10 Jakob zog aus Beerscheba weg und ging nach Haran. 11 Er kam an einen bestimmten Ort und übernachtete dort, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein. 12 Da hatte er einen Traum: Siehe, eine Treppe stand auf der Erde, ihre Spitze reichte bis zum Himmel. Und siehe: Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. 13 Und siehe, der HERR stand vor ihm und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. 14 Deine Nachkommen werden zahlreich sein wie der Staub auf der Erde. Du wirst dich nach Westen und Osten, nach Norden und Süden ausbreiten und durch dich und deine Nachkommen werden alle Sippen der Erde Segen erlangen. 15 Siehe, ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, und bringe dich zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe. 16 Jakob erwachte aus seinem Schlaf und sagte: Wirklich, der HERR ist an diesem Ort und ich wusste es nicht. 17 Er fürchtete sich und sagte: Wie Ehrfurcht gebietend ist doch dieser Ort! Er ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels. (Genesis 28,10-17)
Jakob war auf der Flucht vor seinem Bruder Esau, den er um seinen Erstgeburtssegen betrogen hatte. Er war unterwegs nach Haran zur Familie seiner Mutter Rebekka, um dort eine Frau zu finden. Bevor er das schon seinem Großvater Abraham verheißene Land verließ, begegnete ihm Gott im Traum. Die Einheitsübersetzung hat – wie andere moderne Übersetzungen – das traditionell mit „Leiter“ (so bereits in der Septuaginta – κλίμαξ / klímax) übersetzte Wort סֻלָּם / sullām mit „Treppe“ wiedergegeben. Dieses Wort kommt nur an dieser Stelle des Alten Testaments vor. Es wird angenommen, dass im Hintergrund dieses Traums die mesopotamischen Stufentürme (Zikkurat) stehen, bei denen man über eine Treppe zum Heiligtum auf der Spitze des Turmes gelangte, wo man den Göttern zu begegnen meinte. In Kanaan gab es derartige Tempeltürme nicht. Daher ist diese Herleitung fraglich.
Wenn Gott Jakob begegnete, bevor er das verheißene Land verließ, erneuerte Gott seine bereits an Abraham gegebene Verheißung, dass er ihm und seinen Nachkommen dieses Land geben werde (Verse 13-14). Jakob sollte seine Frau aus Haran holen, aber nicht dort bleiben. Das Land, das ihm Gott verheißen hatte, war das Land Kanaan. Doch das eigentliche Ziel der Verheißung war nicht das Land Kanaan selbst, sondern, wie es am Ende von Vers 14 heißt:
[…] und durch dich und deine Nachkommen werden alle Sippen der Erde Segen erlangen.
Es ging um den Segen Gottes für alle Sippen der Erde. Das Ziel der Auserwählung Jakobs und seiner Familie zum Volk Gottes war Gottes Segen für alle Völker.
In Vers 15 gab Gott Jakob die Zusage, dass er ihn nicht verlassen würde. Auch außerhalb des verheißenen Landes wird er bei ihm sein. Gott ist nicht an einen heiligen Ort oder an ein heiliges Land gebunden. Trotz seiner Sünden würde Jakob auch in der Fremde die Nähe und den Schutz Gottes erfahren. Gott wird sein Vorhaben mit Jakob durchführen. Er wird erfüllen, was er verheißen hat.
Nach dem Aufwachen war Jakob klar, dass er nicht irgendeinen alltäglichen Traum hatte, sondern dass ihm Gott begegnet war. Darum war er von Ehrfurcht erfüllt und sah in diesem Ort das Haus Gottes (Bet-El) und das Tor des Himmels.
Im Neuen Testament spielte Jesus in einem Wort an Natanael auf den Traum Jakobs mit der Himmelsleiter an.
48 Natanaël sagte zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete ihm: Schon bevor dich Philippus rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen. 49 Natanaël antwortete ihm: Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König von Israel! 50 Jesus antwortete ihm: Du glaubst, weil ich dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum sah; du wirst noch Größeres als dieses sehen. 51 Und er sprach zu ihm: Amen, amen, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn. (Johannes 1,48-51)
Was die Bedeutung des Feigenbaumes war, ist für mich nicht klar, da mir der Einblick in die Situation fehlt. Für Natanael waren die Worte Jesu darüber aber so beeindruckend, dass er Jesus als den Sohn Gottes, den König von Israel, d. h. den Messias, bekannte. Jesus wies Natanael auf etwas viel Größeres hin, das er sehen würde:
Amen, amen, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn.
Hier hat Jesus auf den Traum Jakobs angespielt. Doch hier ist nicht von einer Leiter oder Treppe die Rede. Die Engel Gottes steigen „über dem Menschensohn“ auf und nieder. Jesus, der Menschensohn, er ist die Leiter zum Himmel. Die auf- und niedersteigenden Engel sind nicht wörtlich zu verstehen. Sie drücken die Verbindung mit Gott aus. Durch Jesus ist der Himmel geöffnet. Er ist der Weg zu Gott. Durch ihn gibt es eine Verbindung und eine Beziehung zu Gott. In Jesus Christus schenkt Gott seine Gegenwart.
Ich verstehe diese Stelle so, dass Jesus nicht eine besondere Vision angekündigt hat, die Natanael und die anderen Jünger haben würden, sondern dass Jesus mit diesen Worten das Ziel seines Kommens ausdrückt. Jesus ist als die Leiter zum Himmel gekommen. Er ist die Erfüllung der Verheißung an Abraham, Isaak und Jakob. Durch ihn wird allen „Sippen der Erde“ Gottes Segen geschenkt.
Er ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels. (Genesis 28,17b)