Spricht Psalm 83 von einem Krieg in unserer Zeit?

5 Sie sagen: Auf, wir wollen sie als Volk vernichten, des Namens Israel werde nie mehr gedacht! 6 Ja, sie halten einmütig Rat, schließen gegen dich einen Bund: 7 Edoms Zelte und die Ismaeliter, Moab und die Hagariter, 8 Gebal, Ammon und Amalek, das Philisterland mit den Bewohnern von Tyrus. 9 Auch Assur schließt sich ihnen an und leiht den Arm den Söhnen Lots. (Psalm 83,5-9)

Im Zusammenhang mit dem derzeitigen Krieg in Gaza wird von manchen auf Psalm 83 verwiesen. Sie sehen in diesen Versen einen Bund der Nachbarvölker Israels mit dem Ziel dessen Vernichtung vorhergesagt. Doch Gott wird dieses Ansinnen scheitern lassen.

Ich werde mich zuerst mit den in den Versen 7-9 genannten zehn Feindvölkern beschäftigen. Wer waren diese Völker und gibt es da überhaupt einen Bezug zur Gegenwart? Anschließend möchte ich mich grundsätzlicher zu dieser Herangehensweise an die Bibel äußern.

1 Die Feindvölker

1.1 Edom

Die Edomiter standen als Nachkommen Esaus, des Bruders Jakobs, den Israeliten in gewisser Weise nahe. Ihr Siedlungsgebiet war südöstlich bis südlich des Toten Meeres, was zum Großteil im Gebiet des heutigen Königreichs Jordanien liegt. Vor allem in nachexilischer Zeit war ihr Hauptsiedlungsgebiet in den südlichen Gegenden Judas (heute im Staat Israel), weshalb dieser Bereich in der Römerzeit den von Edom abgeleiteten Namen Idumäa trug. In ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet ließen sich die Nabatäer nieder.

Nach Flavius Josephus wurden die Idumäer von Johannes Hyrkanus besiegt und ins Judentum aufgenommen.

257 Hyrkanus eroberte ferner in Idumaea die Städte Adora und Marissa und unterwarf alle Idumäer, gestattete ihnen aber, im Lande zu bleiben, wenn sie die Beschneidung einführen und nach jüdischen Gesetzen leben wollten. 258 Wirklich nahmen sie auch aus Liebe zu ihrer Heimat die Beschneidung wie die übrigen Gewohnheiten der Juden an und waren also von dieser Zeit an ebenfalls Juden. (Jüdische Altertümer 13,257-258)

Auch König Herodes der Große war idumäischer Abstammung.

Demzufolge sind die Edomiter / Idumäer weitgehend im Judentum aufgegangen. Es gibt heute keine Edomiter mehr, die als Feinde Israels auftreten könnten.

1.2 Ismael

Die Ismaeliter werden auf Ismael, den Halbbruder Isaaks, zurückgeführt. Ihr Siedlungsgebiet lag im Norden / Nordwesten Arabiens. Sie standen in einem nicht genau zu definierenden Zusammenhang mit den in Psalm 83 nicht genannten Midianitern. So heißt es in Richter 8,24, dass die von Gideon besiegten Midianiter Ismaeliter waren. Kriegerische Aktivitäten der Ismaeliter gegen Israel werden im Alten Testament nicht erwähnt.

Die Araber betrachten sich als Nachkommen Ismaels. Auch der Stammbaum Mohammeds wird auf Ismael zurückgeführt. Im Alten Testament findet sich an den Stellen, wo von Arabern die Rede ist, kein Hinweis auf Ismael. Nur Ezechiel 27,21 nennt „Arabien und alle Fürsten von Kedar“ nebeneinander als Handelspartner der Stadt Tyrus. Kedar war nach Genesis 25,13 ein Sohn Ismaels.

Nehemia 2,19 und 6,1 nennen einen Araber Geschem als Gegner Nehemias. Nehemia 4,1 spricht allgemein von Arabern als Feinden. Von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Arabern und Juda lesen wir in 2 Chronik 21,16 und 26,7.

Wenn man in „Ismael“ die Araber sieht, ist das heutige Israel von „Ismael“ umgeben. Diese Araber dürften aber zu einem Großteil auf andere Völker zurückgehen, die im Zuge der arabischen Eroberungskriege seit dem 7. Jahrhundert arabisiert wurden.

