Im Neuen Testament kommt König Herodes Agrippa I. nur als Christenverfolger vor. Apostelgeschichte 12,1-19 spricht über sein Vorgehen gegen die junge Gemeinde, über die von ihm befohlene Hinrichtung von Jakobus, dem Bruder des Johannes und die Inhaftierung Petri, der auf wunderbare Weise befreit wurde.
Im Anschluss daran schreibt Lukas noch über die Umstände seines Todes:
Dann zog Herodes von Judäa nach Cäsarea hinab und blieb dort. 20 Er war über die Bewohner von Tyrus und Sidon sehr aufgebracht. Sie kamen gemeinsam zu ihm, gewannen Blastus, den Kämmerer des Königs, für sich und baten um Frieden, weil sie ihre Nahrung aus dem Land des Königs bezogen. 21 Am festgesetzten Tag nahm Herodes im Königsgewand auf der Tribüne Platz und hielt vor ihnen eine feierliche Ansprache. 22 Das Volk aber schrie: Die Stimme eines Gottes, nicht eines Menschen! 23 Im selben Augenblick schlug ihn ein Engel des Herrn, weil er nicht Gott die Ehre gegeben hatte. Und von Würmern zerfressen, starb er. (Apostelgeschichte 12,19b-23)
Man könnte meinen, dass Lukas hier in einer legendenartig übertriebenen Weise den Tod eines Christenverfolgers darstellen wollte.
Doch hat auch Flavius Josephus in den Jüdischen Altertümern den Tod des letzten Königs von Judäa erzählt.
(2.) 343 Schon war das dritte Jahr verflossen, seit Agrippa die Herrschaft über ganz Judaea ausübte, als er sich nach Caesarea, dem ehemaligen Stratonsturm, begab. Dort gab er zu Ehren des Caesars Schauspiele, weil ihm bekannt war, dass eben Festtage für dessen Wohlergehen gefeiert wurden. Zu diesen Festlichkeiten strömte eine grosse Zahl angesehener und mächtiger Juden aus der ganzen Provinz zusammen. 344 Am zweiten Tage begab sich Agrippa schon frühmorgens in einem Gewande, das mit wunderbarer Kunstfertigkeit ganz aus Silber gewirkt war, zum Theater. Hier nun leuchtete das Silber, das von den ersten Strahlen der Sonne getroffen wurde, in schimmerndem Glanze auf und blendete das Auge derart, dass man erschauernd sich abwenden musste. 345 Alsbald riefen seine Schmeichler ihm von allen Seiten zu, nannten ihn Gott und sprachen: „Sei uns gnädig! Haben wir dich bisher nur als Mensch geachtet, so wollen wir in Zukunft ein überirdisches Wesen in dir verehren.“ 346 Der König machte ihnen daraus keinen Vorwurf und wies ihre gotteslästerischen Schmeicheleien nicht zurück. Als er aber gleich darauf den Blick nach oben wandte, sah er über seinem Haupte auf einem Strick einen Uhu sitzen und erkannte darin sogleich den Unglücksboten, der ihm, wie früher sein Glück, so jetzt seinen nahen Tod anzeigte, weshalb er bitteren Gram empfand. Bald stellten sich auch heftige Schmerzen in seinem Leibe ein, die ihn gleich vom Beginn der Krankheit an in unerhörter Weise folterten. 347 Da richtete er den Blick auf seine Freunde und sprach zu ihnen: „Seht, euer Gott muss jetzt das Leben lassen, und das Schicksal macht eure gleissnerischen Worte zu schanden. Unsterblich nanntet ihr mich, und doch streckt der Tod schon seine Arme nach mir aus. Aber ich muss mein Geschick tragen, wie Gott es will. Habe ich doch nicht in kümmerlichen Verhältnissen, sondern im höchsten Glanze gelebt.“ 348 Noch währender diese Worte sprach, mehrten sich seine Qualen in hohem Grade. Er wurde daher schnell in seinen Palast gebracht, und bald verbreitete sich allenthalben das Gerücht, der König liege im Sterben. 