35 Paulus aber und Barnabas blieben in Antiochia und lehrten und verkündeten mit vielen anderen das Wort des Herrn. 36 Nach einiger Zeit sagte Paulus zu Barnabas: Wir wollen wieder aufbrechen und sehen, wie es den Brüdern in all den Städten geht, in denen wir das Wort des Herrn verkündet haben. 37 Barnabas wollte auch den Johannes, genannt Markus, mitnehmen; 38 doch Paulus bestand darauf, ihn nicht mitzunehmen, weil er sie in Pamphylien im Stich gelassen hatte, nicht mit ihnen gezogen war und an ihrer Arbeit nicht mehr teilgenommen hatte. 39 Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung, sodass sie sich voneinander trennten; Barnabas nahm Markus mit und segelte nach Zypern. 40 Paulus aber wählte sich Silas und reiste ab, nachdem die Brüder ihn der Gnade des Herrn empfohlen hatten. 41 Er zog durch Syrien und Kilikien und stärkte die Gemeinden. (Apostelgeschichte 15,35-41)
Auf den ersten Blick sieht es so aus, dass hier zwei Gottesmänner in einen Konflikt geraten wären, den sie nicht zu lösen vermochten und deshalb jeder der beiden seinen eigenen Weg ging, wobei nur Paulus von der Gemeinde der Gnade des Herrn empfohlen wurde.
Schauen wir uns das näher an!
Paulus und Barnabas kannten einander seit Jahren und waren miteinander tief verbunden. Barnabas hatte schon vor der Umkehr von Paulus eine verantwortungsvolle Position in der Gemeinde von Jerusalem (vergleiche Apostelgeschichte 4,36-37). Er war es, der Paulus zu den Aposteln brachte (Apostelgeschichte 9,27). Barnabas und Paulus wirkten gemeinsam in der Gemeinde von Antiochia (Apostelgeschichte 11,22-26) und brachten gemeinsam finanzielle Unterstützung von Antiochia nach Jerusalem (Apostelgeschichte 11,29-30). Gemeinsam verkündeten sie das Evangelium auf der sogenannten 1. Missionsreise in Zypern und Teilen Kleinasiens (Apostelgeschichte 13-14). Sie waren Männer,
[…] die beide für den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, ihr Leben eingesetzt haben. (Apostelgeschichte 15,26)
Als solche überbrachten sie die Beschlüsse der Versammlung der Apostel und Ältesten von Jerusalem, in denen geklärt wurde, dass sich die nichtjüdischen Jünger nicht unter das Joch des jüdischen Gesetzes beugen mussten, an die Gemeinden von Syrien und Kilikien.
Als sie, nachdem sie einige Zeit in Antiochia verbracht hatten, die auf der 1. Missionsreise gegründeten Gemeinden wieder besuchen wollten, kam es zum Konflikt.
Auf der 1. Missionsreise begleitete Johannes Markus, ein Verwandter des Barnabas (Kolosser 4,10) als „Helfer“1 die beiden Verkünder (Apostelgeschichte 13,5). Er war aber nur am ersten Teil der Reise auf der Insel Zypern als ihr Begleiter dabei. Nach der Überfahrt nach Pamphylien (im Süden Kleinasiens) verließ Markus die beiden und kehrte nach Jerusalem zurück (Apostelgeschichte 13,13). In der Apostelgeschichte wird kein Motiv seiner Rückkehr genannt. Der Vorschlag von C. P. Thiede, dass Johannes Markus in Perge Petrus getroffen habe, der gerade am Rückweg von Rom nach Jerusalem war, um ihm die Rohfassung seines Evangeliums vorzulegen2, scheint doch sehr spekulativ zu sein. Vielleicht war es einfach die Angst vor den Risiken dieser großen Aufgabe. Zypern war für ihn vermutlich aufgrund seines familiären Hintergrunds – sein Vetter Barnabas stammte von dort (Apostelgeschichte 4,36) – nicht unbekannt und daher eine leichtere Aufgabe.
Für Paulus war dieses Versagen Grund genug, dass er Markus nicht wieder mitnehmen wollte. Er wollte von solchen Mitarbeitern begleitet werden, auf die er sich absolut verlassen konnte. Barnabas, der Markus besser kannte als Paulus, wollte ihn aber mitnehmen. Darum kam es zu diesem Konflikt.
