Ist das nicht der Becher, aus dem mein Herr trinkt und aus dem er wahrsagt? Da habt ihr etwas Schlimmes getan. (Genesis 44,5)
Josef sagte zu ihnen: Was habt ihr getan? Wusstet ihr denn nicht, dass ein Mann wie ich wahrsagen kann? (Genesis 44,15)
Diese beiden Verse aus der Josefsgeschichte stehen in diesem Zusammenhang:
1 Dann befahl Josef seinem Hausverwalter: Fülle die Getreidesäcke der Männer mit so viel Brotgetreide, wie sie tragen können, und leg das Geld eines jeden oben in den Sack! 2 Meinen Becher, den Silberbecher, leg oben in den Sack des Jüngsten mit dem Geld für sein Getreide. Er tat, wie Josef es gesagt hatte. 3 Der Morgen leuchtete und man entließ die Männer mit ihren Eseln. 4 Sie hatten sich noch nicht weit von der Stadt entfernt, da sagte Josef zu seinem Hausverwalter: Auf, jag hinter den Männern her! Wenn du sie eingeholt hast, sag ihnen: Warum habt ihr Gutes mit Bösem vergolten? 5 Ist das nicht der Becher, aus dem mein Herr trinkt und aus dem er wahrsagt? Da habt ihr etwas Schlimmes getan. 6 Der Hausverwalter holte sie ein und sagte zu ihnen, was ihm aufgetragen war. 7 Sie antworteten ihm: Wie kann mein Herr so etwas sagen? Fern sei deinen Knechten, so etwas zu tun. 8 Sieh her, das Geld, das wir oben in unseren Getreidesäcken fanden, haben wir dir aus dem Land Kanaan zurückgebracht. Wie könnten wir da aus dem Haus deines Herrn Silber oder Gold stehlen? 9 Der von deinen Knechten, bei dem sich der Becher findet, soll sterben und auch wir werden dann unserem Herrn als Sklaven gehören. 10 Er sagte: Also, es soll geschehen, wie ihr gesagt habt: Bei wem er sich findet, der sei mein Sklave, ihr aber sollt frei sein. 11 Jeder stellte eiligst seinen Sack auf die Erde und öffnete ihn: 12 Er durchsuchte alles, beim Ältesten begann er und beim Jüngsten hörte er auf. Der Becher fand sich im Sack Benjamins. 13 Da zerissen sie ihre Obergewänder. Jeder belud seinen Esel und sie kehrten in die Stadt zurück. 14 So kamen Juda und seine Brüder wieder in das Haus Josefs, der noch dort war. Sie fielen vor ihm zur Erde nieder. 15 Josef sagte zu ihnen: Was habt ihr getan? Wusstet ihr denn nicht, dass ein Mann wie ich wahrsagen kann? 16 Juda erwiderte: Was sollen wir unserem Herrn sagen, was sollen wir vorbringen, womit uns rechtfertigen? Gott hat die Schuld deiner Knechte herausgefunden. So sind wir also Sklaven unseres Herrn, wir und der, bei dem sich der Becher gefunden hat. (Genesis 44,1-16)
Josefs Brüder waren zur Zeit einer Hungersnot das zweite Mal nach Ägypten gekommen, um Getreide zu kaufen. Ihr Bruder Josef, den sie in die Sklaverei verkauft hatten, war durch Gottes Führung an die Spitze des Landes gekommen und war für die Getreideverteilung zuständig. Er wollte seinen Brüdern, die ihn seiner hohen Stellung nicht erkannten, zeigen, wie es ist, wenn man Unrecht erduldet. Es ging ihm nicht um Rache, sondern um ihre Veränderung zum Guten.
Durch die harte Behandlung seiner Brüder wurden diese sich auch des von ihnen begangenen Unrechts bewusst. Das war bereits bei ihrem ersten Besuch, als Josef einen von ihnen in Gewahrsam nehmen ließ, sichtbar.
21 Sie sagten zueinander: Ach ja, wir sind an unserem Bruder schuldig geworden. Wir haben zugesehen, wie er sich um sein Leben ängstigte. Als er uns um Erbarmen anflehte, haben wir nicht auf ihn gehört. Darum ist nun diese Angst über uns gekommen. 22 Ruben entgegnete ihnen: Habe ich euch nicht gesagt: Versündigt euch nicht an dem Kind! Ihr aber habt nicht gehört. Seht, nun wird sein Blut von uns gefordert. (Genesis 42,21-22)
In der Situation auf der zweiten Reise enthalten die Worte Judas in Genesis 44,18-34 zwar kein Schuldeingeständnis. Das war in der Situation vor einem hohen ägyptischen Beamten auch nicht zu erwarten. Die Worte Judas zeigen aber, dass er die Verantwortung sah, die er und seine Brüder sowohl für ihren jüngsten Bruder als auch für ihren Vater hatten. In Vers 33 bot sich Juda an, anstelle Benjamins, in dessen Sack der Becher gefunden worden war, als Sklave in Ägypten zu bleiben.
Darum soll jetzt dein Knecht anstelle des Knaben dableiben als Sklave für meinen Herrn; der Knabe aber soll mit seinen Brüdern hinaufziehen dürfen.
Daraufhin gab Josef sich seinen Brüdern zu erkennen (Genesis 45,1-4).
Doch wie war das nun mit dem Wahrsagen?
In der Thora war Wahrsagerei verboten:
Ihr sollt nichts mit Blut essen. Wahrsagerei und Hellseherei sollt ihr nicht treiben. (Levitikus 19,26)
Es soll bei dir keinen geben, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt, keinen, der Losorakel befragt, Wolken deutet, aus dem Becher weissagt, zaubert, […] (Deuteronomium 18,10)
Josef lebte zwar vor der Gesetzgebung durch Mose. Aber wir können davon ausgehen, dass ihm klar war, dass derartige Praktiken nicht von Gott gewollt sind. Er hat in seiner großen Drangsal Gottes Führung erfahren. Durch Gottes Hilfe konnte er die Träume seiner Mitgefangenen (Genesis 40,1-19) und des Pharao (Genesis 41,1-32) deuten. Gott war mit ihm (Genesis 39,2-3.21.23). Josef vertraute Gott und nicht esoterischen Praktiken.
Bei anderen hochgestellten Ägyptern war Wahrsagerei aus dem Becher oder auf andere Art wohl nicht selten.
Die Bewegung oder der Klang des in den Becher geschütteten Wassers oder die Gestalt, die einige Öltropfen hierin annahmen, wurden als Vorzeichen gedeutet. Diese Art der Wahrsagung war im Alten Orient üblich. (Jerusalemer Bibel zu Genesis 44,5)
Josef wollte seinen Brüdern gegenüber wie ein echter Ägypter in hoher Position erscheinen. In diesem Rahmen müssen auch seine Worte die Wahrsagerei betreffend betrachtet werden. Josef hat den Becher nur zum Trinken, nicht aber zum Wahrsagen verwendet. Er hat auf Gott vertraut, nicht auf Esoterik.
Josef antwortete dem Pharao: Nicht ich, sondern Gott wird zum Wohl des Pharao eine Antwort geben. (Genesis 41,16)