Glaubt die Liebe alles?

Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.
(1 Korinther 13,7)

Vers 7 steht im Zentrum des kurzen Kapitels, das Paulus über die Liebe geschrieben hat. Dass die Liebe, die nicht auf sich selbst schaut, alles erträgt und allem standhält, ist nachvollziehbar und in manchen Situationen sehr wichtig.

Doch kann man sagen, dass die Liebe alles glaubt? Wenn ich es mit einem offensichtlichen Betrüger zu tun habe, werde ich gut daran tun, ihm nicht alles zu glauben, gerade wenn ich ihn liebe.

Jesus hat seine Jünger ja auch dazu aufgefordert, nicht nur arglos wie die Tauben zu sein, sondern auch klug wie die Schlangen, da er sie wie Schafe unter die Wölfe gesandt hat (Matthäus 10,16).

Auch Paulus hat geboten:

Prüft alles und behaltet das Gute! (1 Thessalonicher 5,21)

In 1 Korinther 13,6, unmittelbar vor unserem Vers schreibt er:

Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit.

Wenn sich die Liebe an der Wahrheit freut, kann sie nicht einfach alles glauben, insbesondere, wenn etwas eine offensichtliche Lüge ist.

Was will uns Paulus also mit den beiden mittleren Gliedern von Vers 7 sagen?

Sollen wir annehmen, dass Paulus mit „sie glaubt alles, sie hofft alles“ nur die Liebe zu Gott gemeint hat? Gott ist absolut glaubwürdig. Er ist es, der als einziger wirklich unsere Hoffnung erfüllen kann. Dann würde sich 1 Korinther 13 insgesamt auf die Liebe in allen ihren Formen beziehen, auf die Liebe zu Gott, die Liebe zum Bruder, die Liebe zu allen Menschen, auch zu den Feinden. Doch das Kernstück des Kapitels, die beiden mittleren Glieder von Vers 7 würden sich nur auf die Liebe zu Gott beziehen, dem wir alles glauben und von dem wir alles erhoffen dürfen. Diese Liebe zu Gott, die immer eine Antwort auf seine Liebe zu uns ist, bestimmt auch unsere Liebe zu den Menschen. Gottes Liebe führt uns darin, allen Menschen in der rechten Weise liebevoll zu begegnen.

Bei Norbert Baumert habe ich eine etwas andere Erklärung gefunden.

Bei ihm lautet Vers 7 so:1

Immer bedeckt und schützt sie, immer traut sie, immer hofft sie, immer hält sie durch.

Hier seine Erklärung dazu: 2

V 7 macht große Schwierigkeiten, solange man übersetzt: „Die Liebe glaubt alles“ etc. (EÜ). Ist sie nun doch ein dummer Trottel, der sich von den Bösen hinters Licht führen läßt? Man schwächt in der Erklärung selbstverständlich ab, aber der Wortlaut kann nur mit deutlichen Einschränkungen ernst genommen werden. Die Liebe ist ja letztlich das Wesen Gottes selbst. Können wir aber sagen, daß Gott „alles erträgt, alles glaubt, alles hofft, alles duldet“ (Luther, EÜ)? Hebt die Liebe etwa den Zorn Gottes auf? Und hatte nicht Paulus soeben gesagt, daß die Liebe das Böse nicht anerkennt und der Ungerechtigkeit nicht nachgibt?

J. Meißner hat gezeigt, daß das griechische panta hier zeitlich zu verstehen ist im Sinne von ‚immer‘. Dann ergibt sich: „Immer bedeckt / schützt die Liebe“ […], nämlich das, was des Schutzes bedarf. Sie geht also mit dem Schwachen liebevoll um und schützt ihn gegen Angriffe (vgl. Spr 10,12: „Liebe deckt alle Vergehen zu“, aber sie bestätigt sie nicht). – „Immer traut sie“, d.h. sie verliert nie das Vertrauen auf Gott, der sie nicht dem Bösen ausliefert; und den Menschen gegenüber ist sie immer bereit zu einem Vertrauensvorschuß. Aber sie traut nicht blindlings allem und jedem, sondern, wie soeben gesagt, sie scheidet genau zwischen gut und böse, wahr und falsch. – „Immer hofft sie“; in jeder Situation bleibt sie voll Hoffnung auf Gott und in Abhängigkeit davon dann auch in Hoffnung auf Menschen […] – „Immer hält sie aus“, die Liebe; sie bleibt unter der Situation, in die sie gestellt ist und bricht nicht aus oder zusammen, da sie von Gott getragen ist. Sie sagt also nicht vor der Zeit: ‚Jetzt ist Schluß‘, sondern ist die Kraft, die weiterträgt, bis Gott der Belastung ein Ende macht und eine Situation löst. […]

Für mich ist nur bedingt nachprüfbar, ob panta tatsächlich mit „immer“ übersetzt werden kann. Ich kenne den Text von J. Meißner, auf den sich Baumert bezieht, nicht. Im Neugriechischen hat es diese Bedeutung. Auch die New International Version übersetzt mit „immer“:

It always protects, always trusts, always hopes, always perseveres.

Somit gehe ich davon aus, dass diese Übersetzung möglich ist.

Mir erscheint die Wiedergabe mit „Immer traut sie“ besser zu passen als mit „Alles glaubt sie“. Wenn wir von der Liebe geleitet sind, vertrauen wir Gott und wir begegnen auch den Menschen mit einem Vertrauensvorschuss, auch wenn wir nicht blind alles glauben dürfen.

Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! (Johannes 15,9)

 


  1. Norbert Baumert, Sorgen des Seelsorgers. Übersetzung und Auslegung des ersten Korintherbriefes, Würzburg 2007, S. 221. 
  2. Baumert, S. 223-224. 

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