Der Lügengriffel der Schreiber

Wie könnt ihr sagen: Weise sind wir und die Weisung des HERRN ist bei uns? Fürwahr, siehe: Der Lügengriffel der Schreiber hat es zur Lüge gemacht. (Jeremia 8,8)

Dieses Wort des Propheten Jeremia wird verschiedentlich von Verkündern des Islams als Argument für die Verfälschung des mosaischen Gesetzes angeführt. Der Text spricht in der Tat über die Thora JHWHs. Die Einheitsübersetzung gibt diesen Ausdruck mit „Weisung des HERRN“ wieder, andere Übersetzungen, wie Luther oder die Elberfelder Übersetzung sprechen vom „Gesetz des HERRN“.

Ist dieses Argument korrekt?

Der Zusammenhang von Jeremia 8

4 Du sollst zu ihnen sagen: So spricht der HERR: Wer hinfällt, steht der nicht wieder auf? Wer vom Weg abkommt, kehrt der nicht wieder zurück? 5 Warum wendet dieses Volk sich ab, verharrt Jerusalem in der Abkehr? Warum halten sie am Irrtum fest, weigern sich umzukehren? 6 Ich horche hin und höre: Schlechtes reden sie, keiner bereut sein böses Tun und sagt: Was habe ich getan? Jeder wendet sich ab und läuft weg, schnell wie ein Ross, das im Kampf dahinstürmt. 7 Selbst der Storch am Himmel kennt seine Zeiten; Turteltaube, Schwalbe und Drossel halten die Frist ihrer Rückkehr ein; mein Volk aber kennt nicht die Rechtsordnung des HERRN. 8 Wie könnt ihr sagen: Weise sind wir und die Weisung des HERRN ist bei uns? Fürwahr, siehe: Der Lügengriffel der Schreiber hat es zur Lüge gemacht. 9 Zuschanden werden die Weisen, sie sind bestürzt und werden gefangen. Siehe, das Wort des HERRN haben sie verworfen und wessen Weisheit haben sie noch? (Jeremia 8,4-9)

Gott klagt darüber, dass sein Volk in der Sünde verharrt. Normalerweise steht man wieder auf, wenn man gefallen ist, oder kehrt um, wen man den Weg verloren hat. Jerusalem verhält sich aber nicht so. Sie verharren in der Sünde. Sie bereuen ihr böses Tun nicht. Sie kennen die Rechtsordnung Gottes nicht. Trotzdem berufen sie sich auf die Weisung des HERRN, die sie bei sich wähnen. Jeremia sagt ihnen, dass sie die Weisung des HERRN nicht wirklich kennen. Sie kennen das, was ihnen die Schreiber lügnerisch nahebringen. Deswegen droht Jeremia den Weisen das Gericht Gottes an.

Hätte der Lügengriffel der Schreiber den Text der Thora verfälscht, dann müssten wir in der heutigen Thora Texte finden, die Sünder in ihrem falschen Vertrauen bestärkt.

Was sagt die Thora zur Verhärtung in der Sünde?

Solche Texte finden wir aber nicht. Vielmehr lesen wir Worte, die das Gericht über die Sünde ankündigen und vor Verhärtung im Schlechten warnen.

17 Dass es bei euch nur ja nicht einen Mann oder eine Frau, eine Sippe oder einen Stamm gibt, dessen Herz sich heute von dem HERRN, unserm Gott, abwendet, um hinzugehen, den Göttern jener Nationen zu dienen! Dass es ja nicht eine Wurzel unter euch gibt, die Gift und Wermut als Frucht bringt, 18 – und es geschieht, wenn er die Worte dieses Fluches hört, dass er sich in seinem Herzen segnet und sagt: Ich werde Frieden haben, auch wenn ich in der Verstocktheit meines Herzens wandle! -, so dass das bewässerte mit dem durstigen Land hinweggerafft wird. 19 Nicht wird der HERR ihm vergeben wollen, sondern dann wird der Zorn des HERRN und sein Eifer gegen jenen Mann rauchen, und der ganze Fluch, der in diesem Buch aufgeschrieben ist, wird auf ihm liegen, und der HERR wird seinen Namen unter dem Himmel auslöschen. 20 Und der HERR wird ihn aus allen Stämmen Israels zum Unheil aussondern, nach all den Flüchen des Bundes, der in diesem Buch des Gesetzes geschrieben ist. (Deuteronomium 29,17-20 – Elberfelder)

Es gibt hier eine sehr klare Warnung vor Verstockung in der Sünde. Die in den Versen 19 und 20 erwähnten Flüche finden sich im Kapitel 28 desselben Buches.

In der gesamten Thora von Genesis 1 bis Deuteronomium 34 gibt es keine Stelle, die den Intentionen der in Jeremia 8 genannten Schreiber entspricht. Hätten diese tatsächlich den Text der Thora manipuliert, würden diese Verfälschungen wieder entfernt worden sein.

Wer waren diese Schreiber?

