Die Errichtung der zerfallenen Hütte Davids bei Amos und Jakobus

11 An jenem Tag richte ich die zerfallene Hütte Davids wieder auf und bessere ihre Risse aus, ich richte ihre Trümmer auf und stelle alles wieder her wie in den Tagen der Vorzeit, 12 damit sie den Rest von Edom unterwerfen und alle Völker, über denen mein Name ausgerufen ist – Spruch des HERRN, der das ausführt.
(Amos 9,11-12)

Der Prophet Amos wirkte in der Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr. Er war von Gott gesandt, um dem Volk Israel das drohende Strafgericht anzukündigen. Am Ende seines Buches finden wir aber eine Heilszusage. Die zerfallene Hütte Davids soll wieder aufgerichtet werden. Das Reich Davids, das geteilt und geschwächt worden war, soll wieder in Stärke erstehen. So wie David die umliegenden Völker unterworfen hatte, würde auch das wieder errichtete Reich Davids die Edomiter und alle anderen Völker, „über denen mein Name ausgerufen ist“, unterwerfen und in Besitz nehmen.

Diese Verheißung des Propheten liegt noch im Rahmen des alttestamentlichen Denkens, in dem ein politisches Reich mit einem gerechten König erhofft und erwartet wurde. Doch dieses Reich wurde in dieser Form niemals Wirklichkeit, auch wenn der König Joschija nach dem Untergang des Nordreichs und der Schwächung der Assyrer wieder einen Großteil des ehemaligen Nordreichs Israel unter seine Herrschaft bringen konnte (vergleiche 2 Chronik 34,6-7). Die Herrschaft Joschijas war nur ein letztes Aufblühen, kurz bevor auch das Südreich Juda durch die Babylonier vernichtet wurde.

Etwas weniger als 800 Jahre nach Amos hat Jakobus, der Bruder des Herrn, die Worte dieses Propheten zitiert. In Jerusalem hatten sich die Apostel und Ältesten der Gemeinde versammelt, um darüber zu beraten, ob die nichtjüdischen Jünger beschnitten werden und die Ritual- und Speisevorschriften des jüdischen Gesetzes halten sollten.

Zuerst sprach Petrus. Dann ergriff Jakobus das Wort:

13 Als sie geendet hatten, nahm Jakobus das Wort und sagte: Brüder, hört mich an! 14 Simon hat berichtet, dass Gott selbst zuerst darauf geschaut hat, aus den Heiden ein Volk für seinen Namen zu gewinnen. 15 Damit stimmen die Worte der Propheten überein, die geschrieben haben: 16 Danach werde ich mich umwenden und die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten; ich werde sie aus ihren Trümmern wieder aufrichten und werde sie wiederherstellen, 17 damit die übrigen Menschen den Herrn suchen, auch alle Völker, über denen mein Name ausgerufen ist – spricht der Herr, der das ausführt, 18 was ihm seit Ewigkeit bekannt ist. (Apostelgeschichte 15,13-18)

Es fällt auf, dass Jakobus in Vers 17 Amos 9,12 anders zitiert als es im hebräischen Text des Propheten steht. Es geht nicht darum, dass „sie den Rest von Edom unterwerfen (wörtlich: in Besitz nehmen)“, sondern: damit „die übrigen Menschen den Herrn suchen“.

Jakobus hat Amos nach dem Text der Septuaginta zitiert. Deren Übersetzer haben den damals noch nicht mit Vokalzeichen versehenen Text anders interpretiert.

Das Wort אֱדֹם / ädōm hat denselben Konsonantenbestand wie אָדָם / ādam, was „Mensch“ oder auch „Menschheit“ bedeutet. Das Wort יָרַשׁ / jāraš – „in Besitz nehmen“ – scheint als דָּרַשׁ / dāraš – „suchen“ – gelesen worden zu sein.

Wir dürfen davon ausgehen, dass Jakobus die hebräische Form des Texts gekannt hat, da er die Heilige Schrift auf Hebräisch gelesen hat. In der Versammlung der Apostel und Ältesten hat er aber Amos nach der griechischen Version zitiert. Auch ihm, dem viel am Halten der Thora lag, war nach dem Kommen Jesu klar, dass die Hoffnung nicht darin bestand, dass der Messias eines Tages ein irdisches Reich nach der Art des Reiches Davids aufrichten werde. Es konnte nicht mehr darum gehen, dass die Nachbarvölker wie die Edomiter unterworfen werden sollten.

Das Reich des Messias, des Nachkommen Davids, besteht nicht in der Unterwerfung des Rests von Edom, sondern in der Öffnung für den „Rest“ der Menschheit, für alle, die den Herrn suchen. Sie alle haben ihren Platz im Reich Gottes und seines Messias.

Der Name Gottes ist über sie nicht in dem Sinn ausgerufen, dass sie militärisch unterworfen werden sollen, sondern, dass sie ihre Heimat und ihre Erfüllung unter der geistlichen Herrschaft Gottes finden sollten, der sie als seine Kinder annimmt.

Die Jünger haben noch vor der Himmelfahrt Jesu gefragt:

Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her? (Apostelgeschichte 1,6b)

Jesus hat in seiner Antwort einerseits darauf hingewiesen, dass es nicht ihre Sache ist, Zeiten und Fristen zu wissen, aber ihnen auch gesagt, was ihre Aufgabe ist:

7 Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. 8 Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde. (Apostelgeschichte 1,7-8)

Durch den Heiligen Geist werden sie bis an die Grenzen der Erde Jesu Zeugen sein. Überall sollen Menschen seinen Ruf hören, damit sie ihren Platz im Reich des neuen Davids finden sollten, das nicht von dieser Welt ist (Johannes 18,36).

Die geistliche Neuinterpretation von Amos 9,12, die durch die Übersetzer der Septuaginta geschehen ist und von Jakobus aufgegriffen und bestätigt wurde, war offensichtlich im Willen Gottes. Das irdische Königreich Davids war nur eine Vorstufe für die geistliche Herrschaft des Sohnes Davids, die kein Ende haben wird.

32 Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. 33 Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben. (Lukas 1,32-33)

Der siebte Engel blies seine Posaune. Da ertönten laute Stimmen im Himmel, die riefen:
Nun gehört die Königsherrschaft über die Welt unserem Herrn und seinem Christus; und er wird herrschen in alle Ewigkeit.
(Offenbarung 11,15)

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