Mohammed im Mosesegen?

Er sprach: Der HERR kam hervor aus dem Sinai, er leuchtete vor ihnen auf aus Seïr, er strahlte aus dem Gebirge Paran, er trat heraus aus Tausenden von Heiligen. Ihm zur Rechten flammte vor ihnen das Feuer des Gesetzes. (Deuteronomium 33,2)

In Deuteronomium 33 lesen wir den Segen des Mose über die zwölf Stämme des Volkes Israel. Vor den Worten über die einzelnen Stämme, die in Vers 6 beginnen, gibt es einige Einleitungsverse, von denen Vers 2 die Aufmerksamkeit mancher Muslime gefunden hat.

Muslimische Erklärungen

Sie finden in Vers 2 eine Ankündigung ihres Propheten Mohammed.

Auf einer sunnitischen Website heißt es zu Deuteronomium 33,2:

Diese Stelle wird gerne von den christlichen Theologen auf Jesu bezogen. Die Beschreibung paßt aber gar nicht auf Jesu. Jesu hatte kein feuriges Gesetz, und zu ihm kamen keine 10.000 Leute und setzten sich ihm zu Füßen, um von ihm zu lernen. Jesu führte die ganze Zeit nur Streitgespräche mit den Hohen Priestern und dem Hohen Rat. Ja man wollte Jesu sogar töten. Pharan ist in der Wüste von Mekka, wo sich Ismael mit seiner Mutter Haga nach dessen Verstoßung niederließ. Jesu war dort nie anwesend. Die drei Berge, die hier beschrieben sind, sind die Berge der drei Propheten Mose-Jesu-Muhammed.

Muhammed kam mit einem feurigen Gesetz, und Tausende kamen noch zu Lebzeiten Muhammed nach Mekka und später nach Medina, um von der Religion zu lernen. Als der Prophet nach Mekka einzog, waren über 10.000 Muslime mit ihm.

Die Sondergruppe der Ahmadiyya erklärt diese Stelle so:

Das „Kommen von Sinai” ist ein Hinweis auf die Erscheinung des Moseas, während die Aufleuchtung „beim Volk von Seïr” sich auf die Ankunft Jesuas bezieht. Wer ist nun der Prophet, der vom „Gebirge Paran strahlte”. Es war kein anderer als der Heilige Prophet von Arabien. In der Tat und Wahrheit ist Paran ein alter Name für jenen Teil Arabiens, wo die Kinder von Ismael, der übrigens auch der Vorvater vom Heiligen Prophet Mohammedsaw ist, sich niedergelassen hatten. Die arabische Form oder Aussprache des Wortes Paran ist „Faran” oder „Pharan”. In der Übersetzung der deutschen Bibel-Gesellschaft (Textfassung 1912) ist die Übersetzung des Pharan wiedergegeben worden. In dem geographischen Lexikon von Jaqut ist präzisiert worden, dass Faran der „Name des heiligen Mekka” sei. (F. Wüstenfeld, Leipzig 1892, Band Ill, S. 834)

Es darf demzufolge angenommen werden, dass Faran in der arabischen Sprache ursprünglich „Farran” war, der Bedeutung von zwei Flüchtlingen oder zwei Herrennenden. Offensichtlich wurde die Stadt (Mekka) nach Hagar und Ismael genannt, die dort als Herrennende oder als Flüchtlinge angekommen waren. Dr. A. Benish in seiner Übersetzung von fünf Büchern des Alten Testamentes hat den Ausdruck „die Wüste von Paran” verwendet. Die Bezeichnungen „er kam mit heiligen Zehntausenden” in der Prophezeiung und „aus seiner rechten Hand ging ein feuriges Gesetz hervor” weisen ohne Zweifel auf die Merkmale des Heiligen Propheten Mohammedsaw. Als er die Stadt Mekka eroberte, wurde er von zehntausend Heiligen begleitet. Er ist auch derjenige, der das Gesetz des Heiligen Koran gebracht hat. Folglich ist die Prophezeiung in einer wunderbaren Art in der Person des Heiligen Propheten Mohammedsaw in Erfüllung gegangen.

Worum geht es in dieser Stelle wirklich?

Bevor Mose auf die einzelnen Stämme zu sprechen kommt, erinnert er sie an Gottes Gegenwart während ihres Zugs durch die Wüste. Am Sinai hat Gott ihnen das Gesetz gegeben, dessen Hauptstück die Zehn Gebote darstellen. Anschließend ließ sich das Volk in der Wüste Paran nieder:

11 Am zwanzigsten Tag des zweiten Monats im zweiten Jahr erhob sich die Wolke über der Wohnung des Bundeszeugnisses. 12 Da brachen die Israeliten von der Wüste Sinai auf, wie es die Ordnung für den Aufbruch vorsah, und die Wolke ließ sich in der Wüste Paran nieder. 13 So brachen sie zum ersten Mal auf, wie ihnen der HERR durch Mose befohlen hatte. (Numeri 10,11-13)

Das war ihre erste Station nach dem Berg Sinai. In Vers 11 wird die Wolke, das Symbol der Gegenwart Gottes, erwähnt. Ihr Zug war von Gott geführt.

