14 Ist einer unter euch krank, dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. 15 Das gläubige Gebet wird den Kranken retten und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben. (Jakobus 5,14-15)
Die Krankensalbung oder die „Letzte Ölung“, wie sie in den alten kirchlichen Dokumenten heißt, ist eines der sieben Sakramente der katholischen Kirche. Der biblische Text, mit dem dieses Sakrament begründet wird, ist die zitierte Stelle aus Jakobus 5.
Das Konzil von Trient hat dazu in der 14. Sitzung 1551 gelehrt:1
Die heilige Kirchenversammlung wollte der Lehre […] von der Buße die folgenden Abschnitte über das Sakrament der Letzten Ölung folgen lassen, das nach der Lehre der Väter nicht nur der Abschluß der Buße ist, sondern des ganzen Christenlebens, das eine stete Buße sein muß. So erklärt und lehrt sie zuerst über seine Einsetzung: Unser gütigster Erlöser wollte, daß seine Diener jederzeit mit segensvollen Heilmitteln wider alle Waffen aller Feinde versehen seien. So hat er in den andern Sakramenten eine starke Hilfe bereitet, mit der sich die Christen während des Lebens vor jedem schweren Schaden der Seele unversehrt bewahren könnten. Das Ende des Lebens aber hat er durch das Sakrament der Letzten Ölung gleichsam mit einem starken Schutzwall bewehrt. […]
Diese heilige Salbung der Kranken ist wirklich und eigentlich als Sakrament des Neuen Bundes von Jesus Christus, unserem Herrn eingesetzt. Und zwar ist es bei Markus (Mk 6,13) angedeutet, durch den Apostel Jakobus aber, den Bruder des Herrn, ist es den Gläubigen empfohlen und verkündet worden. Er sagt: »Ist einer unter euch krank? Er lasse die Priester der Kirche rufen. Sie sollen über ihn beten und ihn mit Öl salben im Namen des Herrn. Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken zum Heil sein, und der Herr wird ihn aufrichten. Und wenn er in Sünden ist, dann werden sie ihm vergeben werden« (Jak 5,14-15). […]
Der Gehalt (des Sakramentes) ist nämlich diese Gnade des Heiligen Geistes, dessen Salbung die Vergehen, falls noch welche zu tilgen sind, und die Überbleibsel der Sünden wegnimmt und die Seele des Kranken aufrichtet und stärkt, indem sie ein großes Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit in ihm weckt, das den Kranken hebt, so daß er die Lasten und Schmerzen der Krankheit leichter trägt und den Versuchungen Satans, der seiner Ferse nachstellt (Gn 3,15), leichter widersteht und manchmal, wenn es das Heil der Seele fördert, auch die körperliche Genesung erlangt.
[…]
Lehrsätze über die Letzte Ölung
1. Wer sagt, die Letzte Ölung sei nicht wirklich und eigentlich ein von Christus, unserem Herrn, eingesetztes und vom heiligen Apostel Jakobus verkündetes Sakrament, sondern lediglich ein von den Vätern überkommener Brauch oder eine menschliche Erfindung, der sei ausgeschlossen.
[…]
4. Wer sagt, die »Ältesten der Kirche«, die nach dem Apostel Jakobus zur Salbung des Kranken gerufen werden sollten, seien nicht die vom Bischof geweihten Priester, sondern die Ältesten jeder Gemeinde, und deshalb sei der eigentliche Spender der Letzten Ölung nicht nur der Priester, der sei ausgeschlossen.
Hat Jakobus wirklich das gemeint, was das Konzil von Trient gelehrt hat?
Der Zusammenhang bei Jakobus lautet so:
13 Ist einer von euch bedrückt? Dann soll er beten. Ist jemand guten Mutes? Dann soll er ein Loblied singen. 14 Ist einer unter euch krank, dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. 15 Das gläubige Gebet wird den Kranken retten und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben. 16 Darum bekennt einander eure Sünden und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet! Viel vermag das inständige Gebet eines Gerechten. 17 Elija war ein Mensch wie wir; er betete inständig, es solle nicht regnen, und es regnete drei Jahre und sechs Monate nicht auf der Erde. 18 Und wiederum betete er; da gab der Himmel Regen und die Erde brachte ihre Früchte hervor. (Jakobus 5,13-18)
Jakobus schreibt darüber, wie man in unterschiedlichen Lebenssituationen den Blick auf Gott richten soll. In Bedrückung soll man beten, seine Freude durch ein Loblied vor Gott bringen. Mit seiner Krankheit soll man nicht allein sein. Die Krankheit soll zum Anliegen der Gemeinde werden. Wenn jemand so ernsthaft erkrankt ist, dass er an den Versammlungen der Gemeinde nicht teilnehmen kann, sollen die Ältesten der Gemeinde in Vertretung der ganzen Gemeinde zu ihrem kranken Bruder kommen und für ihn beten2. Die Salbung mit Öl drückt aus, dass es um die Heilung des Kranken geht. Das mit „retten“ übersetzte Verb σῴζω / sōzō kann im Zusammenhang mit Krankheiten auch „heilen“ bedeuten (z. B.: Matthäus 9,22; Markus 5,23; Lukas 18,42). Das setzt voraus, dass es nicht um das Ende des Lebens geht, sondern dass der Fokus auf der Heilung und die Fortsetzung des Lebens im Dienst für Gott liegt. Das bedeutet freilich nicht, dass auf die Salbung zwangsläufig die körperliche Heilung folgen muss. Es liegt an Gottes Willen für den konkreten Bruder in der konkreten Situation. Aber Gott wird den Kranken aufrichten. Durch das Bekennen und die Vergebung der Sünden schenkt Gott eine innere Heilung, die auch zur körperlichen Heilung hilfreich sein kann.
