Beim Lesen des Titusbriefes bin ich am Wort φιλανθρωπία / philanthropía hängen geblieben. Im 3. Kapitel heißt es:
1 Erinnere sie daran, sich den Obrigkeiten und Machthabern unterzuordnen und ihnen zu gehorchen und zu jedem guten Werk bereit zu sein, 2 niemanden zu schmähen, friedfertig zu sein, gütig und alle Freundlichkeit allen Menschen gegenüber zu zeigen! 3 Denn auch wir waren früher unverständig und ungehorsam, dem Irrtum verfallen, Sklaven aller möglichen Begierden und Leidenschaften, lebten in Bosheit und Neid, waren verhasst und hassten einander. 4 Als aber die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters, erschien, 5 hat er uns gerettet – nicht aufgrund von Werken der Gerechtigkeit, die wir vollbracht haben, sondern nach seinem Erbarmen – durch das Bad der Wiedergeburt und die Erneuerung im Heiligen Geist. (Titus 3,1-5)
Das Wort philanthropía steht in Vers 4 und wird von der Einheitsübersetzung mit „Menschenfreundlichkeit“ wiedergegeben. Es steht sonst nur noch in Apostelgeschichte 28,2, wo von der „ungewöhnlichen Menschenfreundlichkeit“ der Leute von Malta die Rede ist, die sie den Schiffbrüchigen erwiesen. Das dazugehörige Adverb gibt es noch in Apostelgeschichte 27,3 wo es um das menschenfreundliche Verhalten des Hauptmanns Julius Paulus gegenüber geht.
Wenn heutzutage von „Philanthropen“ die Rede ist, dann geht es meist um Multimilliardäre, die im Laufe ihres Lebens ungeheure Mengen von Geld zusammengerafft haben, sodass sie nicht mehr wissen, was sie mit so viel Geld anfangen sollten. Daher wird dieses Geld „philanthropisch“ genützt. Sie wollen Gutes damit tun. Nur ist das, was Multimilliardäre, die nicht nur auf ethisch einwandfreiem Weg reich geworden sind, als „gut“ verstehen, nicht notwendigerweise auch wirklich gut. Man könnte es auch so verstehen, dass sie mit ihrem Reichtum die Gesellschaft und die Menschheit nach ihren eigenen Vorstellungen verändern wollen.
Leider sind die Worte Jesu aus Lukas 22 auch heute noch zutreffend:
Die Könige der Nationen herrschen über sie, und die Gewalt über sie üben, lassen sich Wohltäter nennen. (Lukas 22,25 – Elberfelder)
Das betrifft nicht nur die politischen Führer, sondern auch andere, die aufgrund ihres gewaltigen Reichtums Einfluss haben.
Daran anschließend sagte Jesus seinen Jüngern klar, dass es bei ihnen ganz anders zugehen soll:
26 Ihr aber nicht so! Sondern der Größte unter euch sei wie der Jüngste und der Führende wie der Dienende. 27 Denn wer ist größer, der zu Tisch Liegende oder der Dienende? Nicht der zu Tisch Liegende? Ich aber bin in eurer Mitte wie der Dienende. (Lukas 22,26-27 – Elberfelder)
Unter den Jüngern Jesu zählen nicht die Macht und das Geld, sondern die von Gott kommende Liebe, der Dienst aneinander. Dabei hat Jesus selber als Dienender seinen Jüngern das beste Beispiel gegeben.
Das führt uns wieder zurück zu unserem Ausgangstext in Titus 3.
Die „Güte und Menschenfreundlichkeit“ Gottes, über deren Erscheinen Paulus schreibt, ist Jesus. Mit dem Kommen Jesu ist die Menschenfreundlichkeit Gottes in Person in die Welt gekommen.
Jesus ist Gottes Antwort auf den unheilvollen Zustand der Menschen, wie Paulus ihn in Vers 3 geschildert hat:
Denn auch wir waren früher unverständig und ungehorsam, dem Irrtum verfallen, Sklaven aller möglichen Begierden und Leidenschaften, lebten in Bosheit und Neid, waren verhasst und hassten einander.
Der „autonome“ Mensch ohne Gott wird zum Sklaven der Begierden. Der Mensch, der in vermeintlicher Selbstliebe sich selbst im Zentrum hat, landet in Bosheit, Neid und Hass. All diese Bosheit hat ihre Wurzel in der Ablehnung Gottes.
Gottes Antwort war aber nicht, dass er die Menschen in ihrem Dreck stecken ließ. Er hat sich in seiner Menschenfreundlichkeit den Menschen zugewandt, ist selber einer von uns geworden. Er hat sich in das von uns Menschen bewirkte Elend begeben, um uns aus diesem Elend zu holen.
Anders als die Milliardär-Philanthropen weiß der uns Menschen liebende Gott wirklich, was für uns gut ist. In Jesus hat er uns vorgelebt, wie ein Mensch nach Gottes Willen sein soll. Er war der einzige vollkommene Mensch, den es auf diesem Planeten je gegeben hat.
Er hat all seine Herrlichkeit abgelegt, um ganz zu sein wie wir. Er kam als ein einfacher Handwerker, nicht als Herrscher oder Milliardär, der einen kleinen Teil seines Reichtums großzügig verteilt hat. Er hat sich selbst ganz hingegeben.
So verändert er alle, die sich von ihm retten lassen, die wissen, dass sie selbst nichts zur Rettung beitragen können. Die Rettung ist reine Barmherzigkeit und Gnade. Aber so werden sie fähig, Gottes Menschenfreundlichkeit weiterzugeben, wie es in Titus 3,1b-2 heißt:
[…] und zu jedem guten Werk bereit zu sein, 2 niemanden zu schmähen, friedfertig zu sein, gütig und alle Freundlichkeit allen Menschen gegenüber zu zeigen!
Dazu gehört auch die Unterordnung unter die irdischen Machthaber (Titus 3,1a), auch wenn wir wissen, dass diese Machthaber oft nicht von wahrer Philanthropie gelenkt werden. Doch eine mangelhafte Ordnung ist immer noch besser als gar keine Ordnung, als Chaos und Anarchie.
Gott, der einzig wahre Philanthrop, schafft das Wunder, aus Menschen, die von Egoismus bestimmt sind, aus Misanthropen, Philanthropen nach seinem eigenen Vorbild, das er in Jesus gezeigt hat, zu machen.
Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe. (Johannes 13,15)