Saul + Gideon = Talut?

Ein Abschnitt der zweiten Sure handelt über die Zeit nach Mose:

246 Siehst du nicht die führende Schar von den Kindern Isra’ils nach Musa, als sie zu einem ihrer Propheten sagten: „Setze einen König für uns ein, damit wir auf Allahs Weg kämpfen.“? Er sagte: „Werdet ihr vielleicht, wenn euch zu kämpfen vorgeschrieben ist, doch nicht kämpfen?“ Sie sagten: „Warum sollten wir nicht auf Allahs Weg kämpfen, wo wir doch aus unseren Wohnstätten und von unseren Söhnen vertrieben worden sind?“ Doch als ihnen vorgeschrieben wurde zu kämpfen, kehrten sie sich – bis auf wenige von ihnen – ab. Und Allah weiß über die Ungerechten Bescheid. 247 Und ihr Prophet sagte zu ihnen: „Allah hat euch (hiermit) Talut als König geschickt.“ Sie sagten: „Wie sollte er die Herrschaft über uns haben, wo wir doch ein größeres Anrecht auf die Herrschaft haben, und ihm nicht Wohlstand gegeben ist?“ Er sagte: „Allah hat ihn vor euch auserwählt und ihm ein Übermaß an Wissen und körperlichen Vorzügen verliehen. Und Allah gibt Seine Herrschaft, wem Er will. Allah ist Allumfassend und Allwissend..“ 248 Und ihr Prophet sagte zu ihnen: „Das Zeichen seiner Herrschaft ist, daß die Bundeslade zu euch kommen wird; in ihr ist innere Ruhe von eurem Herrn und ein Rest von dem, was die Sippe Musas und die Sippe Haruns hinterließen, getragen von Engeln. Darin soll wahrlich ein Zeichen für euch sein, wenn ihr gläubig seid.“ 249 Und als nun Talut mit den Heerscharen aufgebrochen war, sagte er: „Allah wird euch mit einem Fluß prüfen. Wer davon trinkt, gehört nicht zu mir. Und wer nicht davon kostet, der gehört zu mir, außer demjenigen, der (nur) eine Handvoll schöpft.“ Da tranken sie davon – bis auf wenige von ihnen. Und als er ihn überschritten hatte, er und diejenigen, mit ihm glaubten, sagten sie: „Wir haben heute keine Kraft gegen Galut und seine Heerscharen.“ Diejenigen aber, die glaubten, daß sie Allah begegnen würden, sagten: „Wie so manch eine geringe Schar hat schon mit Allahs Erlaubnis eine große Schar besiegt! Allah ist mit den Standhaften.“ (Sure 2,246-249)

Für Menschen, die mit den Inhalten des Alten Testaments vertraut sind, ist es nicht unschwer zu erkennen, dass mit der koranischen Gestalt des Talut der biblische Saul gemeint ist, der erste König Israels.

Der Prophet, an den die Israeliten ihre Bitte um einen König richteten, war Samuel. Wenn man nur den koranischen Text kennt, würde man vermuten, dass sich diese Situation kurz nach dem Tod Moses zugetragen hat. In Wahrheit war da die gesamte Richterzeit dazwischen, je nach chronologischem Modell waren das zwischen zweihundert und vierhundert Jahren. Grundsätzlich ist das natürlich nicht falsch, weil zweihundert Jahre nach Mose immer noch nach Mose ist.

In der Bibel nimmt die Bitte der Israeliten um einen König und die Einsetzung Sauls zum König etwas mehr Raum ein als im Koran. Es kann auch für Muslime hilfreich sein, die Kapitel 8, 9 und 10 von 1 Samuel zu lesen.

Nach der Bibel lautete die Bitte der Israeliten nicht, wie es im Koran steht:

„Setze einen König für uns ein, damit wir auf Allahs Weg kämpfen.“,

sondern:

„Darum setze jetzt einen König bei uns ein, der uns regieren soll, wie es bei allen Völkern der Fall ist!“ (1 Samuel 8,5b)

Hier hat der Autor des Korans einen Aspekt seiner eigenen Zeit in den Mund der Israeliten gelegt, der dort nicht zu finden ist. Auch der im Koran 2,246 genannte Aspekt, dass die Israeliten aus ihren Wohnstätten vertrieben wurden, trifft auf die Zeit Samuels nicht zu. Da hat der Autor des Korans wohl auch seinen eigenen biografischen Hintergrund einfließen lassen.

Der in der Bibel zentrale Aspekt, dass der Wunsch nach einem König eine Ablehnung der Königsherrschaft Gottes ausdrückt, fehlt im Koran völlig.

