Haman im Koran

Im alttestamentlichen Buch Ester erscheint ein Mann namens Haman als Feind der Juden. Weil sich der Jude Mordechai weigerte, vor Haman niederzufallen, wollte Haman in seinem Zorn alle Juden im Perserreich ausrotten (Ester 3). Durch Gottes Führung wurde dieser Plan zunichtegemacht und Haman wurde auf dem Galgen, den er für Mordechai errichten ließ, hingerichtet (Ester 7,10).

Auch im Koran kommt Haman mehrmals vor, allerdings nicht im Kontext der Perserzeit.

3 Wir verlesen dir von der Kunde über Mūsā und Firʿaun der Wahrheit entsprechend, für Leute, die glauben. 4 Gewiß, Firʿaun zeigte sich überheblich im Land und machte seine Bewohner zu Lagern, von denen er einen Teil unterdrückte, indem er ihre Söhne abschlachtete und (nur) ihre Frauen am Leben ließ. Gewiß, er gehörte zu den Unheilstiftern. 5 Wir aber wollten denjenigen, die im Land unterdrückt wurden, eine Wohltat erweisen und sie zu Vorbildern machen und zu Erben machen, 6 ihnen eine feste Stellung im Land verleihen und Firʿaun, Hāmān und deren Heerscharen durch sie das erfahren lassen, wovor sie sich immer vorzusehen suchten. 7 Und Wir gaben der Mutter Mūsās ein: „Stille ihn. Und wenn du um ihn fürchtest, dann setze ihn in das Wasser und fürchte dich nicht und sei nicht traurig. Wir werden ihn dir zurückbringen und ihn zu einem der Gesandten machen.“ 8 Da lasen ihn die Angehörigen Firʿauns auf, damit er ihnen zum Feind und (Grund zum) Kummer werde. Gewiß, Firʿaun, Hāmān und deren Heerscharen pflegten verfehlt zu handeln. (Sure 28,3-8)

Und Firʿaun sagte: „O ihr führende Schar, keinen anderen Gott weiß ich für euch als mich (selbst). So entfache mir, o Hāmān, einen Brand auf Lehm, und mache mir einen Hochbau, auf daß ich zum Gott Mūsās emporsteige. Ich glaube fürwahr, daß er zu den Lügnern gehört.“ (Sure 28,38)

Und (erwähne weiterhin) Qārūn und Firʿaun und Hāmān. Mūsā kam ja zu ihnen mit den klaren Beweisen. Aber sie verhielten sich hochmütig auf der Erde; doch konnten sie (Uns) nicht zuvorkommen. (Sure 29,39)

23 Und Wir sandten bereits Mūsā mit Unseren Zeichen und mit einer deutlichen Ermächtigung 24 zu Firʿaun und Hāmān und Qārūn. Sie aber sagten: „Ein verlogener Zauberer.“ 25 Als er ihnen nun die Wahrheit von Uns brachte, sagten sie: „Tötet die Söhne derjenigen, die mit ihm glauben, und laßt (nur) ihre Frauen am Leben.“ Aber die List der Ungläubigen geht bestimmt verloren. (Sure 40,23-25)

36 Und Firʿaun sagte: „O Hāmān, errichte mir einen Hochbau, vielleicht kann ich die Seile erreichen, 37 die Seile der Himmel, daß ich zum Gott Mūsās emporsteige, und ich halte ihn wahrlich für einen Lügner.“ So wurde Firʿaun sein böses Tun ausgeschmückt, und er wurde vom (rechten) Weg abgehalten. Aber Firʿauns listige Tat wird nur zugrunde gehen. (Sure 40,36-37)

Im Koran tritt Haman immer im Zusammenhang mit Firʿaun, dem Pharao, auf, an zwei Stellen wird auch Qārūn genannt, der dem biblischen Korach entspricht. Eigentlich sind mit Firʿaun zwei unterschiedliche Pharaonen gemeint. In 28,3-8 und 40,23-25 geht es um den Pharao, der regierte, als Mose geboren wurde. In 28,7 wird erwähnt, dass Moses Mutter ihren kleinen Sohn im Wasser aussetzen sollte (vergleiche Exodus 2,1-10). Auch Sure 40,25 scheint von derselben Situation zu sprechen, da die Anordnung, die Söhne zu töten, dem entspricht, was in Exodus 1,16 steht:

Wenn ihr den Hebräerinnen Geburtshilfe leistet, dann achtet auf das Geschlecht! Ist es ein Knabe, so lasst ihn sterben! Ist es ein Mädchen, dann kann es am Leben bleiben.