Gegen Ende der vierzig Jahre in der Wüste zogen die Israeliten auch am Gebirge Seïr entlang.

Dann wendeten wir uns der Wüste zu, brachen auf und nahmen den Weg zum Roten Meer, wie es der HERR mir befohlen hatte. Wir zogen lange Zeit am Gebirge Seïr entlang. (Deuteronomium 2,1)

Wir finden hier also einen Rückblick auf Gottes Gegenwart im Volk Israel und seine Führung auf dem Weg in der Wüste. Dass die drei Örtlichkeiten nicht in der chronologischen Reihenfolge genannt werden, sollte bei einem poetischen Text kein Problem darstellen.

Es könnte auch sein, dass sich die drei Ortsbezeichnungen sogar auf dasselbe Ereignis beziehen. Das träfe in dem Fall zu, dass man den Berg Sinai nicht auf der Halbinsel Sinai lokalisiert, sondern etwas weiter östlich. Dann könnte man den Berg Sinai als einen südlichen Ausläufer des Gebirges Seïr verstehen und auch die Wüste Paran in diesem Großraum annehmen. Dann ginge es nur um die Gesetzgebung auf dem Berg Sinai. Ich erwähne diese Möglichkeit nur der Vollständigkeit halber, würde aber die oben genannte Erklärung vorziehen.

Im Text gibt es keinerlei Anzeichen, das darauf hinweist, dass es sich um eine prophetische Ankündigung kommender Propheten handle. Es wird an das erinnert, was bereits geschehen ist. Es gibt im Hebräischen zwar so etwas wie ein „prophetisches Perfekt“. Um auszudrücken, dass etwas sicher geschehen wird, wird es als bereits vergangenes Ereignis dargestellt. Ein Beispiel dafür ist das Vierte Gottesknechtslied in Jesaja 52,13-53,12. Doch das passt hier überhaupt nicht. Wenn Mose mit den Israeliten am Ende des Zugs durch die Wüste über Sinai, Seïr und Paran spricht, denken sie an das, was geschehen ist, nicht daran, dass nach mehr als tausend Jahren Propheten kommen sollten. Von Propheten ist ohnehin keine Rolle, sondern von Gott. Wenn Gott vom Berg Paran hervorstrahlte, war das nicht ein Prophet, sondern der Allmächtige. Oder wollen Muslime sagen, dass Mohammed Gott ist?

Zu den muslimischen Argumenten

Da es im Text nichts gibt, das auf eine prophetische Ankündigung kommender Propheten hinweist, könnte dieser Beitrag hier beendet werden. Der Vollständigkeit halber möchte ich auf die Argumente im Detail eingehen.

Jesus und Seïr

Auch wenn Muslime behaupten, dass diese Stelle von christlichen Theologen gerne auf Jesus bezogen wird, ist mir kein einziger Theologe bekannt, der in dieser Stelle eine Weissagung auf Jesus sucht.

Wenn behauptet wird, dass die Aufleuchtung „beim Volk von Seïr” sich auf die Ankunft Jesu bezöge, so kommen Muslime in einen inneren Widerspruch, da von muslimischer Seite immer wieder behauptet wird, Jesus sei nur zum Volk Israel gekommen (mehr dazu hier). Das Volk von Seïr sind in der Bibel eindeutig die Edomiter, die Nachkommen Esaus, aber keinesfalls die Israeliten. So heißt es in Deuteronomium 2,4:

Befiehl dem Volk: Ihr werdet jetzt durch das Gebiet von Stammverwandten ziehen, durch das Gebiet der Nachkommen Esaus, die in Seïr wohnen.

Vergleiche auch Genesis 36,8:

So ließ sich Esau im Bergland Seïr nieder. Esau ist Edom.

An einer einzigen Stelle (Josua 15,10), wird ein Berg Seïr an der Nordgrenze Judas erwähnt. Doch hatte dieser Berg in der ganzen Bibel keine weitere Bedeutung. Es wäre höchst verwunderlich, wenn Mose den Israeliten, die das Gebirge Seïr entlang gezogen waren, nun plötzlich von einem Berg im Norden Judas, den sie gar nicht kannten, erzählen würde. Außerdem hatte Jesus auch zu diesem Berg keinen Bezug.

