War die von Jesus geheilte gekrümmte Frau besessen?

10 Am Sabbat lehrte Jesus in einer Synagoge. 11 Und siehe, da war eine Frau, die seit achtzehn Jahren krank war, weil sie von einem Geist geplagt wurde; sie war ganz verkrümmt und konnte nicht mehr aufrecht gehen. 12 Als Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sagte: Frau, du bist von deinem Leiden erlöst. 13 Und er legte ihr die Hände auf. Im gleichen Augenblick richtete sie sich auf und pries Gott. 14 Der Synagogenvorsteher aber war empört darüber, dass Jesus am Sabbat heilte, und sagte zu den Leuten: Sechs Tage sind zum Arbeiten da. Kommt also an diesen Tagen und lasst euch heilen, nicht am Sabbat! 15 Der Herr erwiderte ihm: Ihr Heuchler! Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? 16 Diese Frau aber, die eine Tochter Abrahams ist und die der Satan schon seit achtzehn Jahren gefesselt hielt, sollte am Sabbat nicht davon befreit werden dürfen? 17 Durch diese Worte wurden alle seine Gegner beschämt; das ganze Volk aber freute sich über all die großen Taten, die er vollbrachte.
(Lukas 13,10-17)

Im Fokus dieses Abschnitts steht der Umgang mit dem Sabbat. Die jüdischen Führer betrachteten Krankenheilungen als Arbeit. Diese waren daher in Fällen, in denen es nicht um die direkte Rettung aus Lebensgefahr ging, nicht erlaubt. Jesus zeigte, dass man das Wirken Gottes nicht durch das Befolgen menschengemachter Regeln einschränken darf.

War die Frau, die schon seit 18 Jahren nicht mehr aufrecht gehen konnte, krank oder besessen? Krank war sie auf jeden Fall. Doch lag die Ursache dieser Krankheit im Einfluss böser Geister?

Andere Stellen sprechen von Besessenen, die stumm (Matthäus 9,32) oder blind und stumm (Matthäus 12,22) waren. Das wird man wohl so verstehen müssen, dass die Belastung durch den Dämon zu einer Krankheit führte.

Müssen wir diesen Fall auch so verstehen?

Vers 11 („weil sie von einem Geist geplagt wurde“) und Vers 16 („die der Satan schon seit achtzehn Jahren gefesselt hielt“) scheinen dafür zu sprechen.

Klaus Berger drückte das in seiner Übersetzung noch drastischer aus. Er machte schon in der Überschrift („Jesus heilt eine Besessene am Sabbat“) klar, dass die Frau besessen war. Vers 11 übersetzte er:

Da war eine Frau, die seit achtzehn Jahren von einem bösen Geist besessen war, der ihr alle Körperkräfte raubte. Sie ging ganz gebückt und konnte sich nicht mehr aufrichten.

Ich habe den Eindruck, dass sowohl in der Einheitsübersetzung als auch von Klaus Berger etwas in den Text hineingelegt wurde, was dort nicht steht. Vielleicht aus dem Grund, dass man zeigen wollte, dass die Menschen damals auch „normale“ Krankheiten auf Besessenheit zurückgeführt haben, dass wir das als aufgeklärte Menschen aber anders sehen können?

Im Griechischen steht über die Frau:

πνεῦμα ἔχουσα ἀσθενείας / pneuma échusa astheneías
(einen) Geist habend (der) Schwäche / Krankheit

Entsprechend übersetzt die Elberfelder Übersetzung:

Und siehe, da war eine Frau, die achtzehn Jahre einen Geist der Schwäche hatte; und sie war zusammengekrümmt und völlig unfähig, sich aufzurichten.

Das muss man nicht notwendigerweise auf einen Dämon beziehen. Es kann auch bedeuten, dass ihr eigener Geist schwach war. Das würde auf eine psychische Ursache ihrer Krankheit schließen und nicht auf eine Besessenheit.

In Numeri 5,14 ist von einem Mann die Rede, über den „der Geist der Eifersucht kommt“ (Elberfelder). Die Einheitsübersetzung gibt den Text freier, aber sinngemäß richtig wieder und schreibt, dass in einem Mann „die Eifersucht wach wird“. Es geht in diesem Fall sicher nicht um einen Dämon, der den Mann zur Eifersucht treibt. Der „Geist der Eifersucht“ war der Geist dieses Mannes, der von seiner eigenen Eifersucht getrieben war.

Wie sollen wir aber Vers 16 verstehen, wo Jesus sagt, dass der Satan die Frau schon seit achtzehn Jahren gefesselt hielt?

Krankheiten stehen in einem Zusammenhang mit dem Sündenfall. An diesem war der Satan durch seine Versuchung essenziell beteiligt. Das bedeutet nicht, dass jede konkrete Krankheit eine Folge einer konkreten Sünde ist. Aber wäre der Mensch nicht gefallen, gäbe es die Krankheit nicht. In der materiellen Welt gibt es Krankheit. In der Tierwelt gab es Krankheiten schon lange, bevor es Menschen gab. Doch Gott hätte den Menschen, hätte er nicht gesündigt, vor der Krankheit bewahrt. Diesen göttlichen Schutz hat der Mensch durch die Sünde verloren. Keinesfalls darf man den Schluss ziehen, dass kranke Menschen mehr gesündigt haben als gesunde Menschen. (Dass manche Krankheiten eine Folge von sündhaftem Verhalten sind, hängt oft direkt mit manchen Sünden zusammen. Ein Raucher etwa braucht sich nicht wundern, wenn er einen Lungenkrebs bekommt. Das bedeutet kein besonderes strafendes Eingreifen Gottes, sondern liegt in der Natur der Sache.)

Wenn Krankheit grundsätzlich eine Folge der Sünde und somit auch des Wirkens Satans ist, kann man die Ausdrucksweise Jesu vor diesem Hintergrund verstehen. Durch das Wirken Satans gibt es Krankheit und somit auch die konkrete Krankheit, an der diese Frau so viele Jahre zu leiden hatte. Wenn die gekrümmte Haltung der Frau auch eine Folge psychischer Probleme war („ein Geist der Schwäche“), müssen diese Probleme ihre Ursache auch nicht in besonders schweren Sünden gehabt haben. Auch diese Probleme sind eine Folge des Sündenfalls. Der Mensch hat durch die Sünde nicht mehr die Vollkommenheit, die er ohne Sünde in voller Harmonie mit Gott gehabt hätte.

Ich denke daher, dass man nicht annehmen muss, dass die Krankheit dieser Frau durch Besessenheit, d. h. durch den Einfluss gottfeindlicher Geistwesen, erklärt werden muss.

Jesus ist auf diese Frau zugegangen. Vielleicht hatte sie von sich aus nicht den Mut, ihn um Heilung zu bitten. Jesus hat ihr die Hände aufgelegt, was er bei Besessenen nie getan hat. Sie konnte sich wieder aufrichten. Ihre erste Reaktion war, dass sie Gott pries.

Wer zu Jesus kommt, wird aufgerichtet. Jesus macht aus Sündern neue Menschen, die aufrecht gehen und stehen können. Ihr Wunsch ist es, Gott zu verherrlichen.

18 Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze 19 und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. (Lukas 4,18-19)

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