Jesu Gefangennahme und der Judaskuss

Nach den Evangelien von Matthäus und Markus hat Judas den Soldaten, die Jesus gefangen nehmen sollten, durch einen Kuss gezeigt, wen sie verhaften sollten.

47 Noch während er redete, siehe, da kam Judas, einer der Zwölf, mit einer großen Schar von Männern, die mit Schwertern und Knüppeln bewaffnet waren; sie waren von den Hohepriestern und den Ältesten des Volkes geschickt worden. 48 Der ihn auslieferte, hatte mit ihnen ein Zeichen vereinbart und gesagt: Der, den ich küssen werde, der ist es; nehmt ihn fest! 49 Sogleich ging er auf Jesus zu und sagte: Sei gegrüßt, Rabbi! Und er küsste ihn. 50 Jesus erwiderte ihm: Freund, dazu bist du gekommen? Da gingen sie auf Jesus zu, ergriffen ihn und nahmen ihn fest. (Matthäus 26,47-50)

43 Noch während er redete, kam Judas, einer der Zwölf, mit einer Schar von Männern, die mit Schwertern und Knüppeln bewaffnet waren; sie waren von den Hohepriestern, den Schriftgelehrten und den Ältesten geschickt worden. 44 Der ihn auslieferte, hatte mit ihnen ein Zeichen vereinbart und gesagt: Der, den ich küssen werde, der ist es. Nehmt ihn fest, führt ihn sicher ab! 45 Und als er kam, ging er sogleich auf Jesus zu und sagte: Rabbi! Und er küsste ihn. 46 Da legten sie Hand an ihn und nahmen ihn fest. (Markus 14,43-46)

Lukas schreibt nur, dass sich Judas genähert hat, um Jesus zu küssen, nicht aber über den Kuss selbst.

47 Noch während er redete, siehe, da kam eine Schar Männer; und der Judas hieß, einer der Zwölf, ging ihnen voran. Er näherte sich Jesus, um ihn zu küssen. 48 Jesus aber sagte zu ihm: Judas, mit einem Kuss lieferst du den Menschensohn aus? […] 54 Darauf nahmen sie ihn fest, führten ihn ab […] (Lukas 22,47-48.54)

Die Darstellung von Johannes scheint mit der der Synoptiker nicht übereinzustimmen.

3 Judas holte die Soldaten und die Gerichtsdiener der Hohepriester und der Pharisäer und kam dorthin mit Fackeln, Laternen und Waffen. 4 Jesus, der alles wusste, was mit ihm geschehen sollte, ging hinaus und fragte sie: Wen sucht ihr? 5 Sie antworteten ihm: Jesus von Nazaret. Er sagte zu ihnen: Ich bin es. Auch Judas, der ihn auslieferte, stand bei ihnen. 6 Als er zu ihnen sagte: Ich bin es!, wichen sie zurück und stürzten zu Boden. 7 Er fragte sie noch einmal: Wen sucht ihr? Sie sagten: Jesus von Nazaret. 8 Jesus antwortete: Ich habe euch gesagt, dass ich es bin. Wenn ihr also mich sucht, dann lasst diese gehen! […] 12 Die Soldaten, der Hauptmann und die Gerichtsdiener der Juden nahmen Jesus fest, fesselten ihn. (Johannes 18,3-7.12)

Johannes schreibt nichts über den verräterischen Kuss des Judas. Judas hat die Soldaten zum Garten geführt. Aber dann ist es Jesus, der die Initiative übernimmt. Er geht selbst hinaus (aus dem Garten?) und fragt die Soldaten, wen sie suchen. Über Judas schreibt Johannes nur, dass er „bei ihnen stand“. Man gewinnt den Eindruck, dass er nicht sonderlich aktiv geworden wäre.

Wie kann man die unterschiedlichen Berichte vereinbaren? Hat Johannes die Situation „theologischer“ darstellen wollen, indem er zeigt, dass Jesus der Herr der Situation war und sich selber aus freier Entscheidung den Feinden ausgeliefert hat?

In Johannes 10 hatte Jesus gesagt:

17 Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. 18 Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen. (Johannes 10,17-18)

Dass Johannes diesen Aspekt der freien Selbsthingabe Jesu auch in seiner Darstellung der Gefangennahme betonen wollte, ist anzunehmen. Doch muss das heißen, dass Johannes seine eigene Version „erfunden“ hat? Der Schreiber des Evangeliums war ein Augenzeuge.

Dies ist der Jünger, der all das bezeugt und der es aufgeschrieben hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. (Johannes 21,24)

Aber auch Matthäus, der einer der zwölf Apostel war, und vermutlich auch Markus (wenn er der in Markus 14,51 erwähnte junge Mann war) waren dabei.

Ich denke, dass die synoptische Darstellung mit der des Johannes vereinbar ist.

Judas ist wohl nicht direkt mit den Soldaten angerückt, sondern mit etwas Abstand. Offensichtlich wollte Judas nicht, dass Jesus merkt, dass er der Verräter ist. Sonst hätte er nicht das Zeichen des Kusses vereinbart. Judas hätte mit der bewaffneten Truppe kommen und direkt auf Jesus zeigen können. Das hat er aber nicht gemacht, sondern eine unter Freunden übliche Begrüßung als Zeichen gewählt. Das konnte mit seiner Motivation für den Verrat zusammenhängen. Mehr dazu hier.

Der Abstand sollte so groß sein, dass der Zusammenhang zwischen dem Kuss und den Soldaten nicht allzu auffällig war. Aber die Soldaten mussten erkennen können, wen Judas geküsst hatte. In der Nacht vor dem Paschafest war Vollmond. Es war also nicht stockdunkel. Zusätzlich hatte Judas wohl eine Fackel bei sich.

Vielleicht war es so, dass Judas schon bei Jesus war, ihn geküsst hat, dass die Soldaten aber noch nicht da waren. Da ging Jesus auf sie zu und stellte ihnen die Frage, wen sie suchten. Jesus übernahm dadurch die Initiative. Er zeigte dadurch, dass sie ihn auch ohne den geheuchelten Kuss des Judas finden konnten. Jesus hat sich selber gezeigt. Zugleich hat er sich schützend vor seine Jünger gestellt. Er wusste um ihre Schwäche und dass es für ihr geistliches Überleben sehr gefährlich sein konnte, wenn auch sie verhaftet worden wären. Judas stand nur mehr wie ein Statist am Rande der Szene.

Johannes hat diesen Aspekt hervorgehoben, ohne der Darstellung der synoptischen Evangelien zu widersprechen.

Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung. (Johannes 13,1b)

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