Kein Neubekehrter?

2 Deshalb soll der Bischof untadelig, Mann einer einzigen Frau, nüchtern, besonnen sein, von würdiger Haltung, gastfreundlich, fähig zu lehren; 3 er sei kein Trinker und kein gewalttätiger Mensch, sondern rücksichtsvoll; er sei nicht streitsüchtig und nicht geldgierig. 4 Er muss seinem eigenen Haus gut vorstehen, seine Kinder in Gehorsam und allem Anstand erziehen. 5 Wenn einer seinem eigenen Haus nicht vorstehen kann, wie soll der für die Kirche Gottes sorgen? 6 Er darf kein Neubekehrter sein, damit er nicht hochmütig wird und dem Gericht des Teufels verfällt. 7 Er muss aber auch bei den Außenstehenden einen guten Ruf haben, damit er nicht in üble Nachrede kommt und in die Falle des Teufels gerät.
(1 Timotheus 3,2-7)

Das griechische Wort ἐπίσκοπος / epískopos, das die Einheitsübersetzung mit „Bischof“ übersetzt, meint keinesfalls das heutige Bischofsamt, wie es in der katholischen Hierarchie, aber auch in anderen Konfessionen fest verankert ist. Wörtlich meint es einfach „Aufseher“. Brüder, die von Gott her befähigt waren, mehr Verantwortung für andere Christen zu tragen, sollten von Timotheus diese besondere Verantwortung übertragen bekommen, oder wie es in Titus 1,5 heißt, als „Älteste“ eingesetzt werden. Eine Hierarchie im heutigen Sinn gab es damals nicht. Die „Aufseher“ sollten auf andere schauen, sich um sie kümmern, ihnen die Hilfe geben, die sie benötigten.

Die Situation muss man sich wohl so vorstellen: Ephesus war eine große Stadt, in der es, als Paulus von dort abgereist war, schon viele Christen gab, die sich in etlichen Hausgemeinden versammelten. Doch die Gemeinde wuchs weiterhin, was bedeutete, dass sowohl in der Stadt als auch im Umkreis von Ephesus immer wieder neue Hausgemeinden entstanden. Timotheus wurde von Paulus beauftragt, dafür zu sorgen, dass in diesen neu entstandenen Hausgemeinden „Älteste“ oder „Aufseher“ (beide Bezeichnungen wurden für dieselben Brüder verwendet – vergleiche Titus 1,5.7; Apostelgeschichte 20,17.28) eine besondere Verantwortung für ihre Glaubensgeschwister übernahmen.

Bei den aufgezählten Bedingungen ging es nicht nur darum, wie sie als Christen leben sollten, sondern Timotheus sollte auf ihr Vorleben achten. Sie sollten schon vor ihrer Bekehrung zu Jesus ein untadeliges Leben geführt haben. Wenn jemand, der vor seinem Christwerden z. B. dem Alkohol verfallen oder gewalttätig war, so würde das, auch wenn er sich von diesen Sünden entschlossen abgewandt hat, dennoch die Gemeinde vor Außenstehenden zumindest anfänglich in ein schlechtes Licht stellen. Jemand, der seiner Frau treu war, seine Kinder gut erzogen und für seine Familie verantwortungsbewusst gesorgt hat, zeigte dadurch, dass er fähig ist, Verantwortung zu tragen.

Was bedeutet nun die Bedingung, dass er kein Neubekehrter sein sollte? In den neu entstandenen Gemeinden waren doch alle neu zum Glauben an Jesus gekommen.

Im Griechischen steht das Wort νεόφυτος / neóphytos. Wörtlich heißt es „neugepflanzt“. Darum wird es in der Regel als „neubekehrt“ verstanden. In diesem Zusammenhang ergibt es einen besseren Sinn, wenn man es so versteht, dass der „Aufseher“ kein Neuling in der Heiligen Schrift oder Fragen des Glaubens sein soll. Es sollte nicht jemand sein, der sich aus dem Heidentum zu Jesus bekehrt hat und dem die Heilige Schrift des Alten Testaments weitgehend fremd ist. Er sollte aus dem Judentum kommen oder ein sogenannter Gottesfürchtiger sein, ein Nichtjude, der an den Gott Israels glaubte, sich aber nicht beschneiden ließ, der aber mit der Schrift vertraut sein konnte.

Der Schritt direkt vom Heidentum zu einer verantwortungsvollen Aufgabe in der Gemeinde war zu groß. Praktisch alles war für so einen jungen Bruder neu. Da bestand tatsächlich eine große Gefahr, mit der übertragenen Verantwortung nicht richtig umzugehen. So ein Bruder konnte aber dennoch durch ein Leben im Gehorsam im Laufe der Zeit in die Verantwortung hineinwachsen. Die Anweisungen von Paulus an Timotheus betrafen den Anfang einer (Haus-)Gemeinde.

Das Ziel war nicht, eine hierarchische Struktur einzuführen, sondern der Aufbau der Gemeinde, der nur durch den Beitrag aller Gläubigen einer Gemeinde geschehen konnte.

Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen! (1 Petrus 2,9)

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