Johannes und Betlehem

40 Einige aus dem Volk sagten, als sie diese Worte hörten: Dieser ist wahrhaftig der Prophet. 41 Andere sagten: Dieser ist der Christus. Wieder andere sagten: Kommt denn der Christus aus Galiläa? 42 Sagt nicht die Schrift: Der Christus kommt aus dem Geschlecht Davids und aus dem Dorf Betlehem, wo David lebte? 43 So entstand seinetwegen eine Spaltung in der Menge. (Johannes 7,40-43)

Am letzten Tag des Laubhüttenfests des Jahres 29 hat Jesus die Menschen gerufen, zu ihm zu kommen und von ihm lebendiges Wasser zu erhalten (Johannes 7,37-39). Daraufhin entstand unter seinen Zuhörern eine Diskussion, wer Jesus wohl sei. Manche waren überzeugt, dass er der von Mose angekündigte Prophet (vergleiche Deuteronomium 18,15) sei. Andere dachten, dass er der Christus, der Messias sei. Dem wurde entgegnet, dass nach der Schrift der Messias aus Betlehem kommen müsse, nicht aber aus Galiläa. Im Hintergrund dieses Arguments stand offensichtlich das prophetische Wort Michas:

Aber du, Betlehem-Efrata, bist zwar klein unter den Sippen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Seine Ursprünge liegen in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen. (Micha 5,1)

Vielleicht hat Micha nur daran gedacht, dass der Messias aus dem Geschlecht Davids kommen sollte, der aus Betlehem war. Gott konnte es aber so lenken, dass zur Bestätigung des Messias-Seins Jesu dieser tatsächlich in dieser judäischen Kleinstadt geboren wurde.

Die Evangelien von Matthäus und Lukas nennen unabhängig voneinander Betlehem als Geburtsort Jesu.

Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, siehe, da kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem […] (Matthäus 2,1)

4 So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. 5 Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. 6 Es geschah, als sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte, 7 und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. (Lukas 2,4-7)

Zahlreiche Theologen sehen die Berichte dieser Evangelisten aber nicht als ursprünglich an. Der Geburtsort Betlehem sei nur wegen der Micha-Prophetie erfunden worden.

Die Stelle aus Johannes 7 zeige offensichtlich, dass der Verfasser dieses Evangeliums nichts von der Geburt Jesu in Betlehem wisse, so z. B. Rudolf Bultmann:1

Von der Bethlehemgeburt weiß der Evangelist also nichts, oder will er nichts wissen.

Es ist offensichtlich, dass der Evangelist nur das Argument unkommentiert wiedergibt. Man könnte das so verstehen, dass er tatsächlich nicht wusste, dass Jesus in Betlehem geboren ist und daher weiter nichts zu sagen hat.

Doch liegt nicht näher, diese Stelle gegenteilig zu verstehen? Gerade weil Johannes bei den Lesern seines Evangeliums das Wissen um die Geburt Jesu in Betlehem voraussetzen konnte, brauchte er nichts weiter dazu sagen. Rainer Riesner2 schreibt von einer  „ironischen Hintergründigkeit des Evangelisten“. Er und seine Leser wissen, dass das Gegenteil des Einwands der Gegner wahr ist.

Sollte Johannes nicht vielmehr in dem Fall, dass Jesus nicht in Betlehem geboren wäre, erklären, warum Jesus trotz der Prophetie Michas der Messias war? Da hätte er tatsächlich ein Problem aus der Welt schaffen müssen.

Johannes konnte bei seinen Lesern auch voraussetzen, dass er wusste, dass beide von den Zuhörern Jesu gemachten Aussagen zutreffen. Jesus ist sowohl der von Mose verheißene Prophet als auch der Messias. Beide Verheißungen haben in ihm ihre Erfüllung gefunden.

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens. (Lukas 2,14)


  1. Das Evangelium des Johannes (KEK II), Göttingen 1941, S. 231 Anmerkung 2. (nach: Rainer Riesner, Messias Jesus, Gießen 2019, S. 49). 
  2. Rainer Riesner, Messias Jesus,  S. 49. 

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