1 Auf, lasst uns zum HERRN zurückkehren! Denn er hat gerissen, er wird uns auch heilen; er hat verwundet, er wird uns auch verbinden. 2 Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück, am dritten Tag richtet er uns wieder auf und wir leben vor seinem Angesicht. 3 Lasst uns ihn erkennen, ja lasst uns nach der Erkenntnis des HERRN jagen! Er kommt so sicher wie das Morgenrot; er kommt zu uns wie der Regen, wie der Frühjahrsregen, der die Erde tränkt. (Hosea 6,1-3)
Mit diesen Worten drückt das Volk Israel zur Zeit des Propheten Hosea seinen Willen zur Umkehr zu Gott aus. Es sieht so aus, als ob die Verkündigung des Propheten unter den Israeliten Frucht gebracht hätte. Sie haben Strafgerichte als den Ruf Gottes verstanden. Es war ja nicht Gott direkt, der „gerissen“ und „verwundet“ hat (Vers 1). Aber Gott hat es zugelassen. Er hat dem Volk seine schützende Hand entzogen. Es wird nicht näher ausgeführt, worin das „Reißen“ und „Verwunden“ bestanden hat. Zumindest in der Anfangszeit des Wirkens Hoseas unter Jerobeam II. war Israel politisch stark. Danach war die Stabilität dahin. Die Könige wechselten in rascher Folge und die Bedrohung durch die Assyrer wuchs. Es könnte auch zu Missernten oder anderen Katastrophen gekommen sein.
Auf jeden Fall gab es eine religiöse Aufbruchstimmung zurück zum Gott Israels. Sie wollten wieder ihren Gott erkennen, der Erkenntnis des HERRN nachjagen. Sie waren sich gewiss, dass Gott sich ihrer erbarmen würde. So sicher wie das Morgenrot oder der Regen im Frühjahr.
Doch die Antwort Gottes, die der Prophet übermittelte, entsprach nicht ihrer Erwartung.
4 Was soll ich mit dir tun, Efraim? Was soll ich mit dir tun, Juda? Eure Liebe ist wie eine Wolke am Morgen und wie der Tau, der bald vergeht. 5 Darum habe ich durch die Propheten zugeschlagen, habe sie durch die Worte meines Mundes umgebracht. Dann wird mein Recht hervorbrechen wie das Licht. 6 Denn an Liebe habe ich Gefallen, nicht an Schlachtopfern, an Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern. (Hosea 6,4-6)
Der Prophet hat erkannt, dass es den Menschen nicht um eine wirkliche Umkehr ging. Wie eine Morgenwolke oder wie Tau wird ihre Liebe rasch wieder vergehen. Es fehlte die wirkliche Basis der Umkehr. Es geht Gott nicht um religiöse Gefühle, die erweckt werden. Es geht ihm auch nicht um Rituale und Schlachtopfer.
Das mit „Liebe“ übersetzte Wort חֵסֵד / chesed wird von der Septuaginta mit ἔλεος / éleos „Barmherzigkeit, Erbarmen, Mitleid“ wiedergegeben. In dieser Variante finden wird dieses Wort Hoseas auch in Matthäus 9,13 und 12,7 zitiert. Jesus hat dieses Prophetenwort den Pharisäern gesagt, die kritisierten, dass er mit Zöllnern und Sündern zusammen war oder dass seine Jünger sich nicht an ihre Auslegung des Sabbatgebots gehalten haben. Den Pharisäern war religiöser Formalismus wichtiger als die Menschenfreundlichkeit Gottes, der die Menschen aus Liebe zu sich ruft.
Zum Wort chesed schreibt die Jerusalemer Bibel1:
Das entsprechende hebräische Wort (chesed) enthält zunächst die Vorstellung eines Bandes, einer Bindung. Im mitmenschlichen Bereich bezeichnet es dann Freundschaft, Solidarität, Loyalität, vor allem wenn diese Haltungen in einer vertraglichen Verpflichtung wurzeln. Von Gott ausgesagt, bringt es die Treue zu seinem Bund und die Zuneigung zum Ausdruck, die er darum dem erwählten Volk gegenüber hegt, anders gesagt die Liebe Gottes zu seinem Volk und die Hulderweise, die ihr entspringen. Dieser chesed Gottes ruft aber auch im Menschen chesed auf, d. h. Hingabe des Herzens, vertrauende Freundschaft, Selbstvergessenheit, Innigkeit, „Frömmigkeit“, mit einem Wort: Liebe, die sich ausspricht in freudigem Eingehen auf Gottes Willen, der vom Menschen vor allem die Zuwendung zum Mitmenschen in Gerechtigkeit und Liebe verlangt.
Diese Liebe hat Hosea bei dem Umkehrversuch seines Volks vermisst. Wenn man die Worte liest, die ihren Willen zur Umkehr ausdrücken, so scheint alles gut zu sein. Doch der Prophet hat gesehen, dass es den Menschen nicht wirklich darum ging, der Erkenntnis Gottes nachzujagen. Vielleicht wollten sie nur der schlechten Situation entkommen. Da ihnen die Götter, denen sie nachgelaufen waren, nicht geholfen haben, wollten sie es vielleicht wieder mit ihrem Nationalgott versuchen.
In Vers 5 spricht Gott durch Hosea in sehr drastischer Weise über die Strafgerichte. Er hat durch die Worte der Propheten zugeschlagen und sie durch die Worte seines Mundes umgebracht. Das von Hosea und anderen Propheten angekündigte Unheil ist gekommen. Doch die tiefe Umkehr, die sie bewirken sollte, ist noch nicht erfolgt. Aber die Hoffnung ist noch nicht geschwunden. Gottes Recht wird wie Licht hervordringen. Dazu braucht es aber Liebe und Treue und wahre Gotteserkenntnis, nicht eine Religiosität, die sich in Schlachtopfern oder anderen religiösen Ritualen ausdrückt. Gott will das Herz des Menschen und sein ganzes Leben erfüllen.
Mehr als sieben Jahrhunderte nach Hosea ist Gott in Jesus Christus Mensch geworden und hat sich vollkommen hingegeben. Er ist so in seiner Liebe nicht nur auf das Volk Israel zugegangen, sondern auf alle Menschen, die er ruft, sich mit ihm versöhnen zu lassen.
21 Ich verlobe dich mir auf ewig; ich verlobe dich mir um den Brautpreis von Gerechtigkeit und Recht, von Liebe und Erbarmen, 22 ich verlobe dich mir um den Brautpreis der Treue: Dann wirst du den HERRN erkennen. (Hosea 2,21-22)
- Die Bibel. Deutsche Ausgabe mit den Erläuterungen der Jerusalemer Bibel, 17. Auflage 1983, S. 1281-1282. ↩