Andererseits setzen die Verse 40,23-24 voraus, dass Mose bereits erwachsen war. Da scheint dem Autor des Korans etwas durcheinandergekommen zu sein.

Sure 28,38 und 40,36-37 hingegen sprechen von einer anderen Situation. Hier wird vorausgesetzt, dass der Pharao in einer Konfrontation mit Mose war, was in die Zeit vor dem Auszug der Israeliten aus Ägypten passt, als Mose mit dem Pharao über den Auszug verhandelt hat. Dieser Pharao war ein anderer Herrscher als der Pharao zur Zeit der Geburt von Mose. Dieser war nach Exodus 2,23 gestorben, als Mose im Exil in Midian war. Erst danach wurde Mose von Gott beauftragt, nach Ägypten zurückzukehren und das Volk Israel aus der Knechtschaft in die Freiheit zu führen (Exodus 3). Den Autor des Korans scheint die Verknüpfung dieser beider Pharaonen zu einer einzigen Gestalt nicht sonderlich gestört zu haben. Falls der Autor des Korans doch zwei verschiedene Pharaonen gemeint hat, dies aber nicht für wert geachtet hat, niederzuschreiben, muss vorausgesetzt werden, dass Haman unter beiden Herrschern ein hohes Amt innehatte.

Haman wurde vom Pharao des Auszugs beauftragt, einen „Hochbau“ zu errichten, damit er zum Gott Moses emporsteigen könne.

Die Bibel berichtet sehr viel über die Verhandlungen zwischen Mose und dem Pharao und die Plagen, mit denen Gott auf die Verhärtung des Pharao reagiert hat. Doch von der Errichtung eines „Hochbaus“ ist dort keine Rede. Das erinnert vielmehr an die Geschichte vom Turmbau zu Babel in Genesis 11,1-9.1

3 Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel. 4 Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. (Genesis 11,3-4)

Interessant ist auch die Gestalt des Qārūn, des biblischen Korach, der in Sure 28,76-82 korrekt als ein Volksgenosse Moses eingeführt wird. Die dortige Erzählung ist in Übereinstimmung mit Numeri 16. In Sure 29,39 und 40,24 wird er aber in einem Zusammenhang mit dem Pharao und Haman genannt. Sure 29,39 könnte man als eine Aufzählung von Gegnern Moses verstehen, die nicht unbedingt miteinander zu tun hatten. Aber in 40,24 sieht es so aus, dass diese drei Männer in derselben Situation Gegner von Mose waren, wobei die Sache dadurch erschwert wird, dass es in 40,25 um die Situation vor der Geburt des Mose geht.

Das passt gut zum Gesamteindruck, den man aus allen diesen Stellen gewinnt, nämlich, dass der Autor nicht ganz bibelfest war. So hat er den Feind Israels in der Perserzeit mit dem Feind Israels in Ägypten zur Zeit der Unterdrückung verknüpft. Dass da einige Jahrhunderte dazwischen waren, war ihm vermutlich nicht einmal bewusst. Zur Abrundung kam noch der Turmbau zu Babel dazu, der sowohl geografisch als auch zeitlich ganz anders zu verorten war. Da stört es dann auch nicht mehr, wenn der Israelit Korach aus dem Stamm Levi mit dem Pharao gegen Mose zusammengearbeitet hat.

Vielleicht hat der Autor des Korans auch etwas von jüdischen Traditionen gehört, die den Pharao und Haman als Beispiele von Feinden Israels gemeinsam nannten, ohne aber anzunehmen, dass diese zeitgleich lebten. Ein Beispiel dafür wäre Ester Rabba (Proömium 5).

Ob man nun diese jüdischen Traditionen im Hintergrund annimmt oder nicht, ist offensichtlich, dass dem koranischen Autor die Kenntnis der biblischen Texte fehlte. Das ewige unveränderliche Wort Gottes ist hier nicht zu finden.

In Ewigkeit, HERR, steht dein Wort fest im Himmel. (Psalm 119,89 – Elberfelder)


  1. Nach Adam Silverstein, Hāman’s transition from Jāhiliyya to Islam: Jerusalem Studies in Arabic and Islam, Vol. 34, 2008, S.285-308, könnte aber auch der antike Aḥīqar-Roman im Hintergrund stehen, demzufolge der assyrische Weise Aḥīqar seinen Neffen Nādān nach Ägypten schickte, um dort einen Turm zu errichten, der bis zum Himmel reicht. In bestimmten Versionen der Erzählung könnte Nādān nun mit Haman verschmolzen sein, was sowohl dessen Verbindung zu Pharao als auch Pharaos in Q 28:38 und Q 40:36-37 erwähntem Bauprojekt erklären würde. Zitiert nach corpuscoranicum.de

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