13 Da hörte ich einen Heiligen reden und ein anderer Heiliger fragte den Redenden: Wie lange gilt die Vision vom täglichen Opfer, wie lange bleibt der Gräuel der Verwüstung bestehen und werden das Heiligtum und der Ort der Zierde zertreten? 14 Er sagte zu mir: Zweitausenddreihundert Abende und Morgen wird es dauern; dann erhält das Heiligtum wieder sein Recht. (Daniel 8,13-14)
Diese Stelle aus Daniel 8 ist für Adventisten zentral. Mithilfe dieser Stelle hat William Miller (1782-1849) die Wiederkunft Jesu Christi für das Jahr 1844 errechnet. Nachdem diese ausgeblieben ist, hat Ellen Gould White (1827-1915) dieses Datum durch Uminterpretation auf die Reinigung des himmlischen Heiligtums „gerettet“. Seit fast 180 Jahren werden nun im Himmel die Bücher geprüft. Erst nach Abschluss dieser Prüfung werde Jesus kommen.
Miller deutete die 2300 „Abende und Morgen“ auf 2300 Tage, die wiederum für 2300 Jahre stünden. Die Gleichsetzung von einem Tag mit einem Jahr wird mit Ezechiel 4,5-6 und Numeri 14,33-34 begründet. In Ezechiel geht es um eine Symbolhandlung des Propheten, in der ein Tag für ein Jahr steht. In Numeri sollen die Israeliten, nachdem sie sich von den Kundschaftern entmutigen ließen und nicht bereit waren, in das verheißene Land zu ziehen, für jeden Tag, den die Kundschafter unterwegs waren, ein Jahr in der Wüste verbringen. Doch rechtfertigen diese zwei Beispiele, einen auch für andere Stellen gültigen Grundsatz aufzustellen, dass ein Tag immer ein Jahr bedeutet?
Da in Daniel 8 kein Datum genannt wird, an dem diese 2300 Abende und Morgen beginnen, behalf sich Miller mit der mit der Jahrwochenprophetie von Daniel 9,24-27, wo es in Vers 25 heißt:
Nun begreif und versteh: Von der Verkündigung des Wortes über die Rückführung des Volkes und den Wiederaufbau Jerusalems […]
Diese Stelle ist nun keinesfalls eindeutig und würde im Zusammenhang von Daniel 9 am ehesten auf Jeremia 25,11-12 passen, das auf das vierte Jahr Jojakims und das erste Jahr Nebukadnezars, also auf das Jahr 605 oder 604, datiert wird (Jeremia 25,1). Da Miller die Jahrwochenprophetie aber als mathematisch exakte Daten missverstand, bezog er den Ausgangspunkt auf das Jahr 457 vor Christus, um dadurch mit der Mitte der letzten Jahrwoche auf das Jahr 31, für das er die Kreuzigung Jesu annahm, zu kommen. Er bezog sich auf den in Esra 7,12-16 zitierten Befehl des Königs Artaxerxes, der nach Esra 7,7 im siebten Jahr des Königs, also 457, erlassen wurde. Doch ist einerseits umstritten, ob diese Zeitangabe in Esra 7,7 korrekt ist, und hat andererseits die Rückführung des Volkes und dem Wiederaufbau schon im Jahre 538, also ca. 80 Jahre früher begonnen. Ich möchte hier die Problematik nur kurz erwähnen, ohne näher ins Detail zu gehen.1
Auch unter der Annahme, dass mit den 2300 Abenden und Morgen tatsächlich 2300 Jahre gemeint seien, steht Millers Berechnung auf einem höchst unsicheren Fundament.
Auch die Uminterpretation durch Frau White macht die Sache nicht besser. Warum sollte das „himmlische Heiligtum“ erst im Jahre 1844 gereinigt werden, da Jesus doch nach Hebräer 9,24 bereits bei seinem Tod in den Himmel eingegangen ist.
Denn Christus ist nicht in ein von Menschenhand gemachtes Heiligtum hineingegangen, in ein Abbild des wirklichen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor Gottes Angesicht zu erscheinen für uns.
Um festzustellen, worum es in Daniel 8,13-14 geht, sollten wir den Zusammenhang des Kapitels betrachten.