1.3 Moab

Die Moabiter standen als Nachkommen Lots ebenfalls in einem Verwandtschaftsverhältnis zu Israel. Sie hatten ihr Siedlungsgebiet östlich des Toten Meers im heutigen Jordanien. Sie existieren als Volk nicht mehr. Sie sind wohl in den Nabatäern und anderen arabischen Stämmen aufgegangen. Nach Daniel 11,41 gab es sie im 2. Jahrhundert v. Chr. noch.

1.4 Die Hagariter

Die Hagariter sind vermutlich auf Hagar, die Magd Saras und Mutter Ismaels zurückzuführen.

1 Chronik 5,10 berichtet von einem Kampf des Stammes Ruben und 1 Chronik 5,19-20 von einem Krieg der Stämme Ruben, Gad und Manasse gegen die Hagariter im Ostjordanland. Diesen im heutigen Jordanien zu lokalisierenden Stamm gibt es nicht mehr.

1.5 Gebal

Gebaliter werden in 1 Könige 5,32 im Zusammenhang mit dem Tempelbau gemeinsam mit den Bauleuten des Königs Hiram von Tyrus genannt. In Ezechiel 27,9 sind die Ältesten von Gebal auf den Schiffen von Tyrus. Gebal ist ein anderer Name der phönizischen Stadt Byblos.

Nach der Erklärung der Jerusalemer Bibel ist in Psalm 83 aber nicht Byblos gemeint, sondern die Landschaft Gabalene, ein Teil von Idumäa nördlich von Petra.

Je nach Erklärung ist Gebal entweder im heutigen Libanon oder in Jordanien zu lokalisieren. Die Gebaliter gibt es als Volk nicht mehr.

1.6 Ammon

Die Ammoniter waren wie die Moabiter Nachkommen Lots. Ihr Gebiet war im Ostjordanland. Die jordanische Hauptstadt Amman, die ihren Namen von den Ammonitern ableitet, war als Rabba auch die Hauptstadt des ammonitischen Königreichs. Sie kommen nach dem babylonischen Exil im Buch Nehemia als Gegner Nehemias vor (Nehemia 2,10; 4,1). Die letzte biblische Erwähnung in Daniel 11,41 betrifft das 2. Jahrhundert vor Christus. Als Volk existieren die Ammoniter nicht mehr.

1.7 Amalek

Nach Genesis 36,12 war Amalek ein Enkel Esaus. Demnach wären die Amalekiter ein Teil der Edomiter. In der Bibel erscheinen sie aber immer als eigenes Volk. Ihr Siedlungsraum war wohl der Negev im Süden Israels. Sie galten als die Feinde Israels schlechthin und wurden zur Zeit Davids weitgehend ausgerottet. Nach 1 Chronik 4,42-43 wurde ein Rest der Amalekiter von einem Teil des Stammes Simeon im Gebirge Seïr, d. h. im Bereich der Edomiter, besiegt. Nach Vers 41 muss sich das zur Zeit des Königs Hiskija im 8. Jahrhundert v. Chr. zugetragen haben. Danach werden sie nicht mehr erwähnt.

1.8 Das Philisterland

Das Philisterland war im Südwesten Kanaans an der Meeresküste, wo die Philister in einem Bund von fünf Stadtstaaten, darunter auch Gaza, siedelten. Sie waren bis zur Zeit Davids heftige Gegner Israels. 604 wurde das Philisterland von Nebukadnezar erobert und in das babylonische Reich einverleibt. Die letzte mir bekannte Erwähnung der Philister findet sich im 2. Jahrhundert v. Chr. im apokryphen Buch Jesus Sirach 50,25-26:

25 Über zwei Völker ist meine Seele erzürnt und das dritte ist kein Volk: 26 die Bewohner auf dem Berg Samarias und die Philister und das törichte Volk, das in Sichem wohnt.

Es ist aber fraglich, ob diese Philister noch Philister im ursprünglichen Sinn waren, oder ob sie nur aufgrund ihres Wohngebiets so genannt wurden. Die heutigen Palästinenser haben mit den Philistern nur den Namen gemeinsam.

Da aber Psalm 83,8 nicht von den Philistern, sondern vom Philisterland spricht, könnte man theoretisch diesen Teil auch auf die Gegenwart beziehen.

1.9 Die Bewohner von Tyrus

Die Stadt Tyrus im heutigen Libanon war eine wichtige Handelsmacht der Antike. Sie existiert bis heute, wenngleich auch ihre Bewohner mit den alten Phöniziern nicht viel gemeinsam haben. Aber der Psalm spricht von den Bewohnern von Tyrus. Man könnte daher diesen Teil auch auf die Gegenwart beziehen.

