9 Sie schreien über der Bedrücker Menge, rufen um Hilfe unter dem Arm der Großen. 10 Doch keiner fragt: Wo ist Gott, mein Schöpfer, der Loblieder schenkt bei Nacht, 11 der uns mehr lehrt als die Tiere der Erde und uns weiser macht als die Vögel des Himmels? (Ijob 35,9-11)
Diese Verse sind aus der dritten Rede Elihus im Buch Ijob. Elihu tritt erst auf, nachdem die drei Freunde Ijobs vergeblich versucht hatten, Ijob davon zu überzeugen, dass sein Leid die Folge seiner Sünden sein muss. Elihu versucht es nach ihnen, doch bleiben auch seine Reden auf einer ähnlichen Ebene wie die der Freunde Ijobs zuvor.1 Auch er möchte Ijobs Sündhaftigkeit aufzeigen und attackiert ihn sogar noch direkter. Der Gedanke, dass Leid immer eine Folge von Sünde sein muss, ist auch in seinem Denken tief verankert.
Trotzdem können wir auch aus den Inhalten seiner Reden lernen. Viele Gedanken Elihus und auch der Freunde Ijobs sind grundsätzlich richtig. Sie wurden nur zu schematisch auf die Situation Ijobs angewandt.
So ist es auch mit den oben zitierten Versen. Im Blick auf die Unterdrückung und das Unrecht, das in dieser Welt vielfach herrscht, läuft man Gefahr, davon zu sehr eingenommen zu werden. Man sieht die Bosheit und das Unrecht, man hat den Wunsch, dass Gott doch eingreifen möge und alles zum Guten wenden möge. Dabei fixiert man sich selber auf die Probleme und leicht verschwindet der Blick auf Gott.
Trotz aller Bosheit schenkt Gott Loblieder in der Nacht. Er hat uns geschaffen, dass wir ihn verherrlichen und gerade darin unsere Erfüllung finden.
Gott lehrt den Menschen mehr als die Tiere, er macht uns weiser als die Vögel des Himmels. Da geht es nicht nur um den höheren Intellekt des Menschen. Gott hat uns nach seinem Bild geschaffen (Genesis 1,27), damit wir ihn erkennen können, in eine Beziehung zu unserem Schöpfer treten können.
Er lehrt uns, was Weisheit ist:
Zum Menschen aber sprach er: Sieh, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit, das Meiden des Bösen ist Einsicht. (Ijob 28,28)
Gott als den Herrn unseres Lebens zu respektieren, das Gute zu tun, das Böse zu meiden, das ist die Weisheit, die unser Leben bestimmen soll, auch dann, wenn die Mehrheit anders denkt und lebt. In der Abhängigkeit von Gott können wir anders leben als andere es wollen, die sich vom Zeitgeist oder vom Egoismus bestimmen lassen.
Dadurch werden wir offen für Lob Gottes, das nicht an der Oberfläche bleibt, für Loblieder, die von Gott geschenkt werden.
Ein Beispiel dafür lesen wir in der Apostelgeschichte:
22 Da erhob sich das Volk gegen sie und die obersten Beamten ließen ihnen die Kleider vom Leib reißen und befahlen, sie mit Ruten zu schlagen. 23 Sie ließen ihnen viele Schläge geben und sie ins Gefängnis werfen; dem Gefängniswärter gaben sie Befehl, sie in sicherem Gewahrsam zu halten. 24 Auf diesen Befehl hin warf er sie in das innere Gefängnis und schloss ihre Füße in den Block. 25 Um Mitternacht beteten Paulus und Silas und sangen Loblieder; und die Gefangenen hörten ihnen zu. 26 Plötzlich begann ein gewaltiges Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Mit einem Schlag sprangen die Türen auf und allen fielen die Fesseln ab. (Apostelgeschichte 16,22-26)
Äußerlich betrachtet waren Paulus und Silas in einer sehr schlimmen Lage. Sie wurden ausgepeitscht und anschließend wurden ihre Beine im Gefängnis im Block fixiert. Trotzdem haben sie sich in ihrer Not nicht nur an Gott gewandt. Sie haben Loblieder gesungen. Trotz aller Schmerzen war es ihr Anliegen, Gott die Ehre zu geben und ihn zu preisen. So standen sie mit Gottes Hilfe über der Situation, und Gott konnte ein Wunder der Befreiung wirken.
Bei aller Klage über Unrecht und Unterdrückung, auch wenn es uns vielleicht nicht direkt betrifft, ist es wichtig, den Blick immer auf Gott gerichtet zu haben, damit nicht das Böse die Hoheit über unser Denken hat, sondern Gott, der Loblieder schenkt bei Nacht.
- Da Elihu unvermittelt auftritt und auch nach seinen Reden nicht mehr erwähnt wird, ist es möglich, dass seine Reden eine nachträgliche Ergänzung zu diesem literarischen Werk darstellen. ↩