Paran und Mekka

An der Argumentation mit Paran stimmt, dass sich Ismael in Paran niedergelassen hat.

Er ließ sich in der Wüste Paran nieder und seine Mutter nahm ihm eine Frau aus Ägypten. (Genesis 21,21)

Das heißt aber nicht, dass Ismael und seine Mutter in Mekka gewesen wären. Da ihm Hagar eine Frau aus Ägypten nahm, legt sich nahe, dass auch die Wüste Paran Richtung Ägypten war, also auf der Halbinsel Sinai.

Nach Genesis 20,1 hielt sich Abraham damals im Gebiet des Negev auf, im Süden Kanaans. Bevor Hagar mit Ismael in die Wüste Paran zog, irrte sie in der Wüste von Beerscheba umher (Genesis 21,14). Da ist nicht anzunehmen, dass sich Hagar mit ihrem Sohn auf eine über 1000 km lange Reise nach Mekka gemacht hat.

In Numeri 13,26 wird die Wüste Paran bei Kadesch, also im Norden der Halbinsel Sinai, lokalisiert:

Sie gingen und kamen zu Mose und Aaron und zu der ganzen Gemeinde der Israeliten in die Wüste Paran nach Kadesch.

Warum sollte Mose den Israeliten gegenüber ein anderes Paran erwähnen als das, das sie aus eigener Erfahrung kannten? Falls es bei Mekka tatsächlich auch eine Gegend ähnlichen Namens geben sollte, so hat Mose, der niemals dort war, mit größter Wahrscheinlichkeit nichts darüber wissen können.

Das feurige Gesetz

Im Zusammenhang mit den Zehn Geboten heißt es:

4 Von Angesicht zu Angesicht hat der HERR auf dem Berg mitten aus dem Feuer mit euch geredet. 5 Ich stand damals zwischen dem HERRN und euch, um euch das Wort des HERRN zu verkünden; denn ihr wart aus Furcht vor dem Feuer nicht auf den Berg gekommen. (Deuteronomium 5,4-5)

Legt sich nicht nahe, dass Mose in Deuteronomium 33,2 darauf angespielt hat, nicht auf ein „feuriges Gesetz“, das Mohammed gebracht haben sollte.

Auch Jesus hat ein Feuer gebracht, das Feuer des Heiligen Geistes, das die Menschen so sehr verändert, dass sie Gottes Gesetz aus Liebe befolgen. Dieses Feuer konnte Mohammed nicht bringen. Doch auch vom Feuer, das Jesus gebracht hat, ist im Mosesegen nicht die Rede.

Zehntausend Heilige

Die von mir zitierte Einheitsübersetzung ist mit „Tausenden“ ungenau. Im Hebräischen ist tatsächlich von Zehntausenden die Rede, aber nicht von zehntausend. Wenn man es schon genau nimmt, dann soll man auch auf den Plural achten. Wenn Mohammed mit zehntausend Mann Mekka erobert hat, dann sind das zu wenige, um dem Wortlaut gerecht zu werden.

Es stellt sich auch hier die Frage, warum Mose ca. 2000 Jahre bevor Mohammed Mekka erobert hatte, darüber sprechen sollte.

Wenn es heißt, dass Gott aus den Zehntausenden oder Myriaden von Heiligen kam, sind damit vielleicht ohnehin die Engel gemeint, die ihn großer Anzahl seinen „Hofstaat“ bilden. Dieser Versteil ist schwierig. Die Septuaginta spricht nicht von „Heiligen“ (Qodäš), sondern liest hier den Ortsnamen Kadesch („zusammen mit Zehntausenden von Kadesch“). Doch auch wenn die genaue Erklärung nicht leicht ist, kann man sagen, dass die Eroberung von Mekka durch Mohammed das Letzte ist, woran Mose in dieser Situation gedacht hat.

Fazit

[…] die dem Gesandten, dem schriftunkundigen Propheten, folgen, den sie bei sich in der Thora und im Evangelium aufgeschrieben finden. (Aus Sure 7,157)

Durch diesen Koranvers motiviert suchen Muslime in den Heiligen Schriften des Alten und Neuen Testaments Weissagungen zu finden, die Mohammed ankündigen. In Deuteronomium 33 ist eine derartige Prophetie nicht zu finden, ebenso wenig wie an anderen Stellen der Bibel.

Die Bibel ist uns nicht gegeben, um Mohammed darin zu finden, sondern:

16 Jede Schrift ist, als von Gott eingegeben, auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, 17 damit der Mensch Gottes gerüstet ist, ausgerüstet zu jedem guten Werk. (2 Timotheus 3,16)

Wenn Muslime das suchen, werden sie es finden.

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