19 Micha aber fuhr fort: Darum – höre das Wort des HERRN: Ich sah den HERRN auf seinem Thron sitzen; das ganze Heer des Himmels stand zu seiner Rechten und seiner Linken. 20 Und der HERR fragte: Wer will Ahab betören, sodass er nach Ramot-Gilead hinaufzieht und dort fällt? Da hatte der eine diesen, der andere jenen Vorschlag. 21 Da trat der Geist vor, stellte sich vor den HERRN und sagte: Ich werde ihn betören. Der HERR fragte ihn: Auf welche Weise? 22 Er gab zur Antwort: Ich werde mich aufmachen und zu einem Lügengeist im Mund all seiner Propheten werden. Da sagte der HERR: Du wirst ihn betören; du vermagst es. Geh hin und tu das! 23 So hat der HERR jetzt einen Geist der Lüge in den Mund all dieser deiner Propheten gelegt; denn er hat über dich Unheil beschlossen. (1 Könige 22,19-23 // 2 Chronik 18,18-22)
Den Hintergrund zu dieser Szene lesen wir in 1 Könige 22 bzw. 2 Chronik 18. Ahab, der König Israels, wollte die Stadt Ramot-Gilead im Ostjordanland von den Aramäern zurückerobern und bat Joschafat, den bei ihm auf Besuch weilenden König von Juda, mit ihm in den Krieg zu ziehen. Dieser stimmte zu, wollte aber zuvor noch ein Wort des HERRN einholen. Die vierhundert versammelten Propheten unterstützten das Vorhaben des Königs.
Zieh hinauf! Der Herr gibt die Stadt in die Hand des Königs. (1 Könige 22,6)
Joschafat kam diese Einstimmigkeit verdächtig vor und fragte, ob es nicht noch einen Propheten gab. Darauf hin ließ Ahab Micha den Sohn Jimlas holen, einen Propheten, der dem König nie Gutes ankündigte und deshalb von diesem gehasst wurde.
Micha stimmte zuerst so auffällig dem Rat der vierhundert Propheten zu, dass sogar Ahab merkte, dass das nicht seine wirkliche Botschaft war.
Doch der König entgegnete: Wie oft muss ich dich beschwören, mir im Namen des HERRN nur die Wahrheit zu sagen? (1 Könige 22,16)
Danach sagte Micha das Wort, das tatsächlich vom HERRN kam:
Ich sah ganz Israel über die Berge zerstreut wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und der HERR sagte: Sie haben keine Herren mehr. So gehe jeder in Frieden nach Hause. (1 Könige 22,17)
Dadurch kündigte er die Niederlage und den Tod Ahabs in der Schlacht an. Dieser fand sich dadurch in seiner kritischen Einstellung Micha gegenüber bestätigt.
Da wandte sich der König von Israel an Joschafat: Habe ich es dir nicht gesagt? Er weissagt mir nie Gutes, sondern immer nur Schlimmes. (1 Könige 22,18)
Daraufhin sprach Micha die eingangs zitierten Worte.
Sollen wir diese Worte tatsächlich so verstehen, dass der HERR unter dem versammelten Heer des Himmels ein Brainstorming veranstaltet hat, wo er Vorschläge gesammelt hat, wie man den König Israels am besten ins Unglück stürzen kann? Muss der Allwissende Vorschläge seiner Geister einholen, um zu sehen, was zu tun sei? Und muss Gott gerade dem Geist, der zu einem Lügengeist im Munde der Propheten werden wollte, den Auftrag geben, sein Werk auszuführen?
An dieser Geschichte kann man gut sehen, dass man bei einem wörtlichen Verständnis der Bibel zu völlig absurden Schlussfolgerungen kommt.
Gott ist allwissend und er braucht die Ratschläge der von ihm geschaffenen Geistwesen nicht. Gott ist gut und er ist die Wahrheit. Er verursacht keine Lüge und gibt auch keine Lüge in Auftrag.
In Wahrheit war keiner der vierhundert vom König zusammengerufenen „Propheten“ tatsächlich ein Prophet Gottes. Die echten Propheten Gottes waren von Ahabs Frau Isebel verfolgt und viele von ihnen auch getötet worden. Obadja, der Palastvorsteher Ahabs, hatte hundert von ihnen gerettet (1 Könige 18,4). Vermutlich hat sich der König diese vierhundert Propheten gehalten, um von ihm die religiöse Unterstützung seiner Pläne zu erhalten. Da diese Propheten materiell vom König abhängig waren, war zu erwarten, dass sie ihm nach dem Mund redeten. Dass sich Machthaber Rückhalt von religiösen Autoritäten oder neuerdings auch von anderen Experten holen, ist eine Grunderfahrung der Geschichte. Wahre Propheten Gottes machen bei diesem Spiel nicht mit.
Vielleicht war auch Micha anfangs einer der Hofpropheten, hat aber verstanden, dass es diesen nicht um Gott, sondern um das Wohlgefallen des Königs ging. Da er sich ihren Schmeicheleien nicht angeschlossen hatte, sondern dem König gegenüber klare Worte fand, wurde er nicht mehr befragt und zu Versammlungen wie in 1 Könige 22 nicht mehr eingeladen.
Micha hätte anstatt der Geschichte über die Befragung der himmlischen Heerscharen und die Aussendung des Lügengeistes auch einen einfachen Satz sagen können: Die Propheten lügen, weil es ihnen nicht um Gott geht. Er hat diese einfache Botschaft durch das Erzählen einer Geschichte vermittelt, bei der auch seinen Hörern klar war, dass sie sich nicht so abgespielt hat.
Was tatsächlich von Gott kam, war das Strafgericht über Ahab für dessen Gottlosigkeit. Aufgrund der vielen Sünden dieses Königs hat Gott es zugelassen, dass er im Kampf gegen die Aramäer fiel. Es war aber nicht notwendig, einen Lügengeist zu den „Propheten“ Ahabs zu schicken. Den Schmeichlern ging es ohnehin nicht um die Wahrheit. Sie hatten den Lügengeist aufgrund ihrer Gesinnung, die dem König aber nicht Gott gefallen wollte, ohnehin in sich.
Ahab ließ Micha ins Gefängnis werfen (1 Könige 22,27). Dem Tod am Schlachtfeld ist er trotz Verkleidung nicht entronnen (1 Könige 22,30-35). Das Wort des wahren Propheten wurde bestätigt.
Das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkünden: Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm.
(1 Johannes 1,5)