349 Sogleich warf sich das gesamte Volk mit Weibern und Kindern nach väterlicher Sitte auf Teppiche nieder, um für die Genesung des Königs zu Gott zu flehen, und überall erhob sich Jammer und Wehklage. Der König, der sich in einem hochgelegenen Zimmer befand und von da aus sehen konnte, wie das Volk am Boden lag, vermochte sich auch seinerseits der Thränen nicht zu erwehren. 350 Noch fünf Tage lang ertrug er die Qual in seinen Eingeweiden, bis ihn dann endlich der Tod erlöste. Er starb im vierundfünfzigsten Jahre seines Lebens und im siebenten seiner Regierung. (Jüdische Altertümer XIX, 8, 2)
Beide Darstellung stimmen überein, dass Herodes Agrippa in Cäsarea gestorben ist. Auch die Beschreibung seiner Todesursache ist harmonisierbar. Josephus schrieb von einer „Qual in seinen Eingeweiden“, Lukas erwähnte, dass er „von Würmern zerfressen“ wurde. Diese „Würmer“ müssen nicht unbedingt wörtlich verstanden werden, könnten auch als ein Hinweis auf die Gottlosigkeit des Königs gesehen werden. Auch das apokryphe 2. Makkabäerbuch erwähnt in 9,9 beim Tod des Verfolgers Antiochus IV. Epiphanes Würmer, in 9,5 kommen auch Schmerzen in den Eingeweiden vor. Lukas kann sich hier einer damals üblichen Ausdrucksweise bedient haben.
Lukas und Josephus stimmen auch darin überein, dass sein Tod eine göttliche Strafe dafür war, dass Agrippa die ihm erwiesene göttliche Verehrung nicht zurückgewiesen hat.1 Dass Lukas in Vers 23 von einem Engel des Herrn schrieb, der den König schlug, sollte ausdrücken, dass die Krankheit Gottes Strafe war, die ihn für seine Lästerung ereilte.
Trotz dieser Übereinstimmungen ist offensichtlich, dass beide Berichte unabhängig voneinander sind. Es ist nicht so, dass Lukas Josephus als Quelle verwendet hätte.
Lukas bringt eine von Josephus nicht erwähnte Zusatzinformation über die Bewohner von Tyrus und Sidon, über die Agrippa aufgebracht gewesen war. Josephus erwähnt die Besucher aus diesen phönizischen Städten nicht einmal. Aus seiner Darstellung könnte man sogar den Schluss ziehen, dass es Juden waren, die dem König als Gott gehuldigt hätten. Er erwähnt nur „eine große Zahl angesehener und mächtiger Juden aus der ganzen Provinz“. Dass Juden Herodes Agrippa wie einen Gott verehrt hätten, ist jedoch auszuschließen. In diesem Punkt ist Lukas genauer.
Josephus hingegen erzählt eine legendenartige Geschichte über einem Uhu, den Agrippa schon früher, als er in Rom gefangen war, gesehen hatte. Dass es sich hier tatsächlich um denselben Uhu handeln sollte, ist gänzlich unwahrscheinlich. Wir sehen, dass auch ein Historiker wie Flavius Josephus nicht vor abergläubischen Legenden gefeit war.
Der Vergleich der beiden Berichte über den Tod Agrippas I. zeigt, dass Lukas als verlässlicher Geschichtsschreiber zu werten ist. Er hat aber nicht nur die historischen Fakten korrekt überliefert. Er hat auch die geistlichen Inhalte der Worte Jesu und der Lehre der Apostel verlässlich wiedergegeben.
3 Nun habe auch ich mich entschlossen, nachdem ich allem von Beginn an sorgfältig nachgegangen bin, es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben. 4 So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterwiesen wurdest. (Lukas 1,3-4)
- Vor diesem Hintergrund zeigt sich auch, dass Jesus, der in Johannes 20,28-29 das Bekenntnis von Thomas „Mein Herr und mein Gott!“ als Zeichen seines Glaubens angenommen hat, tatsächlich Gott ist. ↩