18 Denn auch Christus ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, ein Gerechter für Ungerechte, damit er euch zu Gott hinführe, nachdem er dem Fleisch nach zwar getötet, aber dem Geist nach lebendig gemacht wurde. 19 In ihm ist er auch zu den Geistern gegangen, die im Gefängnis waren, und hat ihnen gepredigt. 20 Diese waren einst ungehorsam, als Gott in den Tagen Noachs geduldig wartete, während die Arche gebaut wurde; in ihr wurden nur wenige, nämlich acht Menschen, durch das Wasser gerettet.
(1 Petrus 3,18-20)
Diese Worte von Petrus sind nicht leicht zu verstehen und wurden und werden unterschiedlich interpretiert.
Im Zusammenhang des Briefes geht es um die Leidensbereitschaft eines Christen. Auch wenn ein Christ aufgrund seines Lebenswandels und seiner guten Taten nichts Böses zu befürchten hätte, muss er mit Leiden rechnen (Verse 13-17).
Petrus verweist auf das Leiden Christi, des Gerechten, der für die Ungerechten gestorben ist, um uns zu Gott zu führen. Er ist nicht im Tod geblieben, sondern auferstanden, „dem Geist nach lebendig gemacht worden“. In diesem Geist ist er auch zu den „Geistern im Gefängnis“ gegangen und hat diesen gepredigt.
Die Jerusalemer Bibel nennt in ihrer Erklärung zwei unterschiedliche Verstehensmöglichkeiten:
Wahrscheinlich Anspielung auf den Abstieg Christi zum Hades zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung; dorthin ging er „im Geiste“ oder besser gemäß dem Heiligen Geist, während sein „Fleisch“ tot am Kreuze war. Die „Geister im Kerker“, denen er das Heil „predigte“ (oder: „ankündigte“), sind nach manchen Auslegern die gefesselten Dämonen, von denen das Henochbuch spricht; in der Tat sind sie damals seiner Herrschaft als Kyrios unterstellt worden, V. 22, vgl. Eph 1,21f; Phil 2,8-10, und warten nun auf ihre endgültige Unterwerfung, 1 Kor 15,24f. Andere Ausleger sehen hierin die Geister der Verstorbenen, die, bei der Sintflut bestraft, dennoch durch die „Langmut Gottes“ zum Leben berufen sind, vgl. 4,6. […]
Klaus Berger hat diese Verse anders verstanden:1
Die hier berichtete Auffassung ist zu unterscheiden von der in der Ostkirche verbreiteten der Höllenfahrt Christi. Die letztere wird zwischen Tod und Auferstehung Jesu angenommen und besteht darin, daß Jesus unerkannt als Toter in das Totenreich eindringt und dann von drinnen her Tod und Hades überwältigt und die Hölle leert. In 1 Petr 3 bleibt der Zeitpunkt offen, und die Besiegung des Todes spielt keine Rolle. Jesus verkündet das Evangelium (vgl. 4,6), und dann können alle am Heiligen Lebensgeist teilhaben, ohne daß der Ausdruck Auferstehung schon fällt.
Wiederum ganz anders ist die Erklärung von Leslie M. Grant auf bibelkommentare.de:
Es ist bemerkenswert, dass nicht nur sein Tod, sondern auch seine Auferweckung als Fakten dastehen, bevor die Verse 19 und 20 die geschichtlichen Fakten vor uns stellen von dem, was während der Zeit der Flut passiert ist. Es wurde von manchen versucht, den 19. Vers zeitlich zwischen den Tod und die Auferstehung Christi zu setzen. Diese Ansicht ist falsch, denn es wird vor Vers 19 gesagt, dass Christus lebendig gemacht wurde. Deswegen sprechen die Verse 19 und 20 über die zurückliegende Vergangenheit.
