Warnt Hebräer 6 vor dem Abfall vom Glauben?

4 Denn es ist unmöglich, jene, die einmal erleuchtet worden sind, die von der himmlischen Gabe genossen und Anteil am Heiligen Geist empfangen haben, 5 die das gute Wort Gottes und die Kräfte der kommenden Weltzeit gekostet haben, 6 dann aber abgefallen sind, erneut zur Umkehr zu bringen; da sie den Sohn Gottes noch einmal für sich ans Kreuz schlagen und zum Gespött machen. 7 Wenn ein Boden den häufig herabströmenden Regen trinkt und denen, für die er bebaut wird, nützliche Gewächse hervorbringt, empfängt er Segen von Gott; 8 trägt er aber Dornen und Disteln, so ist er nutzlos und vom Fluch bedroht; am Ende wird er verbrannt. (Hebräer 6,4-8)

Es sind harte und klare Worte, mit denen der Autor des Hebräerbiefs seine Leser vor dem Abfall warnt. Da diese Worte nicht in das von etlichen Evangelikalen vertretene Konzept „Einmal gerettet – immer gerettet“ passt, sind diese Menschen dazu gezwungen, diese Stelle anders zu erklären. In diesem Artikel etwa wird einerseits auf etliche andere Stellen verwiesen, die man so versteht, dass sie sagen, dass ein wiedergeborener Christ nicht mehr verloren gehen kann. In Hebräer 6 und 10 gehe es um Juden, die sich äußerlich dem Christentum zugewandt haben, aber wie Judas und Simon der Zauberer Christus nicht angenommen haben. Diese könnten sich wieder von Christus abwenden, danach aber nicht mehr Christen werden.

Bezüglich Hebräer 6 wird darauf hingewiesen, dass der Schreiber von einem „Anfang“ rede.

Das waren die Schatten, welche auf Christus hinwiesen, aber dieser war ja nun gekommen, so dass die Schatten keinen Wert mehr hatten.

Konkret heißt es in Hebräer 6,1-2 (Elberfelder Übersetzung):

1 Deshalb wollen wir das Wort vom Anfang des Christus lassen und uns der vollen Reife zuwenden und nicht wieder einen Grund legen mit der Buße von toten Werken und dem Glauben an Gott, 2 der Lehre von Waschungen und der Handauflegung, der Totenauferstehung und dem ewigen Gericht.

Der Verfasser listet diese Dinge nur auf, ohne im Detail darzulegen, was damit gemeint ist. Da es sich um die Dinge des Anfangs handelt, konnte er bei seinen Lesern voraussetzen, was damit gemeint ist. Vielleicht werde ich mich in einem späteren Beitrag damit näher beschäftigen. Es geht aber definitiv nicht um „Schatten“, die im Alten Testament auf Christus hinwiesen (vergleiche Kolosser 2,16-17, wo die Speisegebote und Feste des Alten Bundes als Schatten bezeichnet werden).

Hier geht es um das „Wort vom Anfang des Christus“, also um die Schritte, die ein Jude setzt, der Christ wird. Sie haben sich durch eine Umkehr von den toten Werken getrennt, haben in Jesus die Tiefe des rechtfertigenden Glaubens an Gott erkannt, haben sich taufen lassen (mussten daher die christliche Taufe von jüdischen Waschungen unterscheiden). Die Totenauferstehung und das ewige Gericht kannten sie als Juden schon von früher. Aber auch diese Erwartung hat durch Jesus ein neues Gewicht gewonnen.