Mit absoluter Sicherheit kann man das nicht sagen. Mit großer Wahrscheinlichkeit stammen die Worte aus Jeremia 8 aus der Zeit des Königs Jojakim. Die in Kapitel 7 erzählte Tempelrede Jeremias fand in der Anfangszeit des Königs Jojakim (609-597) statt. Es legt sich nahe, dass auch Kapitel 8 aus annähernd derselben Zeit stammt. Jojakim hat das Reformwerk seines gottesfürchtigen Vaters Joschija wieder zurückgenommen. Bereits in der Tempelrede kritisierte Jeremia den Götzendienst, der mit sexueller Unmoral und Unterdrückung der Armen und Schwachen verbunden war (Jeremia 7,6.9). Trotzdem vertraute das Volk in seinen Sünden auf den Tempel des HERRN (Jeremia 7,4). Ebenso wie in 8,8 sprach Jeremia in 7,4 und 7,8 von Lügen, auf die sich das Volk verließ. In 7,4 war die Lüge, dass das Volk durch den Tempel geschützt sei. Der Tempel war der Ort, in dem Gott seinen Namen wohnen ließ. Ein knappes Jahrhundert zuvor hatte Gott während der Regierung des Königs Hiskija die Stadt Jerusalem tatsächlich auf wunderbare Weise vor der Eroberung und Zerstörung durch den Assyrerkönig Sanherib bewahrt (2 Könige 18,13-19,35). Diese Rettungstat Gottes wurde offensichtlich von den Propagandisten Jojakims ausgenutzt, um dem Volk eine falsche Sicherheit einzureden.

Bei den „Schreibern“ mit dem Lügengriffel könnte es sich um Hoftheologen Jojakims gehandelt haben, denen es nicht um den Willen Gottes ging, sondern um den Willen des Königs, dem sie entsprechen wollten. In welcher Weise diese Leute den Lügengriffel eingesetzt haben, können wir nur ahnen. Es muss nicht eine Änderung am Gesetzestext gewesen sein. Es kann sich auch um andere Schriften handeln, die als Weisung Gottes ausgegeben wurden, die aber spätestens im Zuge der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier verloren gingen. Dazu passt auch ein Wort aus dem Buch der Klagelieder, das kurz nach der Zerstörung der Stadt geschrieben wurde.

Deine Propheten schauten dir Lug und Trug. Deine Schuld haben sie nicht aufgedeckt, um dein Schicksal zu wenden. Sie schauten dir als Prophetenworte nur Trug und Verführung. (Klagelieder 2,14)

Diese „Gottesmänner“ haben Lüge als Wort Gottes ausgegeben. Jeremia hat diese Menschen durchschaut und vor ihnen und ihren Lügen gewarnt.

Sollten diese Verführer tatsächlich etwas an der Thora verändert haben, dann würden diese Manipulationen wieder entfernt worden sein. Es ist nicht zu erwarten, dass die Juden, die die Worte Jeremias als Heilige Schrift überliefert haben gleichzeitig auch eine von ihm beklagte Fälschung als Heilige Schrift beibehalten hätten.

Wie sahen spätere Propheten und Gottesmänner das Gesetz?

Mehr als 150 Jahre nach der Situation von Jeremia 8 zog Esra aus Babylon nach Jerusalem. Über ihn heißt es:

6 Dieser Esra kam also von Babel herauf. Er war ein Schriftgelehrter, kundig in der Weisung des Mose, die der HERR, der Gott Israels, gegeben hatte. […] 10 Denn Esra war von ganzem Herzen darauf aus, die Weisung des HERRN zu erforschen und danach zu handeln und Gesetz und Rechtsentscheid in Israel zu lehren. (Esra 7,6a.10)

Sollen wir annehmen, dass Esra die Lügen der in Jeremia 8,8 genannten Schreiber nicht entdeckt hätte, wären sie zu seiner Zeit in der Thora gewesen?

Gedenkt der Weisung meines Knechtes Mose; am Horeb habe ich ihm Gesetze und Rechtsentscheide übergeben, die für ganz Israel gelten. (Maleachi 3,22)

Maleachi war vermutlich kurz nach Esra. Sollte dieser Prophet Gottes zur Befolgung eines verfälschten Buches aufgerufen haben?

Auch Jesus ist immer von der Unverfälschtheit des Gesetzes ausgegangen. In Markus 7,13a wirft er den Pharisäern und Schriftgelehrten vor:

So setzt ihr durch eure eigene Überlieferung Gottes Wort außer Kraft.

Sollte Jesus die angeblichen Fälschungen aus der Zeit Jeremias nicht durchschaut haben?

Zusammenfassung

Jeremia kritisierte „Gesetzeslehrer“ seiner Zeit, die das Volk in seinen Sünden bestätigten und nicht zur Umkehr aufriefen. Solche Verführer gab es nicht nur zur Zeit Jeremias, sondern immer wieder im Laufe der Geschichte. Auch in unserer Zeit gibt es viele Verkünder des „Christentums“, die die Menschen nicht zur Umkehr aufrufen und nicht vor den Sünden warnen. In dieser Weise wird die Schrift verfälscht, indem wichtige Inhalte nicht verkündet werden, ohne dass dadurch der geschriebene Text verändert wird.

Durch Gottes Wirken in der Geschichte, sein Strafgericht durch die Babylonier und das darauffolgende Exil, wurden diese falschen Lehrer als Verführer entlarvt. Die Schriften ihres Lügengriffels wurden nicht weiter überliefert und sind verloren gegangen. Spätere Propheten und Gottesmänner gingen von der Echtheit der Thora aus. Das islamische Argument mit Jeremia 8,8 ist unzutreffend.

Überdies geht auch der Koran von der Unverfälschtheit der Thora aus. Mehr dazu gibt es hier zu lesen.

Halte fern von mir den Weg der Lüge, und gewähre mir dein Gesetz!
(Psalm 119,29 – Elberfelder)

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