Der gleiche Geist, in dem Christus lebendig gemacht wurde, war es, der schon in der Zeit Noahs zu denen predigte, die nun Geister im Gefängnis sind. So wie der Geist Christi im Alten Testament in den Propheten war (1. Pet 1,10.11), so war er auch in Noah, der predigte, während die Arche gebaut wurde (vergleiche 2. Pet 2,5).
Vers 20 ist ausschlaggebend für die Zeit dieser Predigt, die stattfand, als die Langmut Gottes in den Tagen Noahs wartete und die Arche zubereitet wurde. Zu sagen, dass Christus in seinem Tod in den Bereich der Verlorenen ging, um ihnen dort zu predigen, ist völlig unschriftgemäß. Denn als Er starb, ging sein Körper in die Gruft und seinen Geist übergab Er seinem Vater. Das geschah „im Paradies, dem dritten Himmel“. Vergleiche dazu Lukas 23,43 und 2. Kor 12,2–4.
Es war die Zeit des Ungehorsams dieser Geister (die nun im Gefängnis sind), als Christus ihnen predigte. Die Ergebnisse dieser Predigt waren sehr gering, denn nur acht Seelen wurden durch Wasser gerettet. Aber egal wie gering, es war trotzdem ein Zeugnis für die Treue und Gnade Gottes. Gläubige sind zwar nicht in der Überzahl, dafür aber unendlich gesegnet von Gott.
Nach Grants Erklärung ging es um die erfolglose Predigt Noachs, in dem der Geist Christi war. Seine Argumentation, dass es nicht um die Zeit zwischen dem Tod und der Auferstehung Jesu gehen konnte, beruht einerseits darauf, dass bereits in Vers 18 von der Auferstehung die Rede ist. Ferner ist Jesus gemäß Lukas 23,43 nach seinem Tod ins Paradies gegangen, das Grant nach 2 Korinther 12,2-4 mit dem dritten Himmel gleichgesetzt hat. Dieses Verständnis lässt außer acht, dass wir nicht davon ausgehen können, dass Jesus nach seinem Tod noch Raum und Zeit unterworfen war.2 Die Aussage, dass Jesus Geist nach seinem Tod im Paradies war, schließt nicht aus, dass er auch zu den „Geistern im Gefängnis“ gegangen ist. Es handelt sich nicht um Ereignisse in Raum und Zeit.
Überdies steht nicht, dass der Geist Jesu zu den Geistern im Gefängnis gegangen ist, sondern Jesus im Geist. Es war Noach, der gepredigt hat, nicht Jesus, auch wenn die Predigt Noachs vom Geist Christi erfüllt war. Zur Zeit, als Noach ihnen verkündet hat, waren sie auch nicht im „Gefängnis“. Die Erklärung, dass die Geister nun im Gefängnis sind, erscheint mir sehr künstlich.
Klaus Berger bleibt in seiner Erklärung ziemlich offen. Falls die von ihm angeführte orthodoxe Lehre tatsächlich so ist, wie er es darstellt, dass Jesus unerkannt als Toter ins Totenreich eindringt, um dieses zu leeren, ist diese tatsächlich höchst seltsam. Warum sollte der Sieger über Sünde und Tod unerkannt ins Totenreich eindringen?
Die von der Jerusalem erstgenannte Erklärung mit den Dämonen aus dem Henochbuch ist auch etwas eigenartig. Das Wort „Geister“ würde zwar auf Dämonen besser passen als auf Menschen. Aber das für „predigen“ verwendete Wort κηρύσσω / kēryssō hat im Neuen Testament eine positive Bedeutung. Es steht oft für die Erstverkündigung des Evangeliums, auch für die Predigt Johannes des Täufers. Manchmal hat es auch den Beiklang des Lehrens. Niemals jedoch steht es für die Ankündigung eines Strafgerichts. Alle 61 Vorkommen dieses Wortes gibt es hier. Da Jesus nur zur Erlösung der Menschen gekommen ist, aber nicht wegen der gefallenen Engel (vergleiche Hebräer 2,16), hätte er ihnen nicht das Evangelium verkünden können, sondern nur ihre Unterwerfung und Bestrafung. Ob es in den angeführten Stellen (1 Petrus 3,22; Epheser 1,21f; Philipper 2,8-10) tatsächlich um böse Geister geht, ist keineswegs sicher. Im Kontext geht es vor allem darum, dass Jesus über alle Mächte und Gewalten erhöht ist. Nur in 1 Korinther 15,24-25 geht es tatsächlich um die feindlichen Mächte und deren endgültige Unterwerfung am Ende.