1.10 Assur

Die Stadt Assur im heutigen Irak war ursprünglich das Zentrum des Assyrischen Reiches, verlor aber später an Bedeutung. Sie war jedoch bis in islamische Zeit bewohnt. Derzeit existiert sie nur mehr als Ruinenstätte.

Es geht im Psalm wohl eher um das Reich als um die Stadt. Das Assyrische Reich, das lange Zeit den Orient beherrschte, fand 606 v. Chr. sein Ende. In Esra 6,22 wird der Perserkönig Darius „König von Assur“ genannt. Das bedeutet in diesem Fall aber nur, dass er sich als Rechtsnachfolger der assyrischen Könige verstanden hat. Das Reich war unwiederbringlich untergegangen.

Eine Alternativerklärung nimmt an, dass mit Assur in Psalm 83,9 nicht die Assyrer, sondern der Stamm der Aschuriter gemeint sei. Dieser ist in Genesis 25,3 unter den Nachkommen der Ketura genannt. Nach der Erklärung der Jerusalemer Bibel geht es auch in Numeri 24,22 um diesen Stamm, ebenso in 2 Samuel 2,9, wo der hebräische Text אֲשׁוּרִי / ′ašûrî („Aschuriter“) in den Übersetzungen meist auf den israelitischen Stamm Ascher abgeändert wird.

Für unsere Fragestellung ist zweitrangig, ob es sich um die Assyrer oder um den arabischen Stamm der Aschuriter handelte. Beide existieren nicht mehr.

1.11 Zusammenfassung

Die meisten der zehn in Psalm 83,7-9 genannten Feinde existieren heute nicht mehr. Es bleiben nur Ismael, wenn man die Araber als Nachkommen Ismaels sieht, das Philisterland und die Bewohner von Tyrus. Dabei ist aber festzustellen, dass man bei den Letztgenannten nicht mit einer Kontinuität in dem Sinn rechnen darf, dass die heutigen Bewohner die Nachkommen derer sind, die zur Zeit des Psalmisten dort wohnten. Überdies ist nur eine der fünf Philisterstädte, nämlich Gaza, nicht auf dem Gebiet des heutigen Staats Israel gelegen. Aschdod und Aschkelon sind heute Städte in Israel. Ekron und Gat existieren nicht mehr.

Wenn man die Angaben rein geografisch betrachtet, befinden sich Edom, Moab, die Hagariter und Ammon auf dem Gebiet des heutigen Jordanien, möglicherweise auch Gebal und Assur. Amalek und ein Großteil der Philisterstädte wären dem israelischen Staatsgebiet zuzuordnen. Tyrus und vielleicht Gebal wären im Libanon, Assur eventuell im Irak. Ismael wäre im Gebiet von Jordanien und dem Norden Saudi-Arabiens zu lokalisieren, wenn man nur das Siedlungsgebiet der alten Ismaeliter heranzieht und nicht alle Araber zwischen Marokko und Oman.

Derzeit gibt es nur in Gaza (Teil des Philisterlandes) und an der Grenze zum Libanon (Tyrus, Gebal?) Kämpfe. Zwischen Israel und Jordanien gibt es einen Friedensvertrag, von dem es nicht den Anschein hat, dass er gebrochen wird. Aggressive Töne und militärische Unterstützung kommen aus dem Iran, einer Macht, die in Psalm 83 nicht genannt wird. Es kann sich natürlich jederzeit etwas ändern. Doch die derzeitige Konstellation entspricht den in Psalm 83 aufgelisteten Namen nicht besonders gut.

2. Grundsätzliches

2.1 Worum geht es im Psalm überhaupt?

Beim Lesen des Psalms gewinnt man nicht den Eindruck, dass es dem Psalmisten darum gegangen ist, politische oder kriegerische Ereignisse, die sich mehr als 2500 Jahre nach ihm zutragen sollten, anzukündigen. Der Psalm liest sich wie ein Hilferuf an Gott in einer konkreten Notsituation. In den Versen 10-12 wird Gott angerufen, seinem Volk so zu helfen, wie er es zur Zeit der Richter getan hat.

Das Problem ist, dass es das Bündnis genau dieser zehn Feinde nie gegeben hat. Zumindest ist keine derartige Bedrohungssituation überliefert.

Vielleicht müssen wir hier die dichterische Freiheit des Psalmisten sehen, der die Bedrohung Israels durch unterschiedliche Völker zu unterschiedlichen Zeiten zusammengefasst hat. Auch wenn es dieses konkrete Bündnis nie gegeben hat, so hat doch die Feindschaft gegen Gottes Volk diese Gegner Israels vereint. Es war eine immer wiederkehrende Erfahrung, dass die Feinde das Volk vernichten wollten.

