1 Elija aus Tischbe in Gilead sprach zu Ahab: So wahr der HERR, der Gott Israels, lebt, in dessen Dienst ich stehe: in diesen Jahren sollen weder Tau noch Regen fallen, es sei denn auf mein Wort hin. 2 Danach erging das Wort des HERRN an Elija: 3 Geh weg von hier, wende dich nach Osten und verbirg dich am Bach Kerit östlich des Jordan! 4 Aus dem Bach sollst du trinken und den Raben habe ich befohlen, dass sie dich dort ernähren. 5 Elija ging weg und tat, was der HERR befohlen hatte; er begab sich zum Bach Kerit östlich des Jordan und ließ sich dort nieder. 6 Die Raben brachten ihm Brot und Fleisch am Morgen und ebenso Brot und Fleisch am Abend und er trank aus dem Bach. (1 Könige 17,1-6)
Der Prophet Elija hatte König Ahab von Israel eine Dürre angekündigt. Auch wenn es nicht ausdrücklich im Text steht, ist diese Trockenheit als ein Strafgericht für den Götzendienst des Königs zu verstehen, von dem in 1 Könige 16,30-33 die Rede ist. Ahab hatte wohl durch den Einfluss seiner Frau Isebel dem kanaanäischen Götzen Baal in Samaria einen Tempel errichtet. Die Verehrung des Baal drohte den Dienst am Gott Israels zu verdrängen.
Elija begab sich anschließend zum Bach Kerit, vermutlich das Wādī Jābis im Ostjordanland. Die genaue Lage ist jedoch unbekannt.
Dort hatte Elija Wasser zum Trinken. Brot und Fleisch erhielt er täglich morgens und abends von Raben geliefert (nach der Septuaginta: morgens Brot und abends Fleisch).
Der Rabe war nach den Speisegesetzen der Thora ein unreines Tier (Levitikus 11,15; Deuteronomium 14,14). Sollte Elija seine Speise von unreinen Tieren entgegennehmen? Vielleicht war das kein Problem, weil die Raben Brot und Fleisch nur transportiert haben. Elija hat ja nicht die Raben gegessen, sondern die Speise, die sie ihm brachten.
Was garantierte, dass die Vögel dem Propheten koscheres Fleisch brachten? Wenn sie das Brot und das Fleisch von israelitischen Häusern genommen hatten, konnte Elija vielleicht auch voraussetzen, dass die von ihnen gebrachte Speise in Ordnung war. Man kann auch denken, dass Gott, wenn er schon so ein großes Wunder wirkt, dass die Raben Elija zweimal täglich mit Essen versorgen, er dann auch dafür sorgt, dass ihre Speise koscher ist. Es könnte auch für Elija eine Belehrung gewesen sein, dass Gott sogar unreine Tiere verwendet, um für ihn zu sorgen. Dadurch konnte der Prophet Dankbarkeit und Demut lernen.
Laut Ijob 38,41 und Psalm 147,9 (vergleiche auch Lukas 12,24) sorgt Gott für die Ernährung der Raben. Insofern würde es vielleicht sogar gut passen, dass Gott diese Vögel zur Versorgung Elijas verwendete.
Doch wäre es nicht möglich, dass es sich bei den „Raben“ um Menschen gehandelt hat?
Morris Sigel Seale1 zufolge wurden die Bewohner des Jordantals wegen ihrer dunklen Haut „Raben“ genannt. Doch ist die Frage, ob das auch im 1. Jahrtausend vor Christus der Fall war. Es könnten auch allgemein Araber gemeint sein. Die Konsonanten von הָעֹרְבִ֣ים / hāʿorebîm („die Raben“) können mit einem anderen Vokalzeichen als הָעַרְבִים / hāʿarebîm („die Araber“) gelesen werden. Diese Vokalzeichen wurden erst von den Masoreten in der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends gesetzt. Allerdings hat bereits in vorchristlicher Zeit die Septuaginta dieses Wort mit „Raben“ und nicht mit „Arabern“ übersetzt.
Es gibt eine interessante Parallele zwischen 1 Könige 17,4 und 17,9:
Aus dem Bach sollst du trinken und den Raben habe ich befohlen, dass sie dich dort ernähren. (1 Könige 17,4)
Mach dich auf und geh nach Sarepta, das zu Sidon gehört, und bleib dort! Ich habe dort einer Witwe befohlen, dich zu versorgen. (1 Könige 17,9)
In beiden Fällen hat Gott befohlen, Elija zu versorgen. Wenn man die „Raben“ als Araber deutet, besteht die Parallele in beiden Fällen darin, dass Gott Nichtisraeliten damit beauftragt hat, den Propheten Israels zu ernähren. Gott, der Herr aller Menschen, sorgt für Elija durch Angehörige anderer Völker.
Vielleicht soll man auch den Gedanken erwägen, dass Gott, wenn er ein Wunder wirkt, einen Weg wählt, in dem er am wenigsten in den normalen Lauf der Dinge eingreift. Das würde dafür sprechen, dass Gott durch andere Menschen für die Ernährung des Propheten Elija gesorgt hat. Es sollte auch bedacht werden, dass die Elija-Erzählungen eher als Legenden als als exakte historische Berichte einzuordnen sind.
Die Dürre, die ein Strafgericht für das Volk Israel darstellte, betraf auch den Propheten. Er war davon, obwohl er nicht gesündigt hatte, nicht ausgenommen. Aber Gott hat in dieser Notzeit für ihn gesorgt. Gott nimmt seine Diener nicht aus den Nöten dieser Welt heraus. Aber er bewahrt sie und schenkt ihnen, was sie brauchen.
Seht auf die Raben: Sie säen nicht und ernten nicht, sie haben keine Vorratskammer und keine Scheune; und Gott ernährt sie. Wie viel mehr seid ihr wert als die Vögel! (Lukas 12,24)
- The Expository Times 68 (1956), S.28. ↩