Denn nicht dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen: Ich soll nicht mehr ihr König sein. (1 Samuel 8,7b)

Etwas rätselhaft ist 2,248, wo es um die Rückkehr der Bundeslade geht, die das Zeichen der Herrschaft Taluts sein soll.

1 Samuel 4,11 berichtet, dass die Bundeslade von den Philistern erobert wurde, als sie den Israeliten eine fürchterliche Niederlage zufügten.

Die Lade Gottes wurde erbeutet und die beiden Söhne Elis, Hofni und Pinhas, fanden den Tod.

Doch brachte die Bundeslade den Philister nur das Strafgericht Gottes (1 Samuel 5), sodass die Philister die Lade wieder ins Gebiet Israels zurücksandten (1 Samuel 6). Seit damals war die Bundeslade in Kirjat-Jearim (1 Samuel 7,1).

Das alles geschah während der Jugendzeit Samuels, deutlich vor der Wahl Sauls zum König. Vermutlich hat der Autor des Korans, der die biblische Geschichte nur vom Hörensagen kannte, das mit der Situation verwechselt, als David, der nach Saul König war, die Bundeslade von Kirjat-Jearim nach Jerusalem geholt hat. Das ist in 2 Samuel 6 nachzulesen.

In 2,249 führt uns der Koran wieder in eine ganz andere Zeit, in die Zeit des Richters Gideon, der nicht gegen die Philister, sondern gegen die Midianiter kämpfte.

Die Geschichte Gideons steht im Buch der Richter 6-8. Gott wollte, dass Gideon die Midianiter nur mit einem kleinen Heer besiegt. Darum sollte das Heer reduziert werden.

2 Der HERR sagte zu Gideon: Die Leute, die du bei dir hast, sind zu zahlreich, als dass ich Midian in ihre Hand geben könnte. Sonst könnte sich Israel mir gegenüber rühmen und sagen: Meine eigene Hand hat mich gerettet. 3 Nun also, rufe vor den Ohren der Leute aus: Wer sich fürchtet und Angst hat, kehre um und enteile vom Berg Gilead! Darauf kehrten von den Leuten zweiundzwanzigtausend um, während zehntausend übrig blieben.
4 Doch der HERR sagte zu Gideon: Die Leute sind immer noch zu zahlreich. Führ sie hinab ans Wasser; dort will ich sie für dich mustern. Von wem ich zu dir sagen werde: Er soll mit dir gehen!, der soll mit dir gehen und jeder, von dem ich zu dir sagen werde: Dieser soll nicht mit dir gehen!, der soll nicht gehen. 5 Gideon führte die Leute zum Wasser hinab und der HERR sagte zu ihm: Stell alle, die das Wasser mit der Zunge auflecken, wie es ein Hund tut, auf einen besonderen Platz, und ebenso alle, die sich zum Trinken hinknien. 6 Die Zahl derer, die aufleckten – mit der Hand zum Mund -, betrug dreihundert Mann. Alle übrigen Leute aber knieten sich hin, um das Wasser zu trinken. 7 Der HERR sagte zu Gideon: Durch die dreihundert Mann, die aufgeleckt haben, will ich euch retten und Midian in deine Hand geben. Alle übrigen Leute sollen jeder an seinen Ort gehen. (Richter 7,2-7)

Die Situation von Richter 7,5-7 hat der Autor des Korans mit Talut / Saul verknüpft, der weit über 100 Jahre später lebte. Zusätzlich geht es im Koran im selben Zusammenhang um den Kampf gegen Galut, dem biblischen Goliat. Dieser Kampf war auch nicht am Beginn der Regierung Sauls, sondern erst später, zu einer Zeit, als Gott den König Saul bereits verworfen hatte. Über die Verwerfung Sauls spricht 1 Samuel 15, über den Kampf Davids gegen Goliat 1 Samuel 17.

Mit „Talut“ hat der Autor dieses koranischen Textes eine Gestalt beschrieben, die weitgehend auf den biblischen Saul zurückgeht, aber mit Gideon kombiniert wurde. Ergänzend kam mit der Rückkehr der Bundeslade und dem Kampf gegen Goliat auch noch David ins Spiel.

Man sieht aus all dem, dass dieser Autor zwar von manchen biblischen Stoffen gehört hatte, dass ihm die biblischen Texte aber fremd waren und ihm die historischen Zusammenhänge fremd waren.

Daraus ergibt sich, dass der Koran unmöglich das reine Wort Gottes sein kann. Dem allwissenden Gott wären solche Fehler nicht passiert. Diese Erkenntnis mag für Muslime nicht leicht anzunehmen sein. Es ist aber wichtig, seine Augen nicht vor der Realität zu verschließen. Nur so kann man die Wahrheit erkennen.

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