In einem anderen Artikel derselben Website werden die in Hebräer 6,4-5 genannten Punkte im Detail behandelt, um zu zeigen, dass es nicht um gläubige Christen geht. Ich kopiere den Abschnitt über diese Verse hierher und schreibe meine Anmerkungen dazu:


In Hebräer 6,4.5 werden die Erfahrungen derer beschrieben, die abgefallen waren. Es geht dabei um die äußere Verbindung zum Christentum, nicht aber um die Segnungen eines wahren Kindes Gottes:

  • Die christlichen Bekenner waren „erleuchtet“ worden. – Als Christus in die Welt kam, wurden die Menschen durch Ihn erleuchtet, das heißt in das Licht Gottes gestellt. Aber nur einige erfassten es (Joh 1,9.5). Vom Licht angestrahlt zu werden, ist etwas anderes, als wenn Gott in das Herz eines Menschen leuchtet und jemand „Licht in dem Herrn“ wird (2. Kor 4,6Eph 5,8).

Die „Erleuchtung“, von der Johannes 1,9 spricht, ist nicht die „Erleuchtung“, um die es in Hebräer 6,4 geht.

Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.

Es geht entweder um eine Erleuchtung, die jeden Menschen betrifft, auch die, die nie etwas von Jesus gehört haben. Das ewige Wort Gottes, durch das die Welt geschaffen wurde, schenkt allen Menschen das Licht, aus der Schöpfung Gott zu erkennen. Die meisten Menschen nehmen dieses Licht nicht an.

Oder es geht um das Kommen Jesu in diese Welt, in der er das Licht Gottes noch konkreter gebracht hat. Aber auch in diesem Fall geht es um die Erleuchtung aller Menschen, die über Jesus gehört haben.

Der Hebräerbrief richtet sich an Menschen, die nicht nur vom Licht aus der Schöpfung „angestrahlt“ worden sind oder die Botschaft Jesu nur gehört haben, sondern um Menschen, deren Erleuchtung zu lebensverändernden Konsequenzen geführt hat.

32 Erinnert euch an die früheren Tage, in denen ihr als Erleuchtete einen harten Leidenskampf auf euch genommen habt, 33 da ihr durch Beschimpfungen und Bedrängnisse öffentlich zur Schau gestellt wurdet oder mitbetroffen gewesen seid vom Geschick derer, denen es so erging; 34 denn ihr habt mit den Gefangenen gelitten und auch den Raub eures Vermögens mit Freuden hingenommen, da ihr wusstet, dass ihr einen besseren und bleibenden Besitz habt. 35 Werft also eure Zuversicht nicht weg – sie hat großen Lohn! 36 Was ihr braucht, ist Ausdauer, damit ihr den Willen Gottes erfüllt und die Verheißung erlangt. (Hebräer 10,32-36)

In den „früheren Tagen“ nach ihrer „Erleuchtung“ haben diese Gläubigen eine schwere Verfolgung erduldet. Jetzt werden sie daran erinnert und zur Zuversicht und Ausdauer ermuntert. Wären sie keine Christen geworden, müssten sie zur Umkehr aufgefordert werden.

Die in 2 Korinther 4,6 genannte „Erleuchtung“ war dieselbe Erleuchtung, die auch die Hebräer erfahren hatten:

Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit aufstrahlt die Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi.

Auch in Epheser 5 wird das „Aufleuchten des Christus“ als die (geistliche) Auferstehung, d. h., das Christwerden verstanden.

[…] denn alles, was offenbar wird, ist Licht. Deshalb heißt es: »Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten!, und der Christus wird dir aufleuchten!« (Epheser 5,14 – Elberfelder)


  • Sie hatten „die himmlische Gabe“, Christus, geschmeckt. – Schmecken oder probieren ist nicht dasselbe wie verinnerlichen. Wer das Brot aus dem Himmel, Jesus Christus, isst, wird leben in Ewigkeit (Joh 6,51.56).

Der neutestamentliche Gebrauch des Wortes γεύομαι / geúomai („schmecken“) ist nicht so einfach, wie es sich dieser Erklärer vorstellt.

So heißt es in Lukas 14,24 von den Eingeladenen (= Juden), die die Einladung ausschlugen:

Denn ich sage euch: Keiner von denen, die eingeladen waren, wird an meinem Mahl teilnehmen (wörtlich: wird mein Gastmahl schmecken).

