie hassen. Gerade weil Gott uns liebt, hat er alles getan, um uns von der Fessel der Sünde zu befreien. Deswegen hat er seinen eingeborenen Sohn gesandt, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.

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