Daniel 8 erzählt eine Vision. Ein Widder mit zwei Hörnern, dem niemand widerstehen konnte, machte sich breit. Er wurde aber von einem vom Westen kommenden Ziegenbock mit einem Horn zu Boden geworfen und zertreten. Als er am stärksten war, brach das eine Horn ab und es wuchsen ihm vier Hörner in die vier Himmelsrichtungen.
9 Aus einem ging dann ein anderes Horn hervor. Anfangs klein, wurde es überaus groß, gegen Süden und gegen Osten und gegen die Zierde. 10 Und es wuchs bis zum Himmelsheer und warf einige vom Heer und von den Sternen zur Erde herab und zertrat sie. 11 Sogar bis zum Fürsten des Himmelsheeres reckte es sich empor; es entzog ihm das tägliche Opfer und verwüstet wurde sein Heiligtum. 12 Ein Heer wurde verbrecherisch gegen das tägliche Opfer eingesetzt. Es warf die Wahrheit zu Boden, und was es tat, gelang ihm. (Daniel 8,9-12)
Später im Kapitel folgt die Erklärung der Vision:
20 Der Widder mit den zwei Hörnern, den du gesehen hast, bedeutet die Könige von Medien und Persien. 21 Der Ziegenbock ist der König von Jawan. Das große Horn zwischen seinen Augen ist der erste König. 22 Das Horn brach ab und vier andere traten an seine Stelle; das bedeutet: Aus seinem Volk entstehen vier Reiche; sie haben aber nicht die gleiche Kraft wie er. 23 In der letzten Zeit ihrer Herrschaft, wenn die Frevler ihr Maß vollgemacht haben, kommt ein König voll Härte und Verschlagenheit. 24 Er wird mächtig und stark und richtet ungeheures Verderben an; alles, was er unternimmt, gelingt ihm. Mächtige Herrscher wird er vernichten, auch das Volk der Heiligen. 25 Dank seiner Schlauheit gelingt ihm sein Betrug. Er wird überheblich und bringt über viele unversehens Verderben. Selbst gegen den Fürsten der Fürsten steht er auf; doch ohne Zutun eines Menschen wird er zerschmettert. (Daniel 8,20-25)
Jawan ist Griechenland. Alexander der Große eroberte das Perserreich. Auf ihn folgten die vier Diadochenreiche. Der in Vers 23 genannte „König voll Härte und Verschlagenheit“ ist Antiochus IV. Epiphanes. Er hat sich gegen Gott, den Fürsten der Fürsten, erhoben, indem er den Tempel in Jerusalem zu einem Heiligtum des Zeus gemacht hat und gesetzestreue Juden verfolgen ließ. Über eine längere Zeit wurden in Jerusalem dem wahren Gott keine Opfer dargebracht, wie es in Daniel 8,11 heißt. Das tägliche Opfer bestand aus einem Abendopfer und einem Morgenopfer (Numeri 28,3-4).
2300 Abende und Morgen meinen 2300 Abend- und Morgenopfer. Es geht also nicht um 2300 Jahre, auch nicht um 2300 Tage, sondern um 2300 Opfer an 1150 Tagen.
Claus Schedl2 schreibt dazu:
Die 2300 Abend-Morgen ergeben 1150 Tage. Der Ausgangspunkt der Berechnung ist hier klar ausgesprochen, es ist der 15. Kislev des Jahres 145 TÄ [Tempelära] (6. Dez. 167), der Tag der Entweihung des Tempels durch Antiochus Epiphanes. Zählt man von hierab die Tage weiter, so erreicht man als Endpunkt den 15. Šebat des Jahres 148 TÄ (31. Jänner 163), ein für die Makkabäerkämpfe äußerst markantes Datum. Zwei Monate nach der Wiedereinweihung des Tempels (4. Dez. 164) war auch der Sionsberg neu befestigt und mit Türmen und Wehren gesichert. Damit war endgültig der Tempel in sein Recht eingesetzt, das niedertretende Heer aus dem heiligen Bezirk hinausgedrängt und die Prophetie erfüllt.
Im Zusammenhang geht es also um die Wiederherstellung des Tempels und der Opfer nach der durch Antiochus IV. Epiphanes begangenen Tempelentweihung. Da ist nicht die Rede von der Wiederkunft Jesu oder von der Reinigung eines himmlischen Heiligtums. Die Berechnungen von William Miller sind ohne jede Grundlage und somit auch das chronologische Gerüst, auf dem die Adventisten aufbauen.
Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. (Apostelgeschichte 1,7)