Hier steht „schmecken“ für die volle Mahlgemeinschaft.

Auch in Apostelgeschichte 20,11 steht γεύομαι / geúomai für das Essen und wird daher auch so übersetzt.

In Hebräer 2,9 hat Jesus den Tod für jeden „geschmeckt“. Jesus ist bekanntlich vollständig gestorben, nicht nur ein bisschen.

Petrus schreibt seinen Lesern, die offensichtlich Christen waren:

2 Verlangt wie neugeborene Kinder nach der unverfälschten, geistigen Milch, damit ihr durch sie heranwachst und Rettung erlangt! 3 Denn ihr habt gekostet, wie gütig der Herr ist. (1 Petrus 2,2-3)

Es scheint unter den frühen Christen ein allgemeiner Sprachgebrauch gewesen zu sein, das Wort „schmecken“ in diesem Sinne zu verstehen. Die in dieser Erklärung gemachte Unterscheidung ist künstlich.

Wenn Jesus in Johannes 6,51 vom ewigen Leben spricht, das aus der Gemeinschaft mit ihm kommt, setzt er unausgesprochen die Treue voraus. An anderen Stellen (z. B. Johannes 15,5-6) spricht Jesus durchaus davon, dass es notwendig ist, in ihm zu bleiben.


  • Sie waren „des Heiligen Geistes teilhaftig geworden“. – Das Substantiv des griechischen Wortes im Grundtext für „teilhaftig“ wird an anderen Stellen mit „Genosse“ übersetzt. Das zeigt gut, worum es geht: Diese Menschen waren Genossen des Heiligen Geistes geworden, da sie sich in dem Bereich bewegten, wo sich seine großartige Wirksamkeit entfaltete. Etwas ganz anderes ist es jedoch, wenn der Geist in das Herz eines Menschen gegeben und sein Körper der Tempel des Heiligen Geistes wird (2. Kor 1,221. Kor 6,19).

Das Wort μέτοχος / métochos wird außerhalb des Hebräerbriefs nur in Lukas 5,7 verwendet, wo es die „Gefährten“ des Fischers Simon Petrus meint. Das würde für die genannte Erklärung sprechen.

Betrachten wir aber die Wortverwendung im Hebräerbrief, weist das in eine andere Richtung.

Darum, heilige Brüder, die ihr an himmlischer Berufung teilhabt, richtet euren Sinn auf den Apostel und Hohepriester unseres Bekenntnisses: Jesus, […] (Hebräer 3,1)

„Heilige Brüder“ sind Christen. Die „Teilhabe“ an der himmlischen Berufung meint nicht nur eine „Bewegung in dem Bereich“, in dem Gott wirkte.

[…] denn an Christus haben wir nur Anteil, wenn wir bis zum Ende an der Zuversicht festhalten, die wir am Anfang hatten. (Hebräer 3,14)

Auch hier geht es nicht um eine „Bewegung im Bereich Christi“. Es geht um die Gemeinschaft mit ihm. Dazu gilt es die anfängliche Zuversicht bis zum Ende festzuhalten.

Wenn ihr aber ohne Züchtigung seid, deren alle teilhaftig geworden sind, so seid ihr Bastarde und nicht Söhne. (Hebräer 12,8 – Elberfelder)

Sie haben Züchtigung (Erziehung) von Gott erfahren, wurden wie alle Kinder dieser Züchtigung teilhaftig. Ohne diese Erziehung wären sie keine echten Kinder. So aber sind sie es. Sie haben sich nicht nur irgendwie im Bereich der göttlichen Erziehung bewegt.


