1 Das aber sollst du wissen: In den letzten Tagen werden schwere Zeiten anbrechen. 2 Die Menschen werden selbstsüchtig sein, habgierig, prahlerisch, überheblich, Lästerer, ungehorsam gegen die Eltern, undankbar, gottlos, 3 lieblos, unversöhnlich, verleumderisch, unbeherrscht, rücksichtslos, dem Guten abgeneigt, 4 heimtückisch, verwegen, hochmütig, mehr dem Vergnügen als Gott zugewandt. 5 Den Schein der Frömmigkeit wahren sie, verleugnen aber deren Kraft. Wende dich von diesen Menschen ab! (2 Timotheus 3,1-5)
Wer Kontakt zu Zeugen Jehovas hat, kennt diesen Text wahrscheinlich. Diese Verse aus dem 2. Timotheusbrief werden gerne als Hinweis angeführt, dass wir in den letzten Tagen leben.
Aufs Erste scheinen diese Verse ganz gut zu passen. Die Beschreibung der Menschen in den Versen 2-5 trifft leider wirklich auf viele unserer Zeitgenossen zu. Aber ist das neu und erst in unserer Zeit zu bemerken? Auch wenn es Unterschiede gibt, so ist es eine traurige Tatsache, dass es zu allen Zeiten sehr sehr viele Menschen gab, die der Schilderung in diesem Text entsprechen.
Weiters ist bemerkenswert, dass Paulus Timotheus auffordert, sich von diesen Menschen abzuwenden. Wie sollte das gehen? Timotheus konnte sich doch unmöglich von Menschen des 21. Jahrhunderts abwenden, da diese ihm völlig unbekannt waren. Es kann nur um Menschen gehen, mit denen Timotheus zu tun hatte.
Lesen wir zum Vergleich einen anderen Text:
28 Und da sie es nicht für wert erachteten, sich gemäß ihrer Erkenntnis an Gott zu halten, lieferte Gott sie einem haltlosen Denken aus, sodass sie tun, was sich nicht gehört: 29 Sie sind voll Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier und Bosheit, voll Neid, Mord, Streit, List und Tücke, sie verleumden 30 und treiben üble Nachrede, sie hassen Gott, sind überheblich, hochmütig und prahlerisch, erfinderisch im Bösen und ungehorsam gegen die Eltern, 31 sie sind unverständig und haltlos, ohne Liebe und Erbarmen. 32 Sie erkennen, dass Gottes Rechtsordnung bestimmt: Wer so handelt, verdient den Tod. Trotzdem tun sie es nicht nur selbst, sondern stimmen bereitwillig auch denen zu, die so handeln. (Römer 1,28-39)
Hier schildert Paulus nicht die Verhältnisse der Letzten Tage, sondern das auch zu seiner Zeit sichtbare Ergebnis der Ablehnung Gottes. Diese Auflistung ist sogar noch schlimmer als die im 2. Timotheusbrief. Gewaltverbrechen wie Mord werden dort nicht erwähnt.
Im Römerbrief schildert Paulus Zustände, wie sie unter den Heiden seiner Zeit nicht unüblich waren. Auch die in Römer 1,26-27 genannten sexuellen Verirrungen, waren leider unter seinen Zeitgenossen – wie auch heutzutage – nicht selten.
Warum macht Paulus Timotheus auf diese Dinge aufmerksam? Es geht nicht um die Verhältnisse, wie sie unter Ungläubigen leider zu jeder Zeit anzufinden sind. Es geht um Menschen, die vorgeben, Christen zu sein, und trotzdem in diesen Sünden leben.
In der Anfangszeit waren die Nachfolger Jesu auch nicht sündenfrei, doch sie haben eine tiefe grundsätzliche Änderung in ihrem Leben erfahren. Der Wunsch, Gott durch ein heiliges Leben zu dienen, war stark. Die ersten Christen hatten in der Hingabe und in der Liebe der Apostel große Vorbilder, die sie zu einem Leben nach dem Willen Gottes ermunterten. Doch bestand die Gefahr, dass in der zweiten, dritten christlichen Generation vieles vom Schwung und der Entschlossenheit der ersten Generation verloren ging. Zeichen dafür waren gegen Ende des Wirkens von Paulus schon sichtbar. Darum machte Paulus Timotheus darauf aufmerksam. Auch zu den Ältesten von Ephesus sagte Paulus auf seiner Reise nach Jerusalem:
29 Ich weiß: Nach meinem Weggang werden reißende Wölfe bei euch eindringen und die Herde nicht schonen. 30 Und selbst aus eurer Mitte werden Männer auftreten, die mit ihren falschen Reden die Jünger auf ihre Seite ziehen. 31 Seid also wachsam und denkt daran, dass ich drei Jahre lang Tag und Nacht nicht aufgehört habe, unter Tränen jeden Einzelnen zu ermahnen. (Apostelgeschichte 20,29-31)
Ebenso wie die Ältesten von Ephesus wollte Paulus auch Timotheus auf diese Zeit vorbereiten. Er sollte sich deutlich von denen abgrenzen, die vorgeben, Christen zu sein, aber doch ganz anders leben. Sie wahren nur den Schein der Frömmigkeit, verleugnen aber deren Kraft. Durch ein Leben in Sünde lästern sie ihren Herrn. Wenn die Ermahnung nicht mehr hilft, ist eine deutliche Abgrenzung nötig.
Ziel der Worte von Paulus an Timotheus ist nicht eine Beschreibung der Endzeit, sondern eine Weisung, wie Timotheus sich Scheinchristen gegenüber zu verhalten hat. Diese Weisung betrifft nicht nur Timotheus, sondern jeden, der Jesus Christus nachfolgt.
Warum aber spricht Paulus von den letzten Tagen, wenn er seine eigene Zeit meint? Paulus wusste genauso wenig wie andere Christen, wann Jesus wiederkommen wird. Die Worte Jesu aus Apostelgeschichte 1,7 gelten auch für ihn:
Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat.
Es schien ihm aber bewusst gewesen zu sein, dass nach der Zeit der Apostel mit großen Gefahren zu rechnen sein wird. Es würde vermehrt Menschen geben, die sich als Christen ausgeben, ohne es zu sein. Timotheus sollte sein Bestes tun, um die Gemeinde am Weg der Nachfolge zu bewahren. Diese Zeit mit vielen Scheinchristen, die durch ihre Sünden dem Christentum großen Schaden zufügen, hat bis heute nicht aufgehört und wird bis zum Kommen des Herrn dauern. Insofern ist es eine „Letzte Zeit“, die nun schon über 1900 Jahre dauert. Wie lange es noch bis zum Ende dauern wird, weiß nur der Herr. Das zu wissen, ist nicht unsere Sache, auch nicht die Sache der Zeugen Jehovas.
Was wirklich unsere Sache ist, ist ein Leben nach den Geboten Gottes, in der Bereitschaft, unserem Herrn zu begegnen. Ob diese Begegnung bei unserem Tod sein wird oder beim zweiten Kommen Jesu, ist nicht so wichtig. Wir sollen mit Paulus sagen können:
7 Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue bewahrt. 8 Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit, den mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird, aber nicht nur mir, sondern allen, die sein Erscheinen ersehnen. (2 Timotheus 4,7-8)