Gedanken zum Turmbau zu Babel

1 Die ganze Erde hatte eine Sprache und ein und dieselben Worte. 2 Als sie ostwärts aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an. 3 Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel. 4 Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. 5 Da stieg der HERR herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. 6 Und der HERR sprach: Siehe, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, wenn sie es sich zu tun vornehmen. 7 Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. 8 Der HERR zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. 9 Darum gab man der Stadt den Namen Babel, Wirrsal, denn dort hat der HERR die Sprache der ganzen Erde verwirrt und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut. (Genesis 11,1-9)

In diesen Versen geht es nicht um Geschichtsschreibung im eigentlichen Sinn. Am Beispiel des Turmbaus zu Babel soll etwas über das Wesen des Menschen in seiner Beziehung zu Gott ausgedrückt werden.

Das Strafgericht der Sintflut führte nicht zu einer grundlegenden Änderung des Menschen. Der gerechte Noach wurde mit seiner Familie gerettet. Das bedeutete aber nicht, dass alle seine Nachkommen seinem Beispiel folgten.

Am Ende der Fluterzählung sagte Gott:

Ich werde den Erdboden wegen des Menschen nie mehr verfluchen; denn das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an. Ich werde niemals wieder alles Lebendige schlagen, wie ich es getan habe. (Genesis 8,21b)

Der rebellische Geist steckte und steckt tief im Menschen. Gott will nicht immer wieder eine Flut als Strafgericht senden. Er hat mit den Menschen einen Bund geschlossen, dessen Zeichen der Regenbogen ist (Genesis 9,11-17).

In der Erzählung vom Turmbau wird gezeigt, wie sich die Menschen wieder von Gott abgewandt haben. Es ging ihnen darum, sich selbst einen Namen zu machen. Sie wollten nicht Gott im Zentrum haben. Der Grund ihrer Einheit sein sollte ihr eigener Ruhm sein, den sie sich durch ihr großartiges Bauwerk schaffen wollten.

Der Turm sollte mit seiner Spitze bis in den Himmel reichen. Das meint nicht, dass sie dachten, so hoch zu bauen, dass der Turm an das Firmament stößt. Sie wollten in die göttliche Sphäre eindringen, um diese für sich zu verwenden. Tatsächlich befand sich auf der höchsten Ebene der mesopotamischen Stufentürme (Zikkurat) ein Heiligtum, in welches die Gottheit herabsteigen sollte. Das Ziel dieser Verehrung war allerdings nicht, dem Schöpfer die Ehre zu geben, die ihm gebührt, weil er Gott ist. Es ging vielmehr darum, die Götter für seine eigenen Anliegen zu gewinnen. Die Götter empfangen das Opfer, das sie brauchen. Dafür darf der Mensch ihre Hilfe erwarten. Die Religion wird zum Kaufgeschäft, so wie es auch der Koran in Sure 9,111 ausdrückt. Der wahre Gott ist für solche Geschäfte nicht zu haben. Er will das Beste für uns Menschen. Er will das aber nicht in einer Geschäftsbeziehung geben, sondern aus Liebe. Der Mensch kann dem Allmächtigen absolut nichts geben, das er nicht vorher von ihm erhalten hat. Wahre Gottesverehrung gibt Gott die Ehre, weil er Gott ist, nicht um etwas von ihm zu erkaufen.

Wenn es in Vers 5 heißt, dass Gott herabstieg, um sich Stadt und Turm anzusehen, bedeutet das nicht, dass Gott nicht allwissend ist und dass er vom Himmel herabsteigen muss, um zu sehen, was die Menschen so machen. Die Heiden hatten sich erwartet, dass ihr Gott herabsteigt, um ihnen aufgrund ihres Kultes die gewünschten Gaben zu geben. Der Allmächtige stieg herab, um zu sehen, was die Menschlein in ihrem Größenwahn gemacht haben. Sie dachten, eine große Leistung zu vollbringen. Vor Gott ist das aber verschwindend klein. Er „muss“ herabsteigen, um sich das genauer anzusehen.