  • Sie hatten „das gute Wort Gottes geschmeckt“. – Aber wir lesen nicht, dass sie durch das Wort Gottes wiedergeboren waren und es zur Nahrung für ihre Seele gemacht hatten
    (vgl. 1. Pet 1,23Jer 15,16).
  • Sie hatten auch die „Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters“ geschmeckt. – Man kann Wunder erleben und von ihnen beeindruckt sein, ohne sich zu bekehren (vgl. Joh 2,23–25).

Es geht hier wieder um das Wort γεύομαι / geúomai, das in der Bibel mehr bedeuten kann als nur ein bisschen „schmecken“.

Sie haben Gottes Wort und Wirken in ihrem Leben erfahren, haben deswegen auch Verfolgung und Verlust ihrer irdischen Besitztümer auf sich genommen.

Diese Menschen hatten das mächtige Wirken des Geistes Gottes in der Anfangszeit des Christentums erleben dürfen und sich äußerlich zu Christus bekannt. Aber in ihren Herzen hatte sich nicht wirklich etwas verändert.

Um seine Erklärung zu rechtfertigen, müssen die Empfänger des Hebräerbriefs möglichst negativ dargestellt werden. Gerrid Setzer, der Autor dieser Erklärung, tut damit diesen Leuten unrecht. Sie werden dadurch zu Opfern seiner dogmatischen Verirrung.


Wenn diese Menschen wieder in den Schoß des Judentums zurückkehrten, war für sie keine Buße mehr möglich (V. 6–8). Denn sie stellten sich damit auf die Seite des Volkes, das Christus gekreuzigt hatte, und bezeugten öffentlich, dass die Tötung Jesu zu Recht geschah. Damit verwarfen sie bewusst das einzige Mittel zur Rettung und konnten keine Gnade mehr finden.

Für die Empfänger des Hebräerbriefs war die Gefahr tatsächlich der Rückfall ins Judentum. Aber es ging um die Gefahr des Abfalls, die ja auch ausdrücklich genannt wird, nicht um eine Verweigerung der Umkehr. Viele dieser Christen waren schon viele Jahre im Glauben. Es ist unvorstellbar, dass damals Gläubige und Ungläubige jahre- oder sogar jahrzehntelang als Gemeindeglieder nebeneinander gelebt haben. Die Konsequenz dieser Lehre wäre, dass Christen voneinander nicht wissen können, ob sie im Glauben leben. Letztlich wird hier die Anonymität der erst viel später entstandenen „Volkskirchen“ vorausgesetzt.

Abfall setzt auch nicht voraus, dass jemand öffentlich bezeugt, dass die Tötung Jesu zu Recht geschah. So weit muss es nicht kommen. Es genügt die Leugnung des Opfers Jesu durch ein Leben in der Sünde.


Dieser Abschnitt des Hebräerbriefs wurde geschrieben, damit die Empfänger nicht abfallen. Der Autor hat den Glauben seiner Leser nicht infragegestellt. Er hat sie zur Ausdauer im Guten ermuntert. Nicht die Leugnung der Gefahr bewahrt vor dem Abfall, sondern der Hinweis darauf und die Warnung vor den Konsequenzen.

Gleichzeitig hat der Schreiber auch seine Hoffnung für seine Leser ausgedrückt und sie ermuntert und durch den Hinweis auf ihre bisherigen Glaubensschritte zur Ausdauer und Treue aufgefordert.

9 Bei euch aber, Geliebte, sind wir trotz des Gesagten vom Besseren überzeugt und davon, dass ihr am Heil teilhabt. 10 Denn Gott ist nicht so ungerecht, euer Tun zu vergessen und die Liebe, die ihr seinem Namen bewiesen habt, indem ihr den Heiligen gedient habt und noch dient. 11 Wir wünschen aber, dass jeder von euch im Blick auf den Reichtum unserer Hoffnung bis zum Ende den gleichen Eifer zeigt, 12 damit ihr nicht träge werdet, sondern Nachahmer derer seid, die durch Glauben und Geduld Erben der Verheißungen sind.
(Hebräer 6,9-12)

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