In Österreich gibt es seit 1975 die Fristenlösung, derzufolge Abtreibungen in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft nicht bestraft werden dürfen. In manchen Fällen, wie bei einer befürchteten Behinderung des Kindes, darf dieses sogar bis zur Geburt getötet werden.
Während sich in Wien und anderen Teilen Österreichs in den Jahrzehnten seither eine einträgliche Tötungsbranche etablieren konnte, waren im konservativ geprägten Westen, so auch in Tirol, die Möglichkeiten zur vorgeburtlichen Kindstötung rarer.
Diesem „Missstand“ will nun die seit 25. Oktober im Amt befindliche Koalition aus ÖVP und SPÖ ein Ende bereiten. Im Regierungsprogramm heißt es auf Seite 30f:
Vereinbarungen im Bereich Gesundheit.
[…]
Einen bedarfsgerechten, niederschwelligen, medizinisch qualitätsvollen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen sicherstellen, durch den Ausbau des ambulanten Angebotes im niedergelassenen Bereich oder angekoppelt an einer ausgewählten, öffentlichen Einrichtung. Gleichzeitig bekennt sich die Koalition zu einem qualitätsvollen Ausbau unabhängiger und transparenter Beratung vor und nach dem Eingriff. Beim Beratungsangebot ist auf die Qualitätssicherung zu achten. Unbestritten bleibt der Grundsatz, dass die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch einzig und allein
eine höchstpersönliche Entscheidung der betroffenen Frau ist.
Was heißt „bedarfsgerecht“? Gibt es einen Bedarf an Tötungen? Es gibt einen Bedarf an Menschen, die sich dem Leben widmen. Es kann nie einen Bedarf an Tötungsanstalten für unschuldige Menschen geben. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass Mütter und ihre Kinder die Hilfe erhalten, die sie benötigen. Er hat das Leben zu schützen, nicht dessen Vernichtung zu organisieren. Es gibt keinen „medizinisch qualitätsvollen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen“, da es sich bei jedem „Abbruch“ um die Tötung eines Menschen handelt. Wenn jemand z. B. verlangen würde, dass im Iran statt der brutalen Steinigungen die Hinrichtungen „medizinisch qualitätsvoll“ durchgeführt werden sollen, würde das in der öffentlichen Meinung einen Aufschrei bewirken, obwohl es gewiss weniger schmerzhaft ist, durch eine Giftspritze als durch viele kleine bis mittlere Steine lange Zeit zu leiden. Auch die Guillotine wurde eingeführt, um die Hinrichtungen humaner zu machen. Nur wenn es um das Töten ungeborener Kinder geht, kann man von einem „medizinisch qualitätsvollen Zugang“ sprechen, obwohl die Tötung der ungeborenen Kinder eine sehr brutale Angelegenheit sein kann.
Auch der Grundsatz, dass die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch einzig und allein eine höchstpersönliche Entscheidung der betroffenen Frau ist, ist falsch. Einerseits ist in der Praxis damit zu rechnen, dass eine schwangere Frau von anderen, vielleicht gerade vom Vater des Kindes, unter großen Druck gerät, das Kind töten zu lassen. Der Gesetzgeber hat durch die Straflosigkeit der Abtreibung werdenden Müttern den Schutz vor diesem Druck entzogen. Andererseits geht es bei der Abtreibung noch mehr um das Kind, dessen Leben beendet wird, als um die Mutter. Kein Mensch, auch nicht die Mutter, hat das moralische Recht, über das Leben eines unschuldigen Menschen zu entscheiden.
Dieser Absatz aus dem Regierungsprogramm offenbart eine zynisch-lebensfeindliche Einstellung, ausgerechnet bei einer Partei, die vor fast einem halben Jahrhundert im Parlament gegen die Fristenlösung gestimmt hat. Doch nun steht das „bedarfsgerechte Töten“ unschuldiger Kinder auf dem Programm einer Partei, die sich immer noch auf „christliche Wurzeln“ beruft. Dabei geht es beim Lebensschutz nicht um eine spezifisch christliche Moral, sondern um ein elementares Prinzip jeder Ethik.
Aber es stimmt wohl, dass dort, wo der Respekt vor Gott fehlt, auch der Respekt vor dem Menschen, der als Bild Gottes geschaffen wurde, verschwindet.
Weh denen, die das Recht in bitteren Wermut verwandeln und die Gerechtigkeit zu Boden schlagen! (Amos 5,7)