Wie kämen sonst einige dazu, sich für die Toten taufen zu lassen? Wenn Tote gar nicht auferweckt werden, warum lässt man sich dann taufen für sie? (1 Korinther 15,29)
Dieser Vers aus dem 1. Korintherbrief stellt uns vor schwierige Fragen. Ist es wirklich möglich, dass sich jemand für andere, noch dazu bereits verstorbene Menschen taufen lässt? Manche Gruppierungen – mir fallen vor allem die Mormonen ein – verstehen diesen Vers so und praktizieren die Taufe für verstorbene Vorfahren.
In der Bibel ist die Taufe jedoch Ausdruck des Glaubens an Jesus, einer persönlichen Entscheidung, Jesus Christus nachzufolgen. Man kann sich nicht für andere taufen lassen.
Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verurteilt werden. (Markus 16,16)
Petrus antwortete ihnen: Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung eurer Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. (Apostelgeschichte 2,38)
Dem entspricht die Taufe, die jetzt euch rettet. Sie dient nicht dazu, den Körper von Schmutz zu reinigen, sondern sie ist eine Bitte an Gott um ein reines Gewissen aufgrund der Auferstehung Jesu Christi. (1 Petrus 3,21)
Sollen wir annehmen, dass die Gemeinde der Christen in Korinth trotzdem eine derartige Praxis gekannt hat, die Paulus zwar nicht gutgeheißen, sie aber als Argument für die Auferstehung aus den Toten verwendet hat? Wie sollte Paulus eine von ihm als falsch beurteilte Praxis, die wohl nur von einer Minderheit ausgeübt wurde, als Argument für die grundlegende Lehre der Auferstehung aus den Toten verwendet haben? Noch dazu ohne zugleich anzumerken, dass er die Taufe für die Toten nicht für falsch hält?
Im Laufe der Kirchengeschichte soll es bis zu 600 unterschiedliche Deutungsversuche dieser schwierigen Stelle gegeben haben.1
Ich bin vor kurzem auf eine für mich völlig neue Auslegung gestoßen, die ich zumindest für überlegenswert erachte.
Norbert Baumert hat diese Auslegung in seinem Buch „Sorgen des Seelsorgers“ (siehe Fußnote 1) auf den Seiten 289-294 vorgestellt.
Er übersetzt den Text anders als die bisherigen Übersetzungen:
29 Denn was tut man denn eigentlich, wenn man sich aufreibt und ruiniert für die ‚Toten‘? Wenn Tote überhaupt nicht aufstehen, warum reibt man sich für sie auf? 30 Warum denn schweben wir zu jeder Zeit in Gefahr, 31 sterbe ich Tag für Tag? Bei allem Ruhm, den ich euch betreffend in Christus Jesus unserem Herrn habe, 32 wenn ich nach menschlicher Art einen Kampf mit wilden Tieren gekämpft habe in Ephesus, was bedeutet mir dieser Vorteil? Wenn Tote nicht aufstehen, ‚laßt uns essen und trinken, denn morgen sterben wir.‘
Er gibt in Vers 29 das Wort βαπτίζω / baptízō nicht mit „taufen“, sondern mit „sich aufreiben“ oder „ruinieren“ wieder, was aufs erste sehr befremdlich wirkt.
Er schreibt dazu:2
Das griechische baptizesthai heißt ursprünglich ‚untergetaucht werden‘ und hat von daher auch die Bedeutung ‚untergehen‘, übtr. im Medium ’sich ruinieren‘ u. ä. Diese Verwendung ist im Griechischen viel häufiger als z. B. ’sich waschen‘.
Das Theologische Wörterbuch zum NT von Gerhard Kittel bestätigt diesen Befund:3
Die Bdtg. sich baden oder waschen kommt im Hellenismus nur vereinzelt vor […], meist in sakralen Zusammenhängen. Dem allgemeinen Sprachempfinden liegt die Vorstellung des Zugrundegehens näher.
Nach diesem Verständnis schreibt Paulus nicht über einen seltsamen und dem christlichen Taufverständnis widersprechenden Brauch einiger weniger in Korinth, sondern über sich selbst und seinen Einsatz. Paulus reibt sich in seinem tagtäglichen Einsatz für die geistlich Toten, die Ungläubigen, auf, damit sie zum Leben sowohl in dieser Welt als auch nach der Auferstehung kommen.
Vers 29 steht somit in einer Reihe mit den Folgeversen 30-32, die in der Einheitsübersetzung so lauten:
30 Warum setzen dann auch wir uns stündlich der Gefahr aus? 31 Täglich sehe ich dem Tod ins Auge, so wahr ihr, Brüder, mein Ruhm seid, den ich in Christus Jesus, unserem Herrn, habe. 32 Wenn ich in Ephesus nach Menschenart mit wilden Tieren gekämpft hätte, was würde es mir nützen? Wenn Tote nicht auferweckt werden, dann lasst uns essen und trinken; denn morgen sterben wir.
Auch hier spricht Paulus von seinem Einsatz für die Menschen. Wegen des Evangeliums schwebt er in Gefahr, ist mit dem Tod konfrontiert … Er tut das für die Menschen, um sie vom geistlichen Tod ins Leben zu holen (vergleiche Epheser 2,1-5).
Baumert fasst zusammen:4
So steht der Gedanke im Hintergrund: Mein ganzer Einsatz und der Einsatz aller Boten des Evangeliums bliebe notwendigerweise fruchtlos, und ich wäre blamiert, wenn generell ‚Tote nicht aufstehen‘. […] Dann könnte ich mir die Mühe sparen, könnte mir einen ruhigen Tag machen bis zu meinem Tod, wenn es weder jetzt noch nach dem irdischen Leben für mich eine Auferstehung geben würde.
Weil Paulus selbst in seinem Leben die Kraft des auferstandenen Herrn Jesus erlebt hat und der Verheißung, dass er auch leiblich auferstehen wird, glaubt, hat er die Kraft und Motivation, sich tagtäglich einzusetzen und sein Leben hinzugeben. Die Liebe Gottes, die sein Leben schon erneuert hat und in der Auferstehung des Leibes endgültig erneuern wird, ist das Motiv, sich dafür aufzureiben, dass auch andere das Leben finden.
Ich halte diese Erklärung von 1 Korinther 15,29 für schlüssiger als die anderen mir bekannten Verständnisse. Sie passt gut in den Zusammenhang und kann als eine Ermunterung dienen, sich so wie Paulus für den Herrn hinzugeben, der sich zuerst für uns hingegeben hat.
Er ist aber für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde.
(2 Korinther 5,15)