Es ist wahrscheinlich, dass auch die Situation, über die Paulus in Galater 2,11-14 schrieb, sich in Antiochien in der Zeit vor der Abreise zur 2. Missionsreise zugetragen hat und die Beziehung zwischen Paulus und Barnabas belastet hatte.
11 Als Kephas (Petrus) aber nach Antiochia gekommen war, habe ich ihm ins Angesicht widerstanden, weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte. 12 Bevor nämlich einige von Jakobus eintrafen, hatte er mit den Heiden zusammen gegessen. Nach ihrer Ankunft aber zog er sich zurück und sonderte sich ab, weil er die aus der Beschneidung fürchtete. 13 Und mit ihm heuchelten die anderen Juden, sodass auch Barnabas durch ihre Heuchelei mitgerissen wurde. 14 Als ich aber sah, dass sie nicht geradlinig auf die Wahrheit des Evangeliums zugingen, sagte ich zu Kephas in Gegenwart aller: Wenn du als Jude nach Art der Heiden und nicht nach Art der Juden lebst, wie kannst du dann die Heiden zwingen, wie Juden zu leben?
Es ist hier nicht der Ort, auf diese Auseinandersetzung einzugehen. Doch wurde dadurch das gegenseitige Vertrauen der beiden Männer nicht gestärkt.
Diese Dinge mögen helfen, den Hintergrund der Auseinandersetzung vor der 2. Missionsreise zu verstehen. Doch trennten sich die beiden wirklich im Streit?
Paulus schrieb an die Epheser:
26 Wenn ihr zürnt, sündigt nicht! Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen. 27 Gebt dem Teufel keinen Raum! (Epheser 4,26-27)
Das heißt doch, dass man möglichst schnell nach Versöhnung trachten soll.
Im Hebräerbrief, der vermutlich von Barnabas stammt3, heißt es:
Trachtet nach Frieden mit allen und nach der Heiligung, ohne die keiner den Herrn sehen wird! (Hebräer 12,14)
Beide folgten und verkündigten Jesus, der gesagt hatte:
23 Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, 24 so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe! (Matthäus 5,23-24)
Auch die Gemeinde, die nach Apostelgeschichte 15,40 Paulus und Silas dem Herrn empfohlen hatte, hätte dies nicht gemacht, wären Paulus und Barnabas im Unfrieden voneinander geschieden.
In späteren Briefen schrieb Paulus positiv sowohl über Barnabas:
Haben nur ich und Barnabas kein Recht, nicht zu arbeiten? (1 Korinther 9,6)
als auch über Markus:
Nimm Markus und bring ihn mit; denn er ist für mich nützlich zum Dienst. (2 Timotheus 4,11b)
Setzt das alles nicht voraus, dass die Trennung in Einheit und nicht im Unfrieden geschah?
Barnabas und Markus reisten zu den auf der 1. Missionsreise gegründeten Gemeinden auf Zypern, wo es die für Markus „leichtere“ Aufgabe zu bewältigen gab. Paulus und Silas besuchten die im zweiten Teil der 1. Missionsreise entstanden Gemeinden im Inneren Kleinasiens, um von dort ausgehend die Mission in bisher unerreichten Gebieten fortzusetzen. So kam es zu einer Aufgabenteilung, die für alle gut war. Weil sie im Frieden geschah, konnte das Werk auch von Gott gesegnet werden. Gewiss wäre es besser gewesen, wenn diese Aufgabenteilung ohne den vorhergehenden Konflikt geschehen wäre. Weil Barnabas und Paulus letztlich doch in Einheit gehandelt haben, hat Gott ihr Werk auch gesegnet.
Siehe, wie gut und wie schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen. (Psalm 133,1)
- Im Griechischen steht das Wort ὑπηρέτης / hypērétēs. Dasselbe Wort verwendet Lukas in seinem Prolog (Lukas 1,2) für die „Diener des Wortes“, deren Aufgabe es war, für die verlässliche Überlieferung der Worte und Taten Jesu zu sorgen. Da Johannes Markus der Autor des Markusevangeliums ist, legt sich nahe, dass es auf der Missionsreise seine Aufgabe war, eine Zusammenfassung des irdischen Wirkens Jesu zu geben, um den jungen Christen die nötige Information über Jesus zu liefern. Er hat damals mündlich weitergegeben, was er in seinem Evangelium niedergeschrieben hat. ↩
- Carsten Peter Thiede, Geheimakte Petrus, Stuttgart 2000, S.235-236. ↩
- So nach Tertullian, Über die Ehrbarkeit, Kapitel 20. ↩