Die Worte über das Bekennen der Sünden und das Gebet stehen einerseits noch im Zusammenhang mit der Krankensalbung durch die Ältesten. Darauf weist die Erwähnung der Heilung in Vers 16 hin. Aber die Anweisungen von Jakobus sind auch ganz grundsätzlich zu verstehen. Dass Christen einander die Sünden bekennen und füreinander beten, ist nicht nur im Fall einer Krankheit angebracht.
Ich sehe folgende Punkte, in denen die katholische Lehre über das Sakrament der „Letzten Ölung“ nicht mit den Worten des Jakobus bzw. der Bibel übereinstimmt, abgesehen davon, dass sich der Begriff „Sakrament“ ohnehin nicht in der Bibel findet:
- Die Krankensalbung in der Gemeinde findet sich nur im Jakobusbrief. Man kann daher nicht sagen, dass es sich um ein von Christus eingesetztes „Sakrament“ handelt. Anders als bei der Taufe oder beim Herrenmahl, die von Jesus persönlich eingesetzt worden sind, ist das bei der Krankensalbung nicht der Fall. In Markus 6,13 geht es nicht um kranke Glaubensgeschwister, sondern um Außenstehende, die geheilt werden sollten. Aber nicht einmal dort ist von einer ausdrücklichen Anweisung Jesu direkt die Rede, auch wenn es sie vermutlich gegeben hat:
12 Und sie zogen aus und verkündeten die Umkehr. 13 Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie. (Markus 6,12-13) - Die biblische Krankensalbung wird nicht als „Abschluss des Christenlebens“ oder „starker Schutzwall am Ende des Lebens“ gesehen. Jakobus schreibt einfach von einer Krankheit. Da die Ältesten zum Kranken kommen sollen, muss Jakobus an eine Krankheit gedacht haben, die so schwer war, dass der Kranke nicht an der Gemeindeversammlung teilnehmen konnte. Aber von einer lebensbedrohlichen Erkrankung ist deswegen noch nicht die Rede.
In diesem Punkt verwendet die heutige katholische Kirche eine etwas andere Wortwahl. Heute spricht man nicht mehr von der „Letzten Ölung“, sondern von der „Krankensalbung“. Aber auch der aktuelle Katechismus der Katholischen Kirche spricht von der Krankensalbung als einer „Vorbereitung auf die letzte Reise“.
Die Krankensalbung macht uns endgültig dem Tod und der Auferstehung Christi gleichförmig, was die Taufe schon begonnen hatte. Sie vollendet die heiligen Salbungen, die das ganze christliche Leben prägen: Die Salbung der Taufe hat uns das neue Leben eingegossen; die der Firmung hat uns zum Kampf dieses Lebens gestärkt. Diese letzte Salbung versieht das Ende unseres irdischen Lebens gleichsam mit einem festen Wall im Blick auf die letzten Kämpfe vor dem Eintritt in das Haus des Vaters. (Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 1523)
Davon ist im Jakobusbrief keine Rede. Es geht um das Gebet für einen Kranken unter Begleitung der Symbolhandlung der Salbung mit Öl. - Die Salbung erfolgt durch die Ältesten der Gemeinde, nicht durch einen „Priester der Kirche“. Das Neue Testament kennt kein Amtspriestertum, sondern nur das Hohepriestertum Jesu (Hebräer 7,26-28) und das allgemeine Priestertum aller Gläubigen (1 Petrus 2,9). Weitere Gedanken dazu in diesem Beitrag. Der Kranke soll vom Gebet der ganzen Gemeinde getragen werden. Da er aufgrund seiner Krankheit nicht bei der Versammlung der Geschwister sein kann, kommen die Ältesten (Plural!) in Vertretung der Gemeinde zu ihm. Jakobus schreibt nichts von einem einzelnen „Amtsträger“, der aufgrund seiner „Weihe“ dazu ermächtigt ist, ein Sakrament zu spenden.
Im Laufe der Geschichte wurde aus einer Symbolhandlung, die das Gebet begleiten sollte, ein Ritual und später ein Sakrament gemacht. Das geistliche Leben wurde durch Rituale ersetzt.
- Zitiert nach: Josef Neuner – Heinrich Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, 13. Auflage, Regensburg 1971, S. 442-445, Nr. 696-703. ↩
- Im Griechischen steht in Vers 14 das Wort προσεύχομαι / proseúchomai. Dieses Wort heißt einfach „beten“. Wenn die Einheitsübersetzung die Formulierung „Gebete sprechen“ wählt, verstärkt das den Eindruck, dass es sich um vorgegebene liturgische Formulierungen handle. Das ist aber keineswegs der Fall. ↩