20 Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, antwortete er: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte. 21 Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es! oder: Dort ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch. (Lukas 17,20-21)
Die Pharisäer fragten Jesus, wann das Reich Gottes kommen werde. Sie erwarteten Gottes Reich als ein politisches Reich. Der Messias würde Gottes Feinde, womit ganz konkret die Römer gemeint waren, besiegen und ein Friedensreich aufbauen. Das Reich Davids würde in idealer Weise wieder errichtet.
Jesus nannte als Antwort auf ihre Frage keinen Zeitpunkt. Er machte klar, dass das Reich Gottes von ganz anderer Art ist, als es ihrer Erwartung entsprach. Doch was hat Jesus gemeint?
Der zweite Teil von Vers 21 wird unterschiedlich übersetzt. Die neueren Übersetzungen lauten in der Regel ähnlich wie die eingangs zitierte Einheitsübersetzung:
Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Ältere Übersetzungen lauten anders:
Luther 1545: Denn sehet / Das reich Gottes ist inwendig in euch.
Luther 1912: Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.
Schlachter 1951: Denn siehe, das Reich Gottes ist inwendig in euch.
Die aktuellen Ausgaben der Luther- und der Schlachter-Übersetzung übersetzen aber anders.
Luther 2017: Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Schlachter 2000: Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Luther hat sein Verständnis dieser Stelle zur Begründung herangezogen, dass das Leben eines Christen sich äußerlich nicht vom Leben eines Nichtchristen unterscheidet.
Ein christlich Wesen besteht nicht im äußerlichen Wandel; es wandelt auch den Menschen nicht nach dem äußerlichen Stande, sondern nach dem innerlichen, d. h., es gibt ein andres Herz, einen andren Mut, Willen und Sinn, welcher dieselben Werke tut, die ein anderer ohne solchen Mut und Willen tut. Denn ein Christ weiß, dass es ganz am Glauben liegt. Darum gehet, stehet, isset, trinket, kleidet, wirket und wandelt er wie sonst ein gemeiner Mann in seinem Stande, dass man nicht seines Christentums gewahr wird, wie Christus saget: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; man wird auch nicht sagen: Siehe hier! oder: da ist es! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ (Weihnachtspostille 1522)
Gewiss unterscheiden sich Christen nicht durch eine besondere Bekleidung oder sonstige Äußerlichkeiten von anderen Menschen. Dennoch zeigt sich auch am Lebensstil eines Christen, dass er innerlich ein neuer Mensch geworden ist. An manchem, was unter Nichtchristen normal ist, wird ein Christ nicht teilnehmen. Auch wird sich ein Christ von manchen Bekleidungssitten, besonders wenn sie ins Schamlose oder Luxuriöse gehen, fernhalten. Die Prioritäten und Werte eines Menschen zeigen sich auch an den „Äußerlichkeiten“. Wenn Jesus das Innere eines Menschen verändert, wird man seines Christentums gewahr. Die Schlussfolgerung Luthers ist falsch, selbst wenn die von ihm gewählte Übersetzung korrekt wäre.
Das griechische Wort ἐντός / entós erlaubt beide Übersetzungsmöglichkeiten.
Bei der Übersetzung „inwendig in euch“ würde Jesus das Wirken Gottes in einem Menschen als Reich Gottes bezeichnen. Das kann von vornherein nicht ausgeschlossen werden. Auch Paulus hat in Römer 14,17 das Reich Gottes ähnlich verstanden:
[…] denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist.
Wenn Gott einen Menschen innerlich verwandelt, wenn Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist sein Leben prägen, dann weiß er auch mit den Äußerlichkeiten wie Essen und Trinken1 in der richtigen Weise umzugehen.
Betrachten wir Lukas 17,21 aber im Zusammenhang, sehen wir, dass an dieser Stelle die Bedeutung „inwendig in euch“ ausgeschlossen ist.
Es waren die Pharisäer, denen Jesus auf ihre Frage nach dem Zeitpunkt des Kommens des Gottesreiches geantwortet hat. Diese waren in der Regel Jesus nicht besonders wohlgesonnen. Dass Jesus gerade diesen Menschen gesagt hätte, dass das Reich Gottes in ihrem Inneren ist, passt nicht.
Das Reich Gottes ist auch keine mystische Wirklichkeit, die wir in unserem Inneren suchen müssten. In unserem Inneren, in uns selbst mit unserer eigenen von Sünden geprägten Gedanken- und Gefühlswelt, finden wir Gott nicht. Wir müssen Gott dort suchen, wo er sich offenbart hat.
Das Reich Gottes ist mit Jesus Christus gekommen. In der Person Jesu war das Reich Gottes mitten unter ihnen. Das wollte Jesus den Pharisäern sagen. Sie sollten ihre Augen für das Wirken Gottes durch Jesus öffnen. Dann würden sie Gottes Reich erkennen.
In der Nachfolge Jesu wird das Reich Gottes eine sichtbare Wirklichkeit. Das Königreich Gottes ist dort, wo jemand Jesus, den Sohn Gottes als seinen König akzeptiert und sein Leben nach seinem Willen verändert. Es ist keine politische Entität. Es ist dort, wo jemand Gottes Willen tut.
Am Ende der Tage, beim zweiten Kommen Jesu, wird das Reich Gottes eine universale überall sichtbare Wirklichkeit werden.
Der siebte Engel blies seine Posaune. Da ertönten laute Stimmen im Himmel, die riefen: Nun gehört die Königsherrschaft über die Welt unserem Herrn und seinem Christus; und er wird herrschen in alle Ewigkeit. (Offenbarung 11,15)
- Im Zusammenhang geht es um das Verhalten im Hinblick auf die alttestamentlichen Speisegebote. ↩