Auch Vers 6 meint nicht, dass den Menschen nach Vollendung des Turmbaus tatsächlich nichts mehr unerreichbar gewesen wäre. Die Gefahr war, dass der Hochmut des Menschen ins Unermessliche gestiegen wäre. Vielleicht ist dieser Vers ähnlich wie Sprichwörter 18,11 zu verstehen:

Das Vermögen des Reichen ist seine feste Stadt, wie eine hohe Mauer – in seiner Einbildung.

Dem Menschen muss eine Grenze gezeigt werden, damit er sich nicht zu sehr überhebt. So hat Gott ihre Sprache „vermengt“. Vielleicht brauchte es dazu kein besonderes Eingreifen Gottes. Man könnte es auch als eine Folge des Hochmuts sehen, dass die Menschen einander nicht mehr verstanden. Auch Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, können einander nicht mehr wirklich verstehen, wenn jeder auf sich selbst fixiert ist und in seiner eigenen Gedankenwelt lebt. Ein Bauprojekt, wo es eine klare Planung und eine durchorganisierte Befehlsstruktur gibt, kann natürlich trotzdem klappen. Aber in der Bibel geht es um mehr als nur ein Bauprojekt. Der konkrete Turm von Babel wurde ja in den Augen der Babylonier tatsächlich vollendet. Er blieb trotzdem unvollendet, weil das Ziel, sich Gott oder das Göttliche verfügbar zu machen, nicht erreicht wurde. Stolz und Hochmut können zu keiner echten und bleibenden Einheit führen. Wahre Einheit schenkt Gott dort, wo sich Menschen ihm und somit auch einander unterordnen.

Der Name der Stadt Babel wird in Vers 9 umgedeutet. Bāb ili oder Bāb ilī hieß „Tor Gottes bzw. der Götter“. Der biblische Autor hat den Namen der Stadt vom Verb בָּלַל / bālal „vermengen, verwirren“ her erklärt. Nicht weil er die Bedeutung des Namens nicht gewusst hätte, sondern weil er damit ausdrücken wollte, dass der Ort, an dem die Menschen ein Tor für die Götter öffnen wollten, ein Ort der Vermischung und Verwirrung geworden ist. In ihrem Hochmut haben die Menschen sich nicht für Gott geöffnet, sondern sie wurden verwirrt und über die ganze Erde zerstreut.

Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Versuche, große Einheitsprojekte zu starten, die ihren Grund in einer gottwidrigen Gesinnung hatten. Es ist natürlich gut, wenn Menschen zusammenarbeiten, einander helfen und unterstützen. Der Mensch ist von seinem Wesen her auf Gemeinschaft hin ausgerichtet. Aber diese Einheit verwirklicht sich am besten im kleinen Rahmen.

Das Bild zu diesem Beitrag zeigt das turmartige Gebäude des Europäischen Parlaments in Straßburg. Ich hätte auch das Hochhaus der Vereinten Nationen in New York nehmen können. Beide Institutionen erweisen sich mehr und mehr als Hort einer widergöttlichen und damit auch gegen den Menschen gerichteten, auf menschlichem Hochmut beruhenden Gesinnung. Das zeigte sich z. B. als 2021 das Europäische Parlament Abtreibung, d. h. die Tötung unschuldiger ungeborener Menschen, zu einem Menschenrecht erklärt hat. Ähnlich versuchen auch Institutionen der Vereinten Nationen, insbesondere die WHO, die vorgeburtliche Kindstötung weltweit zu fördern. Die Hybris der Menschen, die meinen, ohne Gott auszukommen und eine widergöttliche „Moral“ durchzusetzen, ist derzeit besonders stark. Doch wird Gott auch den modernen babylonischen Türmen ein Ende bereiten, auch wenn es derzeit nicht so aussieht.

Es liegt aber auch im Kleinen an jedem Einzelnen, keinen Turm gegen Gott zu errichten, sondern Gott die ihm gebührende Ehre zu geben. Gott selbst hat sich zu uns heruntergebeugt, ist Mensch in Schwäche und Kleinheit geworden, um uns Demut zu lehren, die die wahre Größe des Menschen ausmacht.

Vor dem Sturz ist das Herz des Menschen überheblich, aber der Ehre geht Demut voran. (Sprichwörter 18,12)

Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. (Matthäus 11,29)

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