Wenn Petrus über die Geister schreibt, die zur Zeit Noachs ungehorsam waren, meint er Menschen. Er betont ja, dass damals nur acht Menschen gerettet wurden (Noach, seine Frau, seine drei Söhne mit ihren Frauen). Da legt sich nahe, dass mit den Geistern diejenigen gemeint sind, die in der Flut umgekommen sind, nicht die „Gottessöhne“ von Genesis 6,1-4, bei denen es sich um Menschen handelte. Mehr zu den „Gottessöhnen“ in diesem Beitrag.
Dass verstorbene Menschen „Geister“ genannt werden konnten, sehen wir in Hebräer 12,23, wo von den „Geistern der schon vollendeten Gerechten“ die Rede ist.
Sowohl die Jerusalemer Bibel als auch Berger verweisen auf 1 Petrus 4,6:
Denn auch Toten ist das Evangelium dazu verkündet worden, dass sie zwar wie Menschen gerichtet werden im Fleisch, aber wie Gott das Leben haben im Geist.
Diese Stelle ist leider nicht ganz eindeutig. Man könnte sie auf geistlich tote Menschen beziehen, die Christen werden (vergleiche Epheser 2,1). Sie werden „gerichtet im Fleisch“, da die Umkehr nicht alle Konsequenzen der Sünden beseitigt. Viele Folgen der Sünden müssen sie auch als Christen tragen. Aber sie haben auch das göttliche Leben im Geist empfangen. Es würde aber auch gut zu den in 3,20 genannten Zeitgenossen Noachs passen, die das Gericht der Sintflut erlitten haben, aber durch Jesus die Möglichkeit erhalten haben, die Erlösung anzunehmen.
Ich denke, dass Petrus in 1 Petrus 3,19-20 auf die Universalität des Erlösungswerkes Jesu hingewiesen hat. Jesus ist nicht nur für seine Zeitgenossen und die Menschen, die nach ihm kommen sollten, gekommen. Seine liebevolle Hingabe gilt allen Menschen, auch denen, die vor ihm gelebt haben. Als besonders negatives Beispiel der bereits verstorbenen Menschen hat Petrus die durch die Sintflut gerichtete Generation herausgegriffen. Aber es geht um alle Menschen, die nichts von Jesus gewusst haben.
Wenn Petrus schreibt, dass Jesus ihnen gepredigt hat, heißt das nicht, dass alle das Heilsangebot, das ihnen Jesus gemacht hat, angenommen haben. Es hing an ihrer freien Entscheidung. Über das Wie dieser Verkündigung brauchen wir nicht spekulieren. Es betrifft uns heute ohnehin nicht.
Jesus ist nicht gekommen, um ihnen ihre Strafe anzukündigen, sondern ihnen eine Rettungsmöglichkeit zu eröffnen, so wie jeder, der nach Jesus gelebt hat, auch durch ihn die Möglichkeit geschenkt bekommen hat, Erlösung von seinen Sünden und Gemeinschaft mit Gott zu erfahren.
Jesus ist gekommen, um Gefangene frei zu machen. Es lag und liegt an den Gefangenen, diese Befreiung anzunehmen.
18 Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze 19 und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. (Lukas 4,18-19)
- Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christiane Nord, Frankfurt am Main ²2015, S. 59-60. ↩
- Ich habe vor, demnächst zu Lukas 23,43 einen eigenen Beitrag zu schreiben. ↩