So konnte man den Psalm auch als eine Ermunterung verstehen, in Zeiten der Bedrohung die Zuflucht bei Gott zu suchen.

2.2 Das alte und das moderne Israel

Aber könnte man nicht sagen, dass die Feinde des heutigen Staats Israel genauso die Vernichtung Israels wollen? Zumindest das Ziel der Hamas ist ein „judenreines“ Palästina „from the river to the sea“. Wir können jedoch das alte Israel nicht so einfach mit dem modernen säkularen Staat Israel gleichsetzen. Seit dem Kommen des Messias, der von einem großen Teil seines Volkes abgelehnt worden ist, ist das Reich Gottes nicht mehr politisch zu verstehen, sondern als eine geistliche Wirklichkeit, die sich im Leben der Kinder Gottes sichtbar erweist.

36 Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier. 37 Da sagte Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. (Johannes 18,36-37)

Der Staat Israel ist ein säkularer Staat ähnlich wie die europäischen Staaten. Gott hat dort nicht viel zu sagen. Insofern hat Psalm 83 mit der politischen Lage, in der sich dieser Staat befindet, nichts zu tun. Mehr dazu in diesem Beitrag.

2.3 Zum Wesen von Prophetie

Es mag verlockend sein, aus der Bibel Bezüge zu aktuellen politischen oder kriegerischen Ereignissen herzustellen, vor allem wenn sich diese in Israel ereignen oder mit den Juden zu tun haben, für die immer noch die Verheißung einer künftigen Bekehrung besteht.

Doch es ist nicht das Ziel der Prophetie, uns im Vorhinein über künftige militärische Bündnisse und Schlachten zu informieren. Es ist möglich, dass Gott seine Kinder kurz vor kritischen Ereignissen oder Situationen durch Worte von Propheten vorbereitet oder warnt, so wie es z. B. durch Agabus in Apostelgeschichte 11,28 geschehen ist. Der Überlieferung zufolge wurden die Christen Jerusalems vor Ausbruch des jüdischen Kriegs durch ein prophetisches Wort aufgefordert, die Stadt zu verlassen und nach Pella zu ziehen.1 Aber das waren immer Ausnahmen. Vor der großen Christenverfolgung durch Nero scheint es keine prophetische Warnung gegeben zu haben.

Es ist die Neugier des Menschen und der Wunsch, die Zukunft schon im Vorhinein zu wissen, auch der Wunsch, dass gerade zu meiner Zeit die großen, von den Propheten angekündigten Ereignisse stattfinden sollen, die manche „Prophetieexperten“ dazu bewegt, die politische Situation der Gegenwart in die Bibel hineinzulesen. Dazu ist uns die Bibel nicht gegeben worden.


Psalm 83 kann durchaus auch in unserer Zeit aktualisiert werden. Aber nicht in dem Sinn, dass man einen Krieg vorhergesagt findet. Wenn das Volk Gottes von Feinden bedroht ist, soll es seine Zuflucht zu Gott suchen. Da geht es aber nicht um militärische Bedrohung, da das durch Jesus geführte Volk Gottes keine Armee mit Pferden oder mit Panzern und Raketen hat. Es geht um den geistlichen Kampf gegen Gottes Feinde, die das Evangelium durch falsche Lehren verfälschen oder bedrohen.

Es ist interessant zu sehen, dass in Psalm 83 nicht nur um den Sieg über die Feinde oder deren Vernichtung gebetet wird, sondern dass der letzte Vers des Psalms ein Ziel nennt, das darüber hinausgeht. In den Versen 17 und 18 geht es um die Beschämung der Feinde, um ihre Schmach, ja sogar darum, dass sie zugrunde gehen. Aber in Vers 17 wird auch das Ziel genannt:

Bedecke mit Schmach ihr Gesicht, damit sie, HERR, nach deinem Namen fragen.

Der letzte Vers des Psalms drückt den Wunsch aus, dass die Feinde erkennen, dass Gott der Höchste ist. Man kann das so verstehen, dass sie das dadurch erkennen, dass Gott sie besiegt. Doch das Ziel sollte sein, dass sie es nicht zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, sondern dass sie Gott gerne als ihrem Herrn dienen wollen.

Sie sollen erkennen, dass du allein – HERR ist dein Name – der Höchste bist über der ganzen Erde